Von 29 Musikern auf 14: Die Reduzierung der Orchesterbesetzung beim Hamburger „Phantom der Oper“ rückt die Frage nach der Qualität und Notwendigkeit von Live-Musik in Ensuite-Produktionen in den Fokus.
Doch hat Stage Entertainment nicht nur beim „Phantom“ gekürzt. Auch „Sister Act“ und „Tarzan“ werden aktuell mit weniger Musikern gespielt.
Die Gewerkschaft Verdi begleitete die Premiere in der Neuen Flora mit Protesten und wies auf Outsourcing und Personaleinsparungen in den SE-Produktionen der vergangenen Jahre hin. Der Konzern aber verweist in seinen Verlautbarungen ausdrücklich auf einen „zeitgemäßen Klang“ und zitiert Regisseur Harold Prince mit der Aussage, auch Andrew Lloyd Webber „bevorzuge“ den Klang des kleineren Orchesters.
Doch was ist dran am Orchesterklang?
Die Musicalzentrale hat dazu Insider und Verantwortliche deutschsprachiger Musicalproduktionen befragt und gibt einen Überblick.
Wurden nur beim „Phantom der Oper“ Musiker eingespart?
Das „Phantom der Oper“ wurde in seiner ersten Spielzeit in Hamburg mit 29 Musikern gespielt, jetzt sind es 14. Bei „Tarzan“ saßen in Hamburg 17 Musiker im Orchestergraben, in Stuttgart sind es nach Gewerkschaftsangaben noch 7. „Sister Act“ wurde in Hamburg mit 12 Musikern gespielt, in Oberhausen sind es noch 8.
Wer bestimmt eigentlich, wie viele Musiker zum Einsatz kommen?
Grundsätzlich wird die Zahl der Musiker vom Lizenzgeber des Stückes vorgegeben. Es gibt allerdings oftmals unterschiedliche Lizenzen für dasselbe Stück, so auch beim „Phantom der Oper“. Hier ist die 14-Musiker-Version allerdings bisher nur als Tournee-Version bezeichnet worden. Für „Les Miserables“ gibt der Lizenzgeber aktuell nur eine Version für 16 Musiker frei.
In Ausnahmefällen kann mit Lizenzgebern eine erweiterte Version verhandelt werden, so wurde „Sister Act“ von den Vereinigten Bühnen Wien mit mehr als 20 Musikern gespielt.
Wie kann man eine Orchestrierung verkleinern?
Um ein Stück an eine kleinere Besetzung anzupassen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Orchestrierung kann an eine kleinere Besetzung angepasst werden, das heißt, andere Instrumente übernehmen bestimmte Parts mit oder Teile werden gestrichen. Oder bestimmte Instrumente oder Instrumentengruppen werden durch gesamplete Sounds ersetzt. Damit kann dann ein Keyboard zum Beispiel den Part eine ganze Streichergruppe spielen.
Was sind Soundsamples?
Für die so genannten Samples ist der Klang vieler Instrumente Ton für Ton eingespielt und digitalisiert worden. Diese Klänge können am Computer zusammengesetzt oder mehrfach übereinandergelegt werden, so dass ganze Melodiepassagen entstehen oder der Klang einer Gruppe von Instrumenten simuliert werden können. Diese Sounds können dann über ein Keyboard abgerufen werden.
Klingen Soundsamples wie Originalinstrumente?
„Ein Orcherster ist wie ein lebender, atmender Organismus, ein gesampleter Klang dagegen wie eine Herz-Lungen-Maschine.“ So beschreibt ein bekannter Musicaldirigent den Unterschied. Den spannungsreichen Orchestersound, den der mininal unterschiedliche Bogenansatz der Streicher und der sich minimal unterscheidende Klang der Einzelinstrumente ausmachen, lässt sich mit einer digitalen Multiplikation nicht erzielen. Genauso hat ein Sample eine gleichbleibende Tonhöhe und Lautstärke und wird für längere Notenwerte mehrfach hintereinandergefügt. Dadurch kann ein gesampleter Ton kaum so dynamisch klingen, wie der eines live gespielten Instrumentes, das vom Musiker moduliert werden kann.
Was ist ein Clicktrack?
Ein Clicktrack kommt zum Einsatz, um vorproduzierte Soundelemente einer Show mit den live gespielten Instrumenten zu synchronisieren. So werden beispielsweise bei „Mamma Mia!“ Und „Ich war noch niemals in New York“ auch vorher aufgenommene Chöre in die Live-Show eingespielt. Deren Tempi werden dem Dirigenten über Kopfhörer als eine Art Metronomklick zugespielt, danach dirigiert er dann die Band, da die vorher aufgenommenen Teile der Show sich nicht variieren lassen. Das gilt auch, wenn einzelne Instrumente vorher als komplette Melodietracks oder -sequenzen aufgenommen worden sind und eingespielt werden.
Welchen Einfluss hat der Dirigent einer Show?
Je mehr Samples und Clicktracks eingesetzt werden, desto kleiner wird der Einfluss des Dirigenten auf das künstlerische Ergebnis. Ein gesampletes Orchester kann nie die Dynamik und Intensität eines Live-Orchesters erreichen, weil sich dessen individuelle Charakteristika nicht technisch reproduzieren lassen und der Sample-Klang künstlich bleibt. Mit dem Einsatz von Clicktracks sinkt zugleich die Möglichkeit des Dirigenten, Tempovarationen und Nuancen der Musik individuell auszuformen.
Eine Reaktion der Stage-Entertainment-Pressestelle auf Fragen der Musicalzentrale nach Orchesterbesetzungen und den Einsatz von Sound-Samples blieb aus.
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