"Sind wir nicht alle ein bisschen Diana Goodman?"

„Läuft bei dir.“ Mit diesen Worten lässt sich Maya Hakvoorts Karriere momentan am besten auf den Punkt bringen. Dabei ist Erfolg Maya keinesfalls fremd. Seit 1989 steht die Niederländerin quasi nonstop auf den großen europäischen Brettern, die die Welt bedeuten. Auch in Japan war sie schon im Rahmen diverser Tourproduktionen zu Gast. Im Opernhaus Dortmund ist sie ab dem 05. März 2016 als Diana Goodman in „Fast normal“ zu sehen. Ein guter Grund, um mit Maya über ihre neue Rolle, den Erfolg von „Fast normal“ und ihre weiteren Projekte zu sprechen.

Einem großen Publikum bekannt wurde Maya Hakvoort durch ihre Verkörperung der „Elisabeth“ von 1994-1998 in Wien – eine Rolle, zu der sie auch später immer wieder zurückkehrte. Darüber hinaus konnte man sie in einer Vielzahl bekannter Musicals in Hauptrollen erleben. Sie war Velma in „Chicago“, Fantine in „Les Misérables, Rose in „Aspects of Love“, Mylady de Winter in „Die drei Musketiere“, Lisa und Lucy in „Jekyll & Hyde“, Eva Perón in „Evita“, Mrs. Danvers in „Rebecca“, Norma Desmond in „Sunset Boulevard“, Grizabella in „Cats“ und Madame Giry in „Love Never Dies“ – um nur einen Auszug aus ihrer Biographie zu nennen.

Knapp eine Woche vor der Premiere und gut 90 Minuten vor der Öffentlichen Probe von „Next to normal“ sitzt Maya mir in einem Dortmunder Café unweit des Opernhauses gegenüber. Entspannt sieht sie aus – doch das täuscht, wie sie sagt. Denn eigentlich ist sie gerade ziemlich im Stress. Neben dem täglichen Wahnsinn, den die „Next to normal“ – Endspurtphase vor der anstehenden Premiere so mit sich bringt, steht ihre „4 Voices of Musical“ – Tour unmittelbar vor der Tür. Und da wäre ja auch noch die Uraufführung von Michael Kunzes und Dario Farinas „Don Camillo und Peppone“ Ende April in St. Gallen, bei der Maya die Gina verkörpert. Um alles unter einen Hut zu bringen – dazu ist Multitasking in Reinform angesagt. Doch momentan ist Maya gedanklich ganz mit Diana Goodman beschäftigt. Womit wir auch schon mitten im Thema wären.

Du spielst die Diana Goodman in „Fast normal“, ein Stück rund um eine Frau mit einer bipolaren Persönlichkeitsstörung – also das, was man früher manisch-depressiv nannte und sich wohl am aussagekräftigsten mit den Worten „Von Himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt“ zusammenfassen lässt. Wie bereitest du dich auf eine solche Rolle vor?

Das ist auf jeden Fall eine große Herausforderung, aber das Stück ist so wahnsinnig gut geschrieben, dass man schon unglaublich viel aus dem Buch herausholen kann. Eine Sache, die ich bei jeder neuen Rolle mache und die mir viel hilft, ist Parallelen zu suchen. Also der Frage nachzugehen: Wo kann ich andocken? Wo finde ich mich selbst wieder? Und da gibt es bei dieser Rolle doch so einiges.

Auch ich habe meine Highs: Zeiten, wo ich irrsinnig viel Energie habe und das Gefühl, ich kann alles schaffen. Ich stehe auf der Bühne und habe ein wahnsinniges Glücksgefühl. Ich bin Mama von zwei Kindern, habe einen Produktionsbetrieb, habe meine Engagements bei diversen Theaterproduktionen – da muss ich organisieren können, schnell und effektiv sein. Und eigentlich mag ich das auch, vor allem, wenn dann am Ende ein Erfolgserlebnis steht und ich sehe, dass ich das auch alles schaffe.

Klassisches Multi-Tasking also.

Genau. Bei bipolaren Menschen in der Manie scheint es dann so, dass das gesamte Erleben in seiner Intensität verdoppelt oder verdreifacht ist. Um in diesen Zustand zu kommen, dieses Gefühl nachempfinden zu können, versuche ich alles, was ich normalerweise auf der Bühne mache, viel schneller zu machen. Ich nehme im Prinzip also das, was ich habe, und verstärke es.

