Weltweit ist Pamina Lenn die erste Musicaldarstellerin, die sowohl die Rolle der Anna als auch der Elsa in Disney’s „Die Eiskönigin“ spielen durfte. Jetzt ist sie den Fans durch die „Ku’Damm“-Musicals ans Herz gewachsen, begeistert aber schon seit spätestens 2017 in den Groß- und Kleinproduktionen der deutschsprachigen Bühnen. Pamina redet mit uns über ihre internationalen Wurzeln, reflektiert einige der großen Erfolgsproduktionen der letzten Jahre und erzählt uns, was sie am Klassiker „Elisabeth“ revolutionieren würde.
Deine Vita klingt gerade am Anfang deiner Karriere ziemlich wild. Da kommt Sydney in einem Atemzug mit Wien und „der Joop“ in Hamburg vor. Kannst du uns deinen Karriereanfang einmal nachzeichnen?
Ich kann verstehen, dass das wild klingt! [lacht] Also, es ist so: Ich bin halb Australierin und war als Kind und Teenager regelmäßig mit meinen Eltern und meiner Schwester in Sydney, um meine Großeltern zu besuchen. In Sydney gibt es die NIDA (National Institute of Dramatic Arts), eine der größten Film- und Bühnen-Ausbildungsstätten in Australien. Dort habe ich immer wieder Schauspielkurse für Kinder und Jugendliche mitgemacht, da meine Leidenschaft schon früh geweckt war. Mein Zertifikat von meinem letzten Kurs dort hängt sogar noch irgendwo in meinem Elternhaus an der Wand! [lacht]
Dann wurde mir aber klar, dass ich gern auch ein musikalisches Element mit in meinen Beruf bringen wollte, weshalb ich erst klassischen Gesangsunterricht genommen habe, um in den Opernbereich zu gehen. Dort fehlte mir dann aber leider das Schauspiel. Ich habe dann zwei verschiedene vorbereitende Workshops an der Joop van den Ende Academy gemacht, bevor ich mich schließlich für ein Musical-Studium in Wien entschieden habe. All diese Ausbildungsstätten haben mir so viel mitgegeben, dass ich sie gern aufliste, auch wenn mein Hauptstudium dann in Wien stattfand.
Wie ist die australische Musicalszene im Vergleich zu Deutschland und Österreich?
Dazu kann ich leider nicht viel sagen, da ich dort nur Kurse besucht, aber nie aktiv in der Szene gearbeitet habe. Was ich aber sagen kann ist, dass unser Staats- und Stadttheater-System im Musicalbereich weltweit einzigartig ist. So eine Fülle und Vielfalt hat man im Ausland nicht, da es dort eher die Mega-Produktionen oder vereinzelte, aber eher kleine, Community Theatre Produktionen gibt.
Was war dein erstes Musical-Engagement?
Noch während meines Studiums habe ich am English Theatre in Wien die Cinderella in Sondheims „Into The Woods“ spielen dürfen. Wir waren damals ein bunter Mix aus Studierenden und Profis, die fast alle Englisch-Muttersprachler*innen waren. Es ist immer eine Freude, Sondheim – vor allem im englischen Original – spielen zu dürfen. Und dann war es ein ganz besonderes Gefühl, das erste Mal mit dem, was ich liebe, Geld zu verdienen. Das Team war damals ganz wundervoll und Adrienne Ferguson (Regie) und Ariana Pullano (Musikalische Leitung) sind bis heute eines der besten Leading-Teams, mit denen ich jemals gearbeitet habe.
Seit 2017 mit „Tanz der Vampire“ bist du fast durchgängig in Shows von Stage Entertainment zu sehen. Glaubst du, deine Zeit an der Joop hat dir die Türen zu den Rollen von Stage geöffnet – oder, wie würdest du sagen, kam es dazu?
