© Sven Serkis
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3 Fragen an... Robin Kulisch

Robin Kulisch absolvierte seine Ausbildung zum Bühnendarsteller in Hamburg und war im Anschluss zunächst auf der Bühne und vor der Kamera tätig. Nach seiner Darsteller-Karriere hat er sich zu einem regelrechten Tausendsassa der Musical-Branche weiterentwickelt.

Du bezeichnest dich auf deiner Webseite selbst als „Autor. Übersetzer. Musikalischer Leiter.“. Wie bist du dazu gekommen und welches davon ist dein liebstes Standbein?

Ich bin tatsächlich jahrelang immer wieder gefragt worden: „Was davon macht du denn jetzt wirklich?“. In dieser Branche geht es tollerweise, dass man sich breiter aufstellen kann – auch wenn ich nichts davon wirklich studiert habe. Nach zwei Semestern Anglistik und der abgeschlossenen Ausbildung zum Musicaldarsteller bin ich nach einiger Zeit auf der Bühne beinahe zufällig in diese Schiene hineingerutscht und habe mich ausprobiert – zuerst als musikalischer Leiter. Ich war bei Proben und Produktionen immer derjenige, der Klavier spielen konnte, weil ich es bereits als Kind gelernt hatte. Und so kamen ständig Leute zu mir und fragten, ob ich mal eine Probe übernehmen könnte. Warum soll man mich dann dafür nicht auch bezahlen? So bin ich durch einen Tipp zum Kreuzfahrt-Entertainment gekommen und war mit 28 Jahren der zu dem Zeitpunkt jüngste musikalische Leiter bei AIDA Cruises.

Das war als Schule großartig – und nach dem Wechsel an Land auch als Autor eine Wahnsinns-Spielwiese, um mich auszuprobieren! Ich habe dort viel lernen können, z.B. wie man schnell und effektiv Figuren etabliert und was die Leute eigentlich in einer Show hält. Kreuzfahrtpassagiere zahlen für die Shows an Bord ja keinen Eintritt und gehen manchmal eben auch einfach raus, wenn’s ihnen nicht gefällt. Das finde ich auch legitim, denn sie sind ja im Urlaub und nicht zwingend das typische Theaterpublikum, das sich gezielt Tickets für eine Show geholt hat. Andererseits darf man die Zuschauer, selbst wenn sie teilweise nur wenig Erfahrung mit dem Genre haben, nie unterschätzen! Das hat sich zum Beispiel bei einer Show mit Märchenfiguren gezeigt, die ich für AIDA geschrieben und inszeniert habe und die unter anderem auch zwei Sondheim-Songs enthielt. Das hat trotz seiner nicht sehr einfachen Musik wunderbar funktioniert, weil sie gut zu den Figuren und ihrer Situation in der Geschichte gepasst haben. Ich konnte auf den Schiffen wirklich einiges an Handwerk als Autor lernen.

Mir kommt jedoch auch meine Ausbildung als Darsteller sehr zugute, weil ich beim Schreiben oder Übersetzen aus Sicht des Umsetzenden arbeite: Ich probiere immer und immer wieder aus, ob ein Text überhaupt singbar ist und die Betonung richtig sitzt. Ich gebe einen Text erst ab, wenn ich mich damit auch als Darsteller auf der Bühne wohl fühlen würde.

Für mich ist es schwierig, mich auf ein bevorzugtes Tätigkeitsfeld festzulegen, da es schwankt. Im Augenblick bin ich happy, dass ich Aufträge für Übersetzungen habe, auch wenn das per se in den meisten Fällen nicht sofort vergütet wird. Als Übersetzer werde ich erst im Nachhinein über die Tantiemen bezahlt, wenn das Stück gespielt wird. Hoffen wir also, dass bald wieder gespielt wird, auch weil ich dann wieder den Tätigkeiten nachgehen kann, die mir jetzt so fehlen.