Zur Vorbereitung haben wir außerdem zu Probenbeginn die LWL-Klinik in Dortmund Aplerbeck besucht. Der Oberarzt, Hans Joachim Thimm [Anmerkung der Redaktion: Steht auch als Berater bei den Proben zur Verfügung] hat uns viele Informationen zum Krankheitsbild und den Therapieformen gegeben. Diese Infos lassen wir natürlich auch in unsere Probenarbeit einfließen. Diana versucht ja, ihre Krankheit mithilfe von Tabletten in den Griff zu bekommen. Da war es schon hilfreich, Patienten mit diesem Krankheitsbild zu treffen und zu sehen, dass sie ruhig gestellt werden. Dadurch konnte ich dann auch die eine Stelle zu Beginn des ersten Akts nachvollziehen, wo Dianas Arzt versucht, die richtige Medikamentendosis herauszufinden, und sie singt, dass sie gar nichts mehr spürt, dass alles taub ist. Das finde ich absolut grausam – gar nichts mehr empfinden zu können!

Also hat Rollenvorbereitung für dich auch viel mit Empathie zu tun. Sich in einen Charakter hineinfühlen zu können und dessen Gemütslage nachvollziehen zu können…

Ja, und es hilft tatsächlich, da Parallelen zu finden. Bei „Fast normal“ geht es fast ausschließlich um Beziehungen und Liebe: Die zum Mann, aber vor allem die zu den Kindern. Und auch um das Sein als Mutter. Diana merkt, dass sie etwas falsch gemacht hat und die Kinder ihr auf ihre Art und Weise böse sind. Und damit muss man als Mutter erst einmal umgehen können. Das kenne ich eben auch. Ich meine, ich bin auch Mutter zweier Söhne. Einer ist dreizehn, der andere sechs Jahre alt. Da denkt man schon darüber nach, ob man alles richtig gemacht hat, ob man die Kinder richtig begleitet hat. Von daher ist dieses Stück absolut aus dem Leben gegriffen und gar nicht verrückt – es heißt ja nicht umsonst „Fast normal“!

Und in Zeiten wie diesen, wo alles immer größer, weiter, höher ist; wo verlangt wird, dass wir ständig und überall funktionieren, da finden wir ja alle auch ein bisschen von so einem Charakter in uns selbst wieder.

Absolut. Wir sind alle ein bisschen Diana Goodman.

Ich habe Interviews mit der amerikanischen Hauptdarstellerin der Diana gelesen und auch zum Thema Bipolarität eine Menge im Internet entdeckt. Man hört ganz oft, dass es mit einem Kindheitsproblem angefangen hat, viel mit Selbstwert zu tun hat, mit traumatischen Erfahrungen, die nicht verarbeitet wurden. Und dann schaukelt es sich einfach hoch; es gibt so eine Art Domino-Effekt. Und der Körper reagiert einfach. Und wenn dann noch ein Schippchen oben draufkommt – ich meine, für einige Menschen wäre das kein Problem, aber bei diesen vorbelasteten Menschen fällt dann irgendwann alles zusammen.

Jeder Mensch hat ja auch andere Coping-Mechanismen…

Was ich so toll finde ist die Aussage, dass es nicht hilft um die Trauer herumzugehen. Dass man Geschehenes nicht einfach ungeschehen machen kann, indem man es ignoriert. Man muss ihm seinen Platz geben. Aber meist darf man ja nicht weinen…

…sondern muss schnell wieder funktionieren.

Und dadurch wird es schlimmer und schlimmer und schlimmer. Auch das Schamgefühl. Man spürt die Trauer trotzdem, darf sie aber nicht rauslassen und versteckt sie. Das ist wie ein Teufelskreis, aus dem man dann irgendwann nicht mehr herauskommt.

Inwieweit glaubst du, dass dieser außergewöhnliche Plot, der sich doch sehr von den klassischen Feel-Good-Musicals unterscheidet, für den großen Erfolg verantwortlich ist? „Next to Normal“ hat neben drei Tony-Awards immerhin den Pulitzer-Preis gewonnen – eine höchst seltene Ehre für ein Musical!

Fast jeder der im Saal sitzt, kann sich mit irgendjemandem identifizieren. Das ist sowieso beim Theater eine super Sache. Du willst das Publikum erreichen mit einem Thema. Ob es jetzt die 16-Jährige Pubertierende ist, die gerade die erste Liebe findet und gegen die Eltern ankämpft, oder ob es die Höhen und Tiefen sind, die wir alle aus unserem Leben kennen. Das sind Themen, die berühren, eben weil sie uns nicht fremd sind. Ich meine, wir alle hatten mal depressive Episoden in unserem Leben: Entweder man war 20 und hatte eine Phase der Orientierungslosigkeit, wusste also nicht wohin, oder man hat eine schwierige Beziehung oder eine Scheidung hinter sich, oder sonst einen schweren Verlust erlitten…. Dann beschäftigt einen die Frage, wie man damit umgehen soll. Und dann geht diese Sucherei los: Zu welchem Arzt geht man; ja, findet man überhaupt den richtigen Arzt?