Meine Workshops an der Joop waren zu kurz, als dass sie mir da Türen hätten öffnen können, denke ich. Ich habe dort ja nie richtig studiert, sondern dann in Wien. Ich denke, bei jedem Job, den man bucht, ist es 50% harte Arbeit, 45% Talent und dann 5% schieres Glück. Diese Aussage von „zur rechten Zeit am rechten Ort“ trifft definitiv auf mein Vampire-Casting zu. Ja, ich hab die Songs bestimmt gut gesungen in der Audition. Aber das haben viele andere auch. Ich denke, ich hab damals einfach auch typmäßig, von meiner Ausstrahlung und von meinen Fähigkeiten her genau das getroffen, was sie nachbesetzen mussten. Und das hat mir dann die Tür für mein erstes Stage-Engagement geöffnet. Ein Stage-Engagement ist aber leider keine Garantie für weitere (Stage-)Engagements! [lacht]
Nach den Vampiren habe ich auch erst mal nicht für Stage, sondern für andere tolle Arbeitgeber gearbeitet. Ich habe viele Auditions gemacht, für Stage und andere Firmen, und auch immer wieder Absagen kassiert. Aber ich hab nicht aufgegeben, es immer wieder probiert und als die richtige Show und die richtige Rolle dabei war, ob nun bei Stage, oder woanders, hat es dann doch immer geklappt. Wie zum Beispiel dann 2021 bei „Wicked“, was immer eine absolute Traumshow von mir und meine nächste Anstellung bei Stage war. Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was zu einem passt, irgendwann zu einem kommt.
Zwischen deinen Groß-Engagements bist du auch bei kleineren Produktionen wie den Clingenburg- Festspielen, den Brüder-Grimm-Festspielen, oder bei „Lotte“ in Wetzlar zu sehen gewesen. Was geben dir diese Jobs im Vergleich zu den großen Shows von Stage?
Ich liebe die Tatsache, dass Musical so vielfältig sein kann. Wenn man kein typisches Theater hat, sondern wie bei Freilichtfestspielen mit seiner Umgebung arbeiten muss, dann kann/muss man unheimlich kreativ werden! Das ist wahnsinnig spannend. Bei „Lotte“ beispielsweise haben wir ja den gesamten Lottehof in Wetzlar bespielt und haben die Goethe-Geschichte so an ihrem Original-Schauplatz wieder auferstehen lassen. Das ist bis heute meine absolute Lieblingsproduktion gewesen.
Du warst als Nessarose ganz vorne bei der Neuinszenierung von „Wicked“ dabei. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit und was hast du bei „Wicked“ für dich gelernt?
Für mich ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Chance bekommen würde, eine Audition für „Wicked“ zu machen, geschweige denn gecastet zu werden. Ich denke, nur Wenige glaubten daran, dass die Show noch mal ihren Weg nach Deutschland finden würde. Als dann der Anruf kam, konnte ich es gar nicht fassen. Wenn ich bei „Wicked“ eines gelernt habe, dann, dass eine harmonische Cast, die zusammenhält, alles überstehen kann. Erst einmal war es eine unglaublich große Herausforderung, als erste große Produktion nach der Corona-Pandemie (oder eigentlich noch mittendrin) wieder zu öffnen. Wir haben da absolutes Neuland betreten und waren eigentlich Vorreiter für zumindest alle anderen Stage Produktionen, die kurz nach uns (wieder) aufgemacht haben. Und dann kam noch der Aspekt der Neuinszenierung dazu. Eine so große Non-Replika Produktion eines beliebten Stücks ist nicht üblich und viele Leute, Kritiker*innen und Zuschauer*innen, hatten so eine Angst, wir würden „ihr Wicked“ kaputt machen. Als damals die ersten Bilder vom Pressetag rauskamen, mussten wir im Netz viel Kritik einstecken. Aber wir als Cast wussten, wir machen hier was ganz Besonderes, was Großes. Etwas, das nicht perfekt sein wird, aber unglaublich persönlich und magisch. Und spätestens bei der Premiere haben wir dann auch sehr viele Leute von uns als Team und „unserem Wicked“ überzeugen können und da sind wir, glaube ich, alle bis heute sehr stolz drauf.
Als Walk-In-Cover warst du, soweit die Recherchen richtig sind, die bisher einzige Darstellerin, die sowohl Elsa als auch Anna in „Die Eiskönigin“ verkörpern durfte. Woran liegt es, denkst du, dass dir das zugetraut wurde?
Ich glaube, kurz nach mir bekam auf der amerikanischen Tour das Anna Cover Tatyana Lubov ein Emergency Elsa Cover. Aber ja, ich war die Erste weltweit, die beide Disney-Damen verkörpern durfte. Ich glaube, da kommen viele Dinge zusammen. Es ist natürlich stimmlich wahnsinnig anspruchsvoll, diese beiden sehr unterschiedlichen Partien miteinander zu vereinbaren. Sowohl klanglich, als auch vom Stimmumfang her muss man einiges bedienen können. Wenn ich im Run beide direkt hintereinander spielen musste, habe ich auch meinen Kampf damit gehabt! [lacht]
Dann ist es auch so, dass man schauspielerisch sehr unterschiedlich an die beiden rangehen muss. Anna ist laut, naiv und offenherzig. Elsa ist verschlossen, unsicher und in sich gekehrt. Was mir aber sehr geholfen hat, waren die Worte des Regisseurs Adrian Sarple, der meinte: „Beide tun alles, was sie tun aus unendlicher Liebe zu ihrer Schwester. Nur haben ihre Erfahrungen sie völlig unterschiedliche Wege gelehrt, diese Liebe zu zeigen.“ Ich hab also über ihrer Gemeinsamkeit – die Liebe zueinander – versucht, die Unterschiede der Schwestern zu finden und darzustellen.