Du hast zum Beispiel die offizielle neue deutsche Übersetzung von Stephen Sondheims „Sunday In The Park With George“ angefertigt und arbeitest gerade an offiziellen deutschen Neufassungen von „Kinky Boots“ und „A Chorus Line“. Warum werden Musicals neu übersetzt?

Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist! Das kann einmal rechtliche oder finanzielle Gründe haben, zum Beispiel wenn die Rechte übertragen und von jemandem übernommen werden. Doch vor allem kommt es zu Neuübersetzungen, damit Stücke wieder interessanter und spielbarer fürs Publikum werden. Texte, die in den 1960er oder 1980er Jahren noch wunderbar funktioniert haben, klingen für heutige Ohren in der deutschen Fassung oft ein wenig künstlich und altmodisch. So hat sich zum Beispiel der Umgang mit Anglizismen krass verändert: Bis in die 2000er Jahre hinein waren sie total verpönt, heute sind sie viel normaler. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass mich meine Mutter mit ihren über 70 Jahren plötzlich mit „Hi“ begrüßt. Heute haben wir oft auch ganz andere Möglichkeiten und Freiheiten als noch vor zum Beispiel dreißig Jahren.

Ich möchte das gerne an Sondheims „Sunday In The Park With George“ von 1984 verdeutlichen: Der erste Akt des Musicals spielt 1884 zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes „Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ und die Figuren sprechen selbstverständlich die Sprache der damaligen Zeit. Als Kontrast dazu befinden wir uns im zweiten Akt hundert Jahre später – zum Zeitpunkt der Premiere des Stückes 1984 eben „heute“. Die Autoren lassen im Stück also die Entstehungszeit des Bildes auf die aktuelle Kunstszene treffen. Um diesen „aktuellen“ Aspekt zu unterstreichen, war es in Absprache mit dem Verlag eine bewusste Entscheidung, die Protagonisten nicht die Sprache von vor dreißig Jahren verwenden zu lassen, sondern eben eine „heutigere“. Da kann der Enkel des ursprünglichen Künstlers halt auch mal „Sorry“ statt „Entschuldigung“ sagen. Das heißt aber natürlich nicht, dass die alte Fassung schlecht war. Ich habe sie zu Recherchezwecken mit großem Interesse gelesen, um zu schauen, wie Sondheims Reime und sprachliche Bilder dort gelöst wurden. Ich liebe ihn, er ist quasi Gott für mich, weil es niemanden gibt, der so brillant mit Sprache umgeht wie er. Deshalb war diese Arbeit eine wahnsinnige Ehre und Herausforderung für mich.

Ein anderes Beispiel für den Wandel von Sprache ist „A Chorus Line“ aus dem Jahr 1975. Es beschreibt eine Audition für ein Broadway-Musical – also grundsätzlich ein zeitloses Stück mit Situationen und Geschichten, die auch heute noch genauso oder zumindest ähnlich stattfinden könnten. Das Stück basiert auf Interviews mit den Darstellern der Original-Besetzung und im englischen Original aus den 70ern reden die Figuren ziemlich „frei Schnauze“. Sehr deutlich wird das zum Beispiel im Song „Dance: Ten; Looks: Three“, in dem es um Schönheits-OPs geht – mit den berühmten „Tits and Ass“ im Refrain. Die deutsche Übertragung für die Vereinigten Bühnen Wien machte daraus vor dreißig Jahren „Spitz und rund“. Das wortwörtliche „Titten und Arsch“ hätte wahrscheinlich einen kleinen Skandal ausgelöst. Heutzutage regt das niemanden mehr auf und das Publikum ist vermutlich eher irritiert, wenn sie es nicht singen würde. Um die Authentizität der Figuren sicherzustellen und die Zeitlosigkeit der Geschichte zu betonen, ist es ist also sicher nicht verkehrt, sich das Stück unter diesem Aspekt noch einmal anzugucken. Momentan denke ich noch darüber nach, wie ich es löse. Die beste Übersetzung ist schlussendlich ja eigentlich immer die, bei der man gar nicht merkt, dass es übersetzt worden ist.