Von daher denke ich, dass der Erfolg einerseits in der Geschichte verankert ist, aber andererseits auch darin begründet liegt, wie toll und abwechslungsreich das Stück geschrieben ist. Mit sehr viel Humor. Und dann ist da natürlich noch die Musik. Ich war hin und weg als ich hörte, dass es Auditions gibt und habe sofort bei YouTube recherchiert. Und ich dachte: „Das ist es! Das ist so packende, intensive, moderne Musik. So straight.“ Ich musste da sofort an „Elisabeth“ denken, denn da war es genauso. Für die damalige Zeit war es ganz außergewöhnlich, diesen schweren und schwermütigen Stoff in Pop-Musik zu verpacken und damit Leute zu erreichen.

„Fast normal“ kommt also auch so gut beim Publikum an, weil nicht nur die Handlung, sondern auch die Musik den Geist der Zeit trifft, einen Nerv berührt.

Genau. Und das finde ich so toll an dieser Musik, Sie ist rockig, poppig, hat aber auch einige Folk und Country-Einflüsse. Sie ist sehr durchlässig und modern. So eine Musik zu diesem Thema – das hat mich besonders begeistert!

Du hast das Stück also nicht bereits in Fürth oder Hildesheim gesehen und kannst uns daher auch nichts darüber sagen, inwieweit sich die Dortmunder Inszenierung von ihren Vorgängern unterscheidet?

Das weiß ich gar nicht. Nach meiner anfänglichen YouTube-Recherche habe ich dann irgendwann auch nicht mehr weitergesucht und keine Castaufnahmen gehört, weil ich auch Angst hatte, dass ich mich zu sehr beeinflussen lasse. Die amerikanische Castaufnahme habe ich natürlich im Ohr. Und ich muss sagen, dass die Partie wirklich anspruchsvoll und anstrengend ist! Ich muss ständig unterhalb meiner Sprechstimme singen, mit richtig viel Druck. Ich hoffe, das klappt alles!

Ihr seid Ende Januar mit den Proben angefangen; nächste Woche ist Premiere – eine sehr intensive Probenzeit. Wie sieht ein typischer Probentag aus?

Wir proben seit dem 25. Januar und wir üben wahnsinnig viel. Das sind richtige Mammuttage. Normalerweise geht es mit einem Soundcheck um halb zehn los. Von 10:00 bis 14:00 Uhr proben wir zurzeit den zweiten Akt und von 17:30 Uhr bis ungefähr 22:00 Uhr den ersten Akt. Dazwischen bleibt Zeit um was zu essen, oder um Fehler auszubessern und Korrekturen vorzunehmen. In den letzten Tagen haben wir auch öfter mal ein Mittagsschläfchen gemacht, weil so ein Tag manchmal einfach sehr lang wird. Bei „Fast normal“ ist es aber wirklich ganz extrem, weil dich das Stück so sehr beschäftigt und packt. Es lässt dich nicht mehr los!

Wie erarbeitet ihr das Stück? Szene für Szene und danach wird alles zusammengestellt, bis zur ersten Durchlaufprobe?

Ja, ganz analytisch. Wobei wir das Stück noch sehr sehr wenig in einem Rutsch gespielt haben. Irgendwann müssen wir es jetzt mal ganz durchlaufen lassen. Wir wissen jetzt, worauf es in jeder Szene ankommt, aber ich hätte das ganze jetzt gerne mal in einem Bogen gesehen. Dass man selbst auch den Spannungsbogen einmal komplett fühlt. Dafür haben wir jetzt noch eine Woche Zeit und das ist sehr wenig. Hilfe!!! [lacht]

Gerade haben wir erstmals mit der Band geprobt. Das ist dann nochmal was ganz Anderes. Wir stehen nämlich vor der Anlage, das Bühnenbild ist stark nach vorne gerückt… ich will aber nicht zu viel verraten!

Das klingt spannend! Zum Schluss aber noch einige Fragen abseits von „Fast normal“. Du hast in Maastricht und Amsterdam studiert, in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien gearbeitet, warst bei Tour Produktionen in Tokio und Osaka dabei, hast die letzten beiden Sommer in Tecklenburg verbracht. Jetzt bist du in Dortmund. Liebst du es, zu reisen, oder ist das ein notwendiges Übel, was der Job so mit sich bringt? Wie lebst du dich ein?

Ich liebe es zu reisen, weil ich es mag, wenn der Alltag unterbrochen wird. Zum großen Teil kann ich, wenn zum Beispiel Sommerferien sind, die ganze Familie mitnehmen. Dann geht es ganz gut. Wenn ich aber sehr eingebunden bin in die Probenarbeit, wie das zum Beispiel in Tecklenburg bei „Sunset Boulevard“ im vorletzten Sommer der Fall war, reist meine Familie erst später nach, weil ich Arbeit und Familie dann nicht gut kombinieren kann. In Japan waren auch alle mit dabei und mein Mann hat sich um die Kinder gekümmert, während ich gearbeitet habe. Wir genießen dann die Zeit, die wir gemeinsam haben, umso mehr. Und natürlich nehmen wir alle viel von der Kultur und dem Land mit!

