Carsten Lepper zählt zu den renommiertesten Musicalsängern im deutschsprachigen Raum. Sein Durchbruch gelang ihm in der Rolle des Luigi Lucheni in der deutschen Erstaufführung von „Elisabeth“ in Essen. Dafür erhielt er den Kritikerpreis als bester Darsteller. Carsten kreierte bei der deutschsprachigen Uraufführung von „Der Graf von Monte Christo“ in St. Gallen den Fernand Mondego und den Chris in „Miss Saigon“ in der österreichischen Erstaufführung in Klagenfurt. Seine erste Eigenregiearbeiten führte er in Wien: „Tell me on a Sunday“ mit Wietske van Tongeren und anschließend „The last 5 years“ mit Drew Sarich und Ann Mandrella. 2020 inszenierte und produzierte Carsten „Aspects of Love“ als österreichische Erstaufführung mit seinem neu gegründeten Label „The Musical Showroom“. Nun bringt er das Stück am Theater Münster in großer Fassung auf die Bühne.
In unserer Datenbank mit aktuell knapp 12.025 Shows ist deine Inszenierung von „Aspects of Love“ in Münster erst die vierte Aufführung im deutschsprachigen Raum. Warum führt das Stück so ein Schattendasein auf den Spielplänen und welche besondere Beziehung hast du dazu?
„Aspects of love“ ist für mich ein sehr besonderes Stück. Am Theater Bern habe ich 1999 die Schweizer Erstaufführung als Alex Dillingham spielen dürfen. Das war mein Profi-Debüt als Sänger. Schon damals auf den Proben sprachen wir immer davon, dass es schön wäre, wenn es dieses Stück auch mal in einer kleinen Kammermusical-Fassung geben würde. 20 Jahre später, und das Werk niemals vergessen, gab es für mein Team um „The Musical Showroom“ die große Überraschung, dass eine kleine Orchesterfassung herausgekommen war. Wir haben die Rechte über den Verlag „Musik und Bühne“ angefragt und schlussendlich auch den Zuschlag von der Really Useful Group London bekommen.
Das dieses nicht ganz reibungslos vonstattengeht, war uns allen klar – es war ja schließlich eine österreichische Erstaufführung eines Andrew Lloyd Webber Stückes. Für mich war es dann wirklich ein kleiner Ritterschlag, dass der große Meister uns höchst persönlich sein OK gegeben hat. Als es dann zu den Aufführungen kam, waren wir stolz, dieses Werk erstmals in Wien zeigen zu können und das Publikum hat es uns mit vollen Häusern und viel Zuspruch gedankt.
„The Musical Showroom“ war schon in der Planung für eine Wiederaufnahme – aber leider machte uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Ich beschloss meine ungewollte Freizeit zu nutzen und habe mich in Zürich für ein Kulturmanagement-Studium beworben. Ich wurde angenommen und mit einem Stipendium bedacht.
Aus dieser Zeit ist der Kontakt zum Theater Münster entstanden und die neue Intendantin des Hauses fragte mich, ob ich „Aspects of Love“ nochmals inszenieren möchte – aber jetzt im großen Haus und mit Orchester. Ich war sofort wieder Feuer und Flamme und sagte zu. Da ich im münsterländischen Reken aufgewachsen und an der benachbarten Freilichtbühne Coesfeld meine ersten Theaterschritte gegangen bin, schließt sich nun für mich ein großer emotionaler Kreis und es ist für mich eine besondere Ehre, mein Herzenswerk als mein deutsches Regiedebüt am Theater Münster zur Aufführung bringen zu dürfen. Ich kehre dorthin zurück wo alles begann – in meine Heimat ins Münsterland. (Eine kleine Sidestory: Die Doppel-CD von „Aspects of Love“ der Londoner Erstaufführung war tatsächlich die erste CD, die ich von meinem eigenen Taschengeld gekauft habe!).
Dieses Stück begleitet mich nun seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn am Theater und hat mich nie losgelassen. In vielen Gesprächen habe ich „Aspects of Love“ immer wieder diversen Intendanten vorgeschlagen, leider ohne Erfolg. Irgendwann sagte mal ein Dramaturg ein paar klare Worte zu mir: „40 Szenenwechsel und diese vielen verschiedenen Spielorte – das können die meisten Theater nicht leisten.“ Da war mir klar, warum dieser Webber so wenig gespielt wird. „Aspects of Love“ verschwand somit immer wieder in den Schubladen der Stadttheater und geriet zwischen dem üblichen Musical-Kanon wie „Evita“ oder „Jesus Christ Superstar“ in Vergessenheit. Umso mehr freue ich mich, dass das Theater Münster diesen mutigen Schritt gewagt hat – dafür bin ich sehr dankbar.
