Blood Brothers (2007)
Theater Am Käfigturm, Bern

Seit 1988 läuft „Blood Brothers“ am Londoner West End. Nun wird das Drama-Musical in einer Inszenierung von Markus Bühlmann im Berner Theater am Käfigturm gezeigt. Trotz amüsanter Dialoge und schmissiger Pop-Balladen bleibt „Blood Brothers“ schwere Kost.

Das Theater am Käfigturm scheint wie eigens geschaffen für die erste Produktion der Beverly Hills Entertainment GmbH und die düstere Thematik von „Blood Brothers“. Die Zuschauer steigen drei Stockwerke tief in den Untergrund in einen kellerähnlichen Theaterraum und blicken auf eine nur gerade 9 x 5 Meter große Bühne, die vollständig in schwarz gehalten ist. Das Bühnenbild besteht aus einigen wenigen Kulissen-Elementen, die einerseits die ärmliche Behausung der Familie Johnstone oder dann die noble Villa der Familie Lyons zeigen. Einziger Farbtupfer sind die Original-Requisiten aus den 50er Jahren, die in der Szene, in der Mrs. Lyons die bestellten Waren infolge Zahlungsrückständen wieder gepfändet werden und auch in der Umzugs-Szene, einzeln aus dem Haus getragen werden und so für einige Schmunzler in den Zuschauerreihen sorgen.

Auch die Kostüme von Trudi Meyer sind ein Sinnbild für das triste Leben der Arbeiter-Bevölkerung im England Mitte des letzten Jahrhunderts. Einzig in der Szene zu Beginn des Stücks, als Mrs. Johnstone zum ersten Mal verliebt durch das Leben tanzt und in den Szenen, wenn die große Kinderschar übermütig ihre Streiche ausheckt, sind die Kostüme mit etwas mehr Farbe und dem einen oder anderen Accessoire ausgestattet.

Die genannten Kindheits-Szenen sind es dann auch, die im ersten Teil des Stücks ein wenig Heiterkeit erlauben. Wer kann sich nicht daran erinnern, als er selber sieben Jahre alt war und aber viel lieber schon acht gewesen wäre, wie das Herz heftig in der Brust pocht, wenn man bei einem Streich erwischt wurde und wie es sich anfühlt, wenn zum ersten Mal tausend Schmetterlinge im Bauch herumflattern. Diese Momente kosten die erwachsenen Darsteller mit viel Fingerspitzengefühl aus, so dass auch Szenen, wenn etwa gleichaltrige Akteure Eltern und Kind darstellen, nie grotesk anmuten.

Die Wandlung von Markus Bühlmann als Mickey, Charly Bühlmann als Edward und Sonja Nydegger als Linda von 7-jährigen Knirpsen zu 25-jährigen Erwachsenen ist dann auch eines der darstellerischen Highlights der Produktion. In schwindelerregendem Tempo werden sie von frechen Gören zu schlaksigen Teenies, dann zu jungen Erwachsenen mit großen Träumen, vor deren Scherben sie dann schlussendlich als gebrochene Charaktere kapitulieren. Ebenfalls großartige schauspielerische Leistungen zeigen Bea Schneider als Mrs. Johnstone und Franca Basoli als Mrs. Lyons. Ihnen gelingt das Kunststück, die Spannung einer Szene über minutenlange Musikpassagen nur durch das Entsetzen oder die Verzweiflung in ihren Gesichtern zu halten.

Ebenfalls zu überzeugen weiß Sergio-Maurice Vaglio als Erzähler. Obwohl ihm nicht mehr erlaubt ist, als die Szenen als unbeweglicher, ganz in schwarz gekleideter Schatten zu begleiten, schafft er es dank seiner ausdrucksstarken Mimik und seiner rockigen Stimme der Rolle Tiefe und Ausdruck zu verleihen. Als letzter Darsteller sei noch Jean-Luc Pfisterer erwähnt, der seinen Sammy genau mit der richtigen Mischung aus Bosheit und Wahnsinn über die Rampe bringt.

Markus Bühlmann setzt ganz klar auf Schauspiel, was das Stück vor allem in der letzten halben Stunde zu anspruchsvollem Sprechtheater werden lässt. Obwohl die vielen Song-Reprisen immer wieder einen Hauch von Hoffnung verbreiten, lässt das Schicksal des depressiven, der Tablettensucht verfallenen Mickey erschaudern und die Dauer der Szenen im Gefängnis und der Entscheid Mickeys gegen die Tabletten, sind hart an der Grenze für Musical-Zuschauer. Trotzdem und gerade auch deswegen… großes Theater auf einer kleinen Bühne. Hut ab!