Generell mag ich Abwechslung sehr gerne. Jetzt vor dem Sommer ist es aber arg dicht: Ich war innerlich schon ganz auf meine „4 Voices of Musical“-Tour eingestimmt, dann kam Dortmund. Und auf einmal kam auch noch St. Gallen dazu! Und ich habe echt gedacht: „Ich kann doch überhaupt nicht und außerdem wolltet ihr doch eine alte Gina. Ich bin zwar fast 50, aber: Hallo???“ [lacht]. Aber die Verantwortlichen wollten unbedingt, dass ich vorsinge, und ich habe ihnen dann direkt mal meine Sperrtermine genannt, wann ich nicht kann. Jetzt geht es echt in einem durch.

Na, da ist dann wohl jetzt paralleles Textlernen angesagt. Die Premiere für „Don Camillo und Peppone“ ist ja schon am 30. April?

Naja, ich kann jetzt noch nicht Text lernen für „Don Camillo“. Ich habe gerade keinen freien Speicherplatz mehr. Deswegen habe ich auch das Skript, das ich kurz vor der Abreise nach Dortmund bekam, zu Hause gelassen. Das muss jetzt schön warten, bis ich zumindest hier die Premiere hinter mir habe. Vom Stück selbst habe ich bisher also sehr wenig gehört – auch musikalisch. Aber wie gesagt, das ist gefühlt noch weit weg. Und davor habe ich auch noch „4 Voices of Musical“, meine neue Programmpremiere.

„4 Voices of Musical“ – das sind Mark Seibert, Lukas Perman, Marjan Shaki und du. Auch Ramesh Nair gehört zum Voices-Team und übernimmt ab dem Sommer den Part von Mark Seibert. Magst du etwas zum Programm und zum Konzept verraten?

Wir sind zwar in der alten Formation, machen aber ein ganz neues Programm, Wir möchten die Leute begeistern, und da gehört es für uns dazu, nicht immer nur das Gleiche zu singen. Ich meine, so schön die klassischen Musicalhits sind – irgendwann ist man die als Zuschauer doch auch mal leid. Also gibt es von „Evita“ beispielsweise nicht nur „Don’t Cry for Me, Argentina“, sondern ein schönes Medley mit diversen tollen Songs: „High, Flying, Adored“ usw. Ich finde, irgendwann will man als Zuschauer doch auch mal etwas Neues hören, überrascht werden. Und wir haben auch den Anspruch, dem Publikum Neues zu präsentieren. Deshalb werden wir auch einen Song aus dem schwedischen Musical „Kristina“ präsentieren, für den ich den Refrain ins Deutsche übersetzt habe. Das hat zwar ewig gedauert, war es aber wert, finde ich. Es ist so ein intensiver Song!

Außerdem stehen wir in jeder Stadt mit zwei Kinderchören auf der Bühne. Ich mag es, mit Chören zu arbeiten, sie zu fördern und mich daran zu erinnern, wie Liebe zur Musik anfängt. Und man sollte auch die Mund-zu-Mund-Propaganda nicht unterschätzen und wie schnell man in eine Gemeinschaft integriert wird, wenn man mit den einheimischen Kindern arbeitet.

Ihr tretet in diversen österreichischen Städten auf. Deutschland ist zur Zeit nicht geplant?

Genauso ist es. Am 1. April geht es in der Wiener Neustadt los. Danach sind wir in Steyr, Wels und Mistelbach. Das Raimund-Theater ist schon ausverkauft… 1200 Plätze! Darauf bin ich stolz. Natürlich würden wir auch gerne nach Deutschland kommen, dafür bräuchte ich aber einen Kooperationspartner, denn ich habe 16 Leute, die für mich arbeiten und will das Risiko nicht alleine tragen. Und natürlich hat Deutschland eine ganz eigene Szene.

Gibt es noch irgendetwas, was du unseren Lesern zum Schluss mitteilen möchtest?

Ja, ich wünsche mir, dass ganz viele Leute kommen und die Chance ergreifen, sich „Fast normal“ in Dortmund anzuschauen. Wir würden so gerne vor einem gefüllten Parkett spielen! Es lohnt sich wirklich und wir arbeiten hart, um eine tolle, packende Show auf die Beine zu stellen. Wir spielen bis zum 11. Juni 2016 vierzehn Mal. Macht euch selbst ein Bild!

Danke Maya, dass du dir die Zeit genommen hast. Es war ein schönes Gespräch! Toi, toi, toi für die Premiere!

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