Für mich ist „Aspects of love” wahrscheinlich nicht nur deshalb so besonders, weil es meine erste Profi-Produktion war, in der ich als Sänger auf einer Bühne stand, sondern vor allen Dingen, weil es ein Stück ist, in dem es um tiefe zwischenmenschliche Beziehungen in den verschiedensten Konstellationen geht. Manchmal erschließt sich auch nicht alles auf den ersten Blick oder Lesen.
Beschäftigt man sich aber ausgiebiger mit dem Werk, wird einem mehr und mehr klar, dass das Leben alles andere als logisch und geradlinig verläuft, manchmal sogar absurd ist, gerade wenn es um die Liebe und all ihre Facetten geht. All das verkörpert dieses Stück für mich. Um Alex zu zitieren: „Wer versteht was Liebe ist? Sie verändert Weg und Ziel“.
Ich glaube, dass „Aspects of Love“ aufgrund seiner Thematik auch kein „typischer“ Webber ist. Es geht weder um Archetypen, noch um Spektakel. Es geht um leise Zwischentöne. Der Komponist sprach eimal davon, dass es sein „persönlichstes“ Werk sei. Ich glaube, dass es ihm da weniger um autobiographische Gedanken, sondern mehr um die feinen Nuancen des menschlichen Miteinanders ging.
David Garnett, der den gleichnamigen Roman in den 1950er Jahren schrieb und auf dem das Musical beruht, war seiner Zeit sehr voraus: Der Blick auf offene Beziehungen zwischen den Generationen, Homosexualität und Moral war zu seiner Zeit ein Tabuthema. Eine spannende Symbiose und recht selten in einem Musical zu finden – außer vielleicht bei Sondheim.
Und wenn wir jetzt mal die Gedanken zur Dramaturgie zur Seite legen: Andrew Lloyd Webber hat einfach wunderbare Musik komponiert, die mich immer wieder aufs Neue berührt und unter die Haut geht. Und das seit über 20 Jahren. „Aspects of Love“ ist wohl eines meiner Lebensstücke, die mich immer begleiten werden.
Du hast deinen beruflichen Horizont durch ein Studium in Kulturmanagement in Zürich erweitert. Was sind in diesem Zusammenhang deine Pläne?
Schon zu Beginn meiner Karriere hat mich das Zusammenspiel einzelner Gewerke eines Theaterbetriebes sehr interessiert. Immer wieder habe ich mich selbst ertappt, wie ich mit Theaterleitungen über Spielpläne und Budget diskutierte. Nun, mit wesentlich mehr Erfahrungen auf, hinter und vor der Bühne auf dem Theaterbuckel, ist es mein großer Wunsch, ein Musical-Theater zu leiten, Musicalspartenleiter zu werden oder sogar einen städtischen Betrieb auf einen neuen Kurs zu bringen, in dem das unterhaltende Genre nicht das fünfte Rad am Wagen spielt. Viele Theater sollten umdenken, und im besten Fall ein Musicalensemble gründen wie es zum Beispiel Linz oder Hildesheim seit Jahren erfolgreich vormachen.
Ich bin davon überzeugt, dass auf Dauer das Abo-Publikum in Zeiten von Pandemie, Netflix und Co. ausbleiben wird, und die Regional-Theaterlandschaft nur dann überleben kann, wenn wir wieder Theater für den Zuschauer machen. Leider wird das immer noch zu oft vergessen.
Ganz hart trifft es mittlerweile die Schauspielsparte an einigen städtischen Häusern, denn die Überlegung vieler Politiker ist, diese auf Dauer zu schließen. Das wäre ein fataler Fehler, dem Ur-Theater den Rücken zuzukehren. Aber auch das klassische Musiktheater leidet sehr stark unter Besucherschwund.
Ich frage mich: Liegt es an der Angst vor Ansteckung in Zeiten von Pandemie oder an Streaming-Diensten, die uns das Leben so einfach machen zwischen Serien und Filmen hin- und her zu switchen, bis wir das Passende gefunden haben und einfach auf dem Sofa liegenbleiben? Sicherlich fließen diese Faktoren mit ein in die Entscheidung des Zuschauers, ein Theater zu besuchen. Dennoch ist meine vollste Überzeugung: Theater ist und bleibt einzigartig. Es ist eine Zusammenkunft von Menschen, ein soziales Event, an dem sie den Moment genießen wollen, der einzigartig bleibt und nicht wiederholbar ist – das was Live-Entertainment eben ausmacht.
Was allerdings die Entscheidung der Zuschauer pro Theaterbesuch sicherlich erschwert, ist die Art und Weise der Produktionen: Das postdramatische deutsche Regie-Theater hat meiner Meinung nach ausgedient und interessiert immer weniger Theatergeher. Das Publikum möchte wieder Geschichten erzählt bekommen, die gerne zum Nachdenken anregen sollen.