Warum ich und vor mir niemand? Diese Frage kann nur das Team beantworten, dass mich für diese Aufgabe gecastet hat. Ich kann nur sagen, dass ich unheimlich viel Spaß hatte, beide zu verkörpern und ich nie die Zeit vergessen werde, in der ich Anna UND Elsa war.
Was sind jeweils bei beiden Rollen die größten Herausforderungen für dich gewesen? Und wo ähneln sie sich?
Beide Rollen sind gesanglich herausfordernd. Elsa muss gesanglich krasse Geschütze auffahren und währenddessen auf der Bühne wahnsinnig genau arbeiten, sehr technisch, darf es aber natürlich nicht so aussehen lassen, denn erst so entsteht die ‚Disney Magie‘. Dafür muss Anna das Publikum durch das Stück tragen. Sie ist in fast jeder Szene, hat keine Pausen, viele Quickchanges, teilweise während sie auf der Bühne singen und tanzen muss. Wenn das Publikum nicht mit Anna lachen kann, dann kann es vermutlich gegen Ende der Show nicht mit Elsa weinen – ich werde nicht spoilern, was genau ich damit meine! [zwinkert]
Du bist sowohl bei „Ku’Damm 56“ als auch bei „Ku’Damm 59“ involviert. In beiden Stücken spielst/ spieltest du die Rolle der Helga. Kannst du uns diese Figur aus deiner Sicht charakterlich beschreiben?
In beiden Fällen durfte ich die Rolle der Helga ja quasi mitentwickeln, was sehr spannend war. Bei „56“ damals im Workshop und bei „59“ jetzt in der Uraufführung. Ich glaube, der Weg, auf dem man Helga in den Stücken begleiten kann, ist der Absturz in die absolute Bitterkeit. Sie startet ihre „Ku’damm“-Reise als die absolute Vorzeige-Tochter, der ganze Stolz von Caterina, und versucht dann, trotz aller Widrigkeiten, so verzweifelt an diesem perfekten Bild festzuhalten, dass sie ihr eigenes Glück und das ihres Mannes opfert.
Wo berührt dich deine Rolle am meisten? Welche Ähnlichkeiten hat sie zu dir als Person?
Ich finde Helgas Entwicklung so unglaublich tragisch. Sie ist die Schwester, die der Mutter am meisten nacheifert und gefallen will. Sie ist gefangen im Korsett einer vergangenen Zeit. Ihre beiden Schwestern schaffen es, sich nach und nach daraus zu lösen und mit der Zeit zu gehen, sie leider nicht. Das berührt mich sehr, denn es gibt nicht wenige echte Frauen, denen es in dieser Zeit des Umbruchs genau so erging. Genau wie Helga bin ich eine Perfektionistin und habe auch ganz oft diesen Drang, anderen zu gefallen. Anders als sie lerne ich aber immer mehr, mich selbst an den richtigen Stellen zu priorisieren und auch auf mein eigenes Glück zu achten.
Was sind für dich die Stärken beider Musicals im Vergleich zu anderen Stücken, die du bisher gespielt hast?
Ich glaube die Stärke der „Ku’damm“-Stücke liegt darin, dass sie nicht versuchen, den internationalen Markt zu kopieren. Hier erzählen deutsche Autor*innen deutsche Geschichte und verleihen dem ganzen so einen ganz eigenen Charme. Ich glaube, die Geschichten kommen beim Publikum auch deshalb so gut an, weil fast jede*r jemanden in der Familie hat, der/die genau sowas erlebt hat. Das gibt den Musicals etwas Vertrautes und Persönliches.
Vergleiche mal „56“ mit „59“: Was macht „59“ für dich anders als „56“?
