Alexander Donesch (Anton von Ardenhaus), Anna Burger (Anna Hemmstätter), Jörg Simmat (Charley), Maria Joachimstaller (Hanna Hemmstätter), Yannik Gräf (Ludwig von Bergheim) © Janine Haupt
Alexander Donesch (Anton von Ardenhaus), Anna Burger (Anna Hemmstätter), Jörg Simmat (Charley), Maria Joachimstaller (Hanna Hemmstätter), Yannik Gräf (Ludwig von Bergheim) © Janine Haupt

Charley (2022 - 2024)
Mittelsächsisches Theater, Freiberg

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Es gibt unzählige Film- und Musiktheater-Adaptionen des Schwanks „Charleys Tante“, in dem ein Mann im Fummel als brasilianische Tante über die Bühne stöckelt. Mit der Musical-Fassung von Michael Reed (Musik) und Jon van Eerd (Buch und Liedtexte) ist nun eine weitere hinzugekommen. Wirklich überzeugen kann sie bei ihrer deutschsprachigen Erstaufführung am Mittelsächsischen Theater allerdings nicht.

Woher eine Anstandsdame nehmen, wenn gerade keine greifbar ist? Genau vor diesem Problem stehen Anton von Ardenhaus und Ludwig von Bergheim, die sich mit den Zwillingen Anna und Hanna zu einem Stelldichein verabredet haben. Unglücklicherweise haben die jungen Damen vergessen, ihren strengen Vater vorher um Erlaubnis zu fragen, sodass eine tugendhafte Sittenwächterin unumgänglich ist. Wie gut, dass Butler Charles an seinem freien Abend gerade im Kostüm auf dem Weg zu seiner Amateur-Operntruppe ist, um „Carmen“ zu proben, wo er die Titelrolle spielt. Das Faktotum im Fummel, den alle nur Charley nennen, wird dazu verdonnert, die Rolle von Ludwigs nach Brasilien ausgewanderter Tante Lucy zu übernehmen, die als Anstandsdame Donna Lucia d´Alvadorez ein sittenstrenges Auge auf die Liebenden werfen soll.

Auch die 2018 in Rotterdam uraufgeführte Musical-Fassung des über 130 Jahre alten Schwanks lebt unter anderem von den Moralvorstellungen seiner Entstehungszeit. Wenn das Stück, wie in Stephan Prattes Inszenierung, jedoch in die Gegenwart katapultiert wird, funktioniert es nicht mehr. Es ist völlig unglaubwürdig, dass junge Leute im heiratsfähigen Alter sich heute antiquierten, moralinsauren Sittsamkeitsregeln unterwerfen, zumal Kostümbildnerin Àngela Ribera die Zwillingsschwester Hanna in einen knappen roten Leder-Mini steckt und für eine Strandszene sexy Bademode entworfen hat. Der quietschbunte Bühnenraum mit gemaltem Einhorn, Staubsauger und Strickkörbchen erinnert an ein Wimmelbild-Computergame. Hätte Prattes die Handlung zum Beispiel in die spießigen 50iger Jahre der Bundesrepublik verlegt, wäre die deutschsprachige Erstaufführung von „Charley“ sehr viel stimmiger gelungen. Dass in der Inszenierung Potenzial steckt, zeigen ihre gelungene Personenführung und originelle Regie-Einfälle, wie eine Stepp-Einlage von Ernie und Bert aus der Sesamstraße oder das Angeln einer Trompete aus dem Orchestergraben.

Dies ist das Reich des musikalischen Leiters José Luis Gutiérrez, der mit einer Bandformation aus Musikern der Mittelsächsischen Philharmonie das Maximum aus einer eher belanglos klingenden Gebrauchsmusik-Partitur herausholt. Komponist Michael Reed hat für sie Melodien vom zackigen Samba bis zur Powerballade geschrieben, doch über Ohrwurm-Potenzial verfügt keiner der Songs. Umso mehr überrascht es, dass Reed 2019 dafür mit dem „Dutch Musical Award“ ausgezeichnet worden ist.