Wir müssen lernen, das Publikum wieder in ihr Theater einzuladen. Das haben die CEOs von Netflix und Amazon Prime erkannt und bringen gute erzählte Stories in Filmen und Serien auf den Markt, die ihre Zuschauer sehen wollen. Deshalb bin ich davon überzeugt: Nur mit einem publikumsnahen Spielplan können wir die Häuser wieder füllen.
Sehr gute und aktuelle Beispiele zeigen sich am Theater Hof oder auch am Landestheater Linz: Dort wurde mit diversen Musicals sogar die Spielzeit eröffnet, was normalerweise der Oper vorbehalten ist. An diesen Häusern ist angekommen, dass das Musical nicht nur mehr eine Sparte ist, die volle Kassen bringt und die moderne zeitgenössische Oper der Spielzeit finanziert, sondern mindestens gleichwertig behandelt werden muss. Der Erfolg gibt ihnen recht: Die Vorstellungen sind gut verkauft und das Publikum begeistert. Ich hoffe, dass diesem Beispiel viele Intendantinnen und Intendanten folgen und das musikalische Unterhaltungstheater in den Mittelpunkt stellen – gerade in Zeiten der andauernden Pandemie.
Als Fan des angloamerikanischen Theaters durfte ich erkennen, dass sich Kunst und Kommerz nicht widersprechen müssen. Ich bin überzeugt davon, dass ein – für den deutschsprachigen Markt angepasster Spielplan – wie es zum Beispiel das National Theatre in London hat – auch hier auf größte Beliebtheit stoßen würde. Vielleicht gibt mir ja mal eine Stadt die Chance, dieses unter Beweis zu stellen. Ich würde mich sehr gerne dieser Herausforderung stellen. Aber wer weiß – um Luigi Lucheni zu zitieren: „So wie man plant und denkt – so kommt es nie.“ (lacht).
Erst einmal versuche ich, meinem Credo treu zu bleiben: „Tell the story first!“, vergiss niemals den Zuschauer. Denn er ist es, der sich auf die Reise der von dir erzählten Geschichte begibt. Und ich hoffe sehr, dass das mir mit „Aspects of Love“ am Theater Münster gelingt.
Bedeutet das deinen Abschied von der Bühne, oder können wir dich dort auch weiterhin als Sänger erleben?
Meine letzte, leider inzwischen verstorbene, wunderbare Künstler-Agentin Doris Fuhrmann fragte mich vor einigen Jahren einmal: „Sag mal, Carsten, welche Rollen willst Du eigentlich noch spielen?“. Tatsächlich musste ich zugeben, dass ich nicht sofort eine Antwort parat hatte. Als ich dann auf meinen alten zerknitterten Rollen-Wunschzettel schaute, der schon einige Jahre alt war, wurde mir bewusst, dass ich die meisten dieser Figuren bereits spielen durfte. Es blieben nur noch wenige übrig, die allerdings nicht mehr meinem aktuellen Alter entsprachen.
Somit habe ich eine neue Liste erstellt. Natürlich werde ich an dieser Stelle nicht verraten, welche Rollen dort zu finden sind, aber es gibt ein paar wenige, die ich wirklich gerne spielen möchte – und es sind nicht immer die Rollen, die in der ersten Reihe in der Mitte stehen, sondern eher etwas links oder rechts davon. Ich sehe mich als Theatermensch. Ob auf, vor oder hinter der Bühne. Theater ist und bleibt mein Leben.
Ich bin wirklich sehr dankbar, dass mir so viele Regisseure vertraut haben und mir die Chance gegeben haben, sehr komplexe Charaktere spielen zu dürfen. In den letzten Jahren ist der Wunsch immer stärker geworden, gesamtkünstlerisch kreativ tätig zu werden. Um es etwas pathetisch ausdrücken: Ich möchte gerne öfter der Pinsel sein und weniger die Farbe. Und da liegt es einfach auf der Hand, meinen Wunsch Regisseur zu werden, intensiver zu verfolgen. Da bleibt dann weniger Zeit selbst auf der Bühne zu stehen. Aber wenn die richtige Produktion vorbeikommt, freue ich mich wieder selbst auf den Brettern zu stehen.
Gerne würde ich einmal wieder in einer klassischen Musicalproduktionen spielen, die ja leider sehr rar gesät sind. Das Zeitalter der Film- und Jukebox-Musicals erfährt gerade – auch pandemiebedingt und verständlicherweise um das Publikum zurückzuerobern – eine Renaissance. Ich bin aber überzeugt davon, dass Publikumshits wie „Les Miserables“ oder „Phantom der Oper“ und Co. nie aus der Mode kommen und in den nächsten Jahren wieder auf unseren Spielplänen wie der Phoenix aus der Asche steigen werden.
Ich danke herzlichst für das Gespräch, die spannenden Fragen der muz-Redaktion und wünsche allen Leserinnen und Lesern alles Gute und freue mich auf ein Wiedersehen – vielleicht in Münster bei „Aspects of Love“.
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