Ein in allen Punkten überzeugendes, musikalisch recht sperriges Musical über ein Kunstwerk und das Künstlerleben. Sebastian Ritschel (Inszenierung, Ausstattung, Licht) kreiert gemeinsam mit einem vortrefflichen Cast eine hinreißende Aufführung und setzt Stephen Sondheim zu seinem 90. Geburtstag ein Denkmal.
Aufruhr nach der Pause im Bilderrahmen: Mit Kommentaren wie „Ich hass‘ das Kleid“, „Mein Profil sieht nicht gut aus“ oder „Der Bootsmann schwitzt so“ machen die Figuren aus dem Gemälde „Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ ihrem Ärger Luft. „So heiß hier drin“ heißt der dazugehörige, sehr witzige Song aus dem Musical „Sunday in the Park with George“, in dem James Lapine (Buch) und Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) zunächst die Entstehung des heute in Chicago hängenden Kunstwerks erzählen. Sein Schöpfer, der postimpressionistische Maler Georges Seurat, sitzt die meiste Zeit des ersten Aktes links oder rechts am Bühnenrand und skizziert die Menschen, die am Seine-Ufer in Paris an einem heißen Sommertag Zerstreuung und Abkühlung suchen.
Der dramaturgische Kniff besteht darin, dass Autor Lapine die Dargestellten, allesamt aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, in fiktiven Konstellationen zueinander in Beziehung setzt. Da trifft ein schneidiger Soldat (Jannik Harneit) auf die beiden kichernden Landmädchen Celeste Nummer 1 und 2 (Kirsten Labonte, Julia Harneit), der Künstler Jules (Benedikt Eder) betrügt seine Frau Yvonne (Anna Schaumlöffel) mit ihrer Köchin Frieda (Anna Erxleben). Dot (Veronika Hörmann), die Geliebte von Georges Seurat (Tobias Bieri) und einzige Person des Bildes, die ihm für seine Skizzen Modell sitzt, flüchtet sich in die Arme des Bäckers Louis (Edward Lee). Auch Seurats Mutter (Antje Kahn) wird mit ihrer Pflegerin (Franziska Abram) auf der Leinwand in Öl verewigt, was Lapine für einige Begegnungen mit ihrem Sohn nutzt, der dann zu ihr in die Parklandschaft auf der Bühne tritt.
Lapines Buch macht im zweiten Akt einen Zeitsprung um 100 Jahre – vom Entstehungsjahr des Bildes (1884) ins New York der 1980er Jahre. Hier präsentiert der Urenkel Seurats, der Multimedia-Künstler George (Tobias Bieri), gemeinsam mit seiner 98-jährigen Großmutter Marie (Veronika Hörmann), eine poppige Video-Installation. Das Musical zeigt hier Parallelen zum Leben der beiden bildenden Künstler, die damals wie heute in einer Welt aus Schaffenseifer, Selbstzweifeln, Mäzenatentum und ihnen entgegenschlagendem Unverständnis leben. Dies unterstreicht perfekt einer der beiden zentralen Songs des zweiten Aktes: „Kunst ist nicht einfach“. Nicht nur hier fängt die erstmals gespielte, neue Übertragung ins Deutsche (Robin Kulisch) die Bitterkeit und Bissigkeit aus Sondheims Liedtexten kongenial ein.
Sondheims in diesem Musical eher sperrig wirkende Musik überträgt Georges Seurats pointilistischen Malstil mit nur elf Farben 1 zu 1 in Töne, indem der Komponist die musikalischen Themen minimalistisch aus einzelnen Stakkato-Tönen zusammentupft. Diese für viele im Zuschauerraum zunächst gewöhnungsbedürftige und eher an eine moderne Oper erinnernde Partitur ist bei den unsichtbar auf der Hinterbühne postierten Musikern der Elbland Philharmonie Sachsen in guten Händen. Unter dem Dirigat von Hans-Peter Preu spielt das Orchester als sanfter Begleiter, kann aber auch mit dem wie ein Exot in das Stück integrierten Showstopper „Louis“ überzeugen.
In diesem außergewöhnlichen Musical stört es keinen Moment, dass mehrheitlich klassisch ausgebildete Mitglieder des hauseigenen Musiktheater-Ensembles auf der Bühne stehen. Sowohl als Personal des Gemäldes als auch in den Rollen der New Yorker Kunst-Szene singt dieser auf den Punkt besetzte Cast vortrefflich. Rein vorlagenbedingt stehen Veronika Hörmann und Tobias Bieri, beides Gäste aus dem Musicalfach, darstellerisch und mit ihren prächtigen, sicher geführten Gesangsstimmen im Mittelpunkt der Aufführung. Beide harmonieren vortrefflich in den vielen Duetten, glänzen aber auch solistisch. Hörmann zum Beispiel mit bewusst brüchig klingender Stimme als Großmutter Marie, Bieri in seinem bravourösen Hunde-Zwiegesang von Schoßhündchen und Straßenköter. Bravo!
Kreativer Kopf hinter dem auf die Bühne gebrachten Gemälde ist Sebastian Ritschel, der für den perfekt aufeinander abgestimmten Dreiklang Inszenierung, Ausstattung und Licht verantwortlich zeichnet. Ritschels Regiearbeit und sein üppiges Kostümbild hauchen den historischen Gemälde-Figuren wie der hippen Künstlerclique respekt- und liebevoll Leben ein, überzeichnen aber auch mit subtilem Humor wie im Fall eines adipösen amerikanischen Paares im Park. Den Rahmen dafür bildet ein auf die Bühne gestellter, schlichter weißer Raum mit zwei Türen an den beiden Außenseiten. Dank der gezeichneten Videoprojektionen (Sven Stramann) entsteht eine perfekte Illusion der Landschaft des Seurat-Gemäldes, in dem auf der Seine Boote fahren oder Tiere durchs Gras flitzen. Einzig für das Atelier des Künstlers, in dem zahlreiche Bilderrahmen mit seinen Werken hängen, öffnet sich die Rückwand. Für die New York-Szene wird eine weitere, die gesamte Bühnenbreite einnehmende Projektionsfläche mit elf weißen Säulen für die poppig-wirre, moderne Videoinstallation in den Raum geschoben.
Fast ein Vierteljahrhundert ist seit der letzten Aufführung von „Sunday in the Park with George“ in Deutschland vergangen. In der neuen Übersetzung, mit dieser Inszenierung, in dieser Ausstattung und mit diesem Cast empfiehlt sich das Musical als gutes Stück für das Musiktheater-Ensemble eines kommunal finanzierten Theaters. Bleibt zu hoffen, dass jetzt auch andere Intendanten den Mut haben, dieses Stück wieder auf den Spielplan zu setzen.
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