Schlimmer geht immer. Thomas Kahrys deutsche Fassung strotzt vor peinlichen Reimen wie „Oh, Brasilien. Du bist voll Sex-a-pilien. Dort trägt man nicht viel Texti-lien“ oder „Nur unser Charley kann uns retten. Wir müssen ihn auf Rosen betten“. Dazu gesellen sich zahlreich platte Herrenwitze und nicht wirklich zünden wollende Gag-Vorlagen wie „Alter spielt keine Rolle – es sei denn du bist ein Käse“. Der zweite Akt schleppt sich mit unnötig vielen Sprechszenen in ein Abrupt-Finale mit vier glücklichen Paaren.

Wie mögen sich wohl die Darsteller fühlen, die sich drei Stunden lang durch diesen musikalischen Schwank kalauern, singen und tanzen müssen? Bis auf Michael Berger, der sich als polternder Vater Oliver Hemmstätter gesanglich mit Sprechgesang über Wasser hält, steht ein vortrefflicher Musical-Cast auf der Bühne. Allen voran Anna Burger und Maria Joachimstatter als kecke Zwillingsschwestern Anna und Hanna, die Alexander Doneschs Anton und Yannik Gräfs Ludwig den Kopf verdrehen. Ihre Gesangsstimmen harmonieren in verschiedenen Konstellationen wunderbar miteinander, die Show-Choreografien von Nicole Eckenigk tanzen alle vier kraftvoll und sehr synchron.

In der Rolle der Ella Flissingen rettet Kurzfrist-Einspringerin Mareike Zwahr die angesetzte Repertoire-Vorstellung in Döbeln und fügt sich so nahtlos in die Inszenierung ein, als würde sie schon immer dazugehören. Als echte Tante Donna Lucia d´Alvadorez hält Susanne Engelhardt die komödiantischen Zügel fest in ihrer Hand. Im jazzig angehauchten Duett „Die Frau hat immer einen Plan“ glänzt Engelhardt stimmlich mit Jörg Simmat als Charley, dem zurecht bejubelten Mittelpunkt der Inszenierung. Mit überschäumender Spielfreude und einer Bühnenpräsenz, die ihresgleichen sucht, glänzt er als Butler und im Anstandsdamen-Aushilfsjob. Mit dem Solo-Song „Ella“ setzt Simmat mit kräftigem Bariton den gesanglichen Glanzpunkt des Abends.

Bei seinem ersten Ausflug auf eine deutsche Bühne hinterlässt „Charley“ einen zwiespältigen Eindruck. Allemal hat dieses Musical eine zweite Chance verdient. Das allerdings zwingend in einer verbesserten deutschen Übersetzung und einer Inszenierung, in der die Präsenz einer sittenstrengen Anstandsdame in den zeitlichen Kontext passt.

 
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KREATIVTEAM
Musical von Michael Reed nach der Erfolgskomödie "Charleys Tante" von Brandon Thomas
Buch und Liedtexte von Jon van Eerd
Deutsche Fassung von Thomas Kahry
Inszenierung, BühneStephan Prattes
Musikalische LeitungJosé Luis Gutiérrez
KostümeÀngela Ribera
ChoreografieNicole Eckenigk
 
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CAST (AKTUELL)
CharleyJörg Simmat
Oberst Eberhard von ArdenhausMichael Berger
Anton von ArdenhausAlexander Donesch
Ludwig von BergheimYannik Gräf
Oliver HemmstätterMartin Ennulat
Anna HemmstätterAnna Burger
Kirsten Scott
Hanna HemmstätterMaria Joachimstaller
Donna Lucia d´AlvadorezSusanne Engelhardt
Ella FlissingenRosmery Rojas Maturana
Mareike Zwahr
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 26.11.2022 19:30Theater, FreibergPremiere
Di, 29.11.2022 19:30Theater, Freiberg
Sa, 03.12.2022 19:30Theater, Döbeln
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