Wie arbeitet eigentlich ein Übersetzer und gibt es Autoren, deren Bücher schwieriger ins Deutsche übertragen werden können als die Texte anderer?

Ja, die gibt es, auch wenn es immer eine Herausforderung ist, die mir Spaß macht. Grundsätzlich ist Sondheim schwierig, weil er unglaublich komplexe Wortspiele verwendet und Reim-Schemata, bei denen es einem schwindelig wird. Da schreibe ich dann manchmal 45 und mehr Versionen einer Textzeile…

Es ist aber auch schwer, vermeintlich simple Texte zu übersetzen. Ein gutes Beispiel sind da Wildhorn-Musicals, für die wirklich gute Autoren oft eine sehr große, pathetische Sprache verwenden. Das ist eine ganz bewusste Stilistik. Wenn du sie dann 1 zu 1 überträgst, dann klingt das leicht unfassbar simpel und nach schlechtem Schlager und ist eine so kitschige Sprache, die dem Original gar nicht mehr gerecht wird.

Als Übersetzer ist es meine Aufgabe, die Texte authentisch und im Stil der Show zu schreiben, wobei jede Show ihre eigene Schwierigkeit hat. Ich muss dem Stück, jedem Song und jeder Figur mit jeder Idee dahinter gerecht werden. Dafür muss ich mir zuerst das Stück einverleiben, die Musik anhören und verinnerlichen, wie die Sprach-Stilistik und der Ton der Show sind. Um sicherzugehen, dass die Texte auch gut singbar sind, probiere ich das zu Hause aus und bitte oftmals auch Kollegen, das Material zu testen.

Ich persönlich bin ein großer Reimfanatiker und nutze für die Übersetzung von Liedtexten ganz klassisch ein Reimlexikon als Werkzeugkiste. Natürlich sitze ich dabei viel am Rechner und schaue für Synonyme gerne ins Internet. Dabei arbeite ich jedoch nie chronologisch, weil mir manchmal ganz spontan eine Idee für eine Textzeile kommt. Früher habe ich die ganz Old School mit Stift und Zettel gesammelt, heute geht das natürlich digital. So lässt sich alles besser und übersichtlicher zusammentragen. Der ganze Arbeitsprozess ist ganz viel Ausprobieren und ganz viel Wegschmeißen. Für eine Dreiviertel-Seite übersetzten Text kommen schnell 15 Seiten Notizen zusammen.

Während der Arbeit kommt es immer wieder zu Feedback-Schleifen mit dem Verlag, die mir immer sehr viel bringen. Die fertige Fassung wird dann als Version 1 von mir oder einem Dritten rückübersetzt und mit Erklärungen, zum Beispiel zum Reimschema oder notwendigen inhaltlichen Änderungen, versehen. Diese rückübersetzte Version 1 geht dann für ein Feedback an die Autoren oder Rechteinhaber. Sie geben im Idealfall dann eine Freigabe, bei Änderungswünschen beginnt dieser Prozess von vorne.

Beim Übersetzen arbeite ich eher langsam und nehme mir viel Zeit. Selbstverständlich ist das immer vom Stück abhängig und ich mache oft auch mehrere Jobs parallel. Für Sondheims „Sunday In The Park With George“ habe ich zum Beispiel mit Pausen deutlich über ein Jahr gebraucht. Das Stück hat mir dann aber auch den absurdesten Moment meines Lebens beschert, denn über den Verlag kam folgende Nachricht aus New York: „‚The Boss‘ says, the new translations are ‚terrific‘ and ‚ausgezeichnet'“. Sondheim selbst, und nicht irgendein Assistent, hatte meine Übersetzung gelesen und freigegeben! Solche Momente sind einfach toll!

 
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