MJ The Musical (seit 03/2024)
Prince Edward Theatre, London

Die Londoner Inszenierung von „MJ“, die eine 1:1-Kopie der Broadway-Version darstellt, gibt Jackson-Fans das, was sie wollen: Eine visuell und akustisch ansprechende Zusammenstellung seiner bekanntesten Songs, ikonische Tanzmoves und einen glaubwürdigen Michael-Darsteller im Fokus – ein Konzert, das ihren Star wieder aufleben lässt. Für Fans des Musicalgenres allerdings wird das sehr dünne Buch, das nicht einmal ein ordentliches Biografical abdecken kann, eine Enttäuschung sein.

Am Broadway und am West End ist das Jukebox-Musical „MJ“ ein Kassenschlager, der ab Dezember 2024 mit Benét Monteiro in der Hauptrolle auch in Hamburg, von Stage Entertainment produziert, für ein volles Haus sorgen soll. Dabei wird Michael Jacksons Lebenswerk nicht zum ersten Mal auf die große Bühne übertragen: Die Musikshow „Thriller“ sorgte nahtlos bis zur Premiere von „MJ“ vor allem in Großbritannien und auf Welttournee dafür, dass Fans die gefeierten Songs live erleben konnten – sehr platt und gänzlich ohne Story. Bei „MJ“ soll mithilfe der Pulitzer-Preis-Trägerin Lynn Nottage ein dramaturgisch ausgefeiltes Musical den Künstler greifbarer machen. Das gelingt zwar im Vergleich zu anderen Jackson-Shows besser, das Buch enttäuscht aber weiterhin und wirft die Frage auf: Warum kann kein vernünftiges Biografical über Michael Jackson produziert werden, ohne in eine Revue-Show zu entarten?

Die Handlung setzt bei den turbulenten Generalproben zu Michael Jacksons Dangerous World Tour zwei Tage vor der Premiere am 27. Juni 1992 ein. Eingefleischte Fans wissen, dass diese Tour einen Negativ-Wendepunkt in Jacksons Karriere darstellte, da sie aufgrund der sich verschlechternden Gesundheit des King of Pop und wegen der aufkommenden Anschuldigungen des Kindesmissbrauchs verfrüht beendet werden musste; Zuschauern ohne Vorwissen wird die Relevanz des Settings nicht mitgeteilt und wirkt daher für das Stück komplett belanglos.

Der Rest der Handlung ist schnell erklärt: Investigativjournalistin Rachel versucht durch verdeckte Kameraarbeit pikante Informationen zu Jacksons Privatleben und seinem Medikamentenkonsum herauszufinden. Sie gelangt in wiederholten Kurzinterviews während der Probenphase zur Konzerttour an mehr oder weniger bekannte Hintergrundgeschichten, die von Jacksons schwieriger Kindheit, seiner Zeit bei den Jackson Five und dem Verhältnis zu seinem Vater bis zu seiner Abnabelung vom Familiengeschäft zu seiner Solo-Karriere reichen. Diese Episoden werden durch einschlägige Songs revueartig mit kleinen Text-Passagen präsentiert, wobei der Hauptdarsteller immer wieder dissoziierend von Vergangenheit in Gegenwart umschlägt – zum Teil durch die Fragen der Journalistin, zum Teil durch sein künstlerisches Umfeld ausgelöst.

Ein dramaturgischer Aufbau ist ansonsten nicht erkennbar, kein sich aufbauender Konflikt, keine Spannung. Das Aktfinale stellt eine Pressekonferenz dar, bei der Michael nicht zu seinem Konzert, sondern den aufkeimenden Skandalen befragt wird und daraufhin zusammenbricht. Dass eine Konferenz ansteht, wird zwar im ersten Akt immer wieder erwähnt, aber diese Anbahnung ist zu schwach dargestellt, als dass sie als dramatischer Höhepunkt eines Musicals überzeugen kann. Selbiges gilt für das Finale des zweiten Aktes, in dem Journalistin Rachel nach einer kunterbunten Reise ins kindliche Innenleben Jacksons bei einer der vielen Revue-Episoden fast schon beseelt die Probenlocation verlässt, während MJ den Auftakt des Konzertes in München bestreitet. Die einzig wirklich schöne Idee des Buches ist, dass das Kreativteam von Michael, das ihn bei den