„56“ spielt noch sehr stark mit dem Gedanken der ‚Trümmerfrauen‘. Wir befinden uns in der Nachkriegszeit. Deutschland hat seine Identität verloren und ist auf der Suche nach einer neuen. In „59“ steuern wir auf ein neues Jahrzehnt zu und wir beginnen, diese neue Identität zu finden. Weg von grau und hin zu bunt. Weg von Einfachheit, hin zu Glamour. Diesen Unterschied sieht man deutlich in den Bühnenbildern und Kostümen. Bei „56“ ist alles sehr grau und die Bühne recht statisch. Bei „59“ explodieren die Farben und die Bühne ist konstant in Bewegung. Wie eben auch das Berlin an der Grenze zu den 60er Jahren. Das sind sehr unterschiedliche Stile, die die jeweiligen Zeitkapseln perfekt einfangen.
Was denkst du zu einem „Ku’Damm 63“ Musical? Wärst du dabei? Was müsste deine Helga da durchleben?
Aktuell denke ich nicht, dass es ein „63“-Musical geben wird. Aber wenn Peter, Ulf und Annette sich doch dazu entscheiden das anzugehen, dann wäre ich, besonders als Helga, natürlich dabei. Ich will niemanden spoilern, der die dritte Staffel noch nicht gesehen hat, aber Annette sagte damals beim Workshop zu „56“ schon zu mir: „In Staffel drei darf Helga dann auch endlich mal Spaß haben.“ und genau darauf wär ich natürlich bei einem „63“-Musical sehr scharf!
Wenn es keine Gender-, Geschlechts und Typecasting-Grenzen gäbe: Welche Rolle(n) würde(n) dich besonders reizen zu spielen?
Eine Rolle, die traditionell mit Männern besetzt wird, die ich aber unheimlich gern spielen würde, wäre Der Tod aus „Elisabeth“. Ich denke, es wäre wahnsinnig spannend, wenn man den Ansatz verfolgen würde, dass der Tod einem immer als ein Spiegel seiner selbst erscheint. Da es in der Show um Elisabeth geht, sollte der Tod meiner Meinung nach aussehen wie Sissi. Und das sollte auch so bleiben, auch wenn Elisabeth sich immer mehr zur Kaiserin entwickelt, so wäre der Tod dann trotzdem noch ein Abbild des Lebens, dass sie hinter sich gelassen hat – was tot zu sein ja bedeutet. Wenn der Tod Elisabeth dann am Ende küsst, so hat sie sich nicht in einen ‚heißen Lover‘, sondern in sich selbst verliebt und wäre, wie sie ja auch singt, sich selbst treu geblieben. Die Message würde mir sehr gut gefallen. Falls das jemand so inszenieren möchte – gern bei mir melden! [lacht]
Du arbeitest auch als Übersetzerin. Kannst du uns beschreiben, wie es dazu kam – und was die Arbeit als Übersetzerin ausmacht?
Ich habe nach meinem Musical-Studium tatsächlich noch angefangen „Trans-Kulturelle Kommunikation“, also Übersetzen, zu studieren. Ich habe schon Übersetzungen für Firmen angefertigt, aber auch schon Stücke übersetzt, zum Beispiel „The Trail to Oregon“, was mir natürlich noch mehr Spaß macht. Übersetzen heißt für mich ‚in eine andere Sprache übertragen‘. Vor allem bei Übersetzungen von Musical-Songs kommt es darauf an, das Gefühl des Originals beizubehalten. Das Metrum, das Reimschema, der (Sprach-) Witz, sie verleihen dem Lied seine Persönlichkeit. Ich übersetze nicht ‚einfach‘ – ich muss etwas Neues erschaffen. Es ist wie ein Puzzlespiel, zu versuchen den perfekten Ton zu treffen. Das fasziniert mich sehr.
Deine Schwester Helena ist auch Musicaldarstellerin. War das früher euer gemeinsamer Wunsch? Wie ist es, die Schwester im gleichen Berufsfeld zu wissen?
Meine Schwester und ich stehen sogar am liebsten gemeinsam auf der Bühne! Schon als Kinder haben wir für unsere Eltern jedes Musical und jeden Film als Two-Girl-Show zuhause nachgespielt. Wir unterstützen uns immer gegenseitig. Wir weinen miteinander, wenn ein Job nicht geklappt hat und wir feiern gemeinsam, wenn die andere einen Job gebucht hat. Mit das schönste Gefühl für mich ist der Stolz, der sich in mir ausbreitet, wenn ich meine Schwester auf der Bühne bestaunen darf.
Vielen Dank für diesen wirklich sympathischen, inspirierenden und offenen Einblick in deine Karriere und Perspektive als Künstlerin, liebe Pamina! Wir wünschen dir und auch deiner Schwester für die nächsten Engagements alles Gute. Egal ob Spiegelbild-Tod oder 63er-Helga, wir sind gespannt, was die Zukunft für dich bereit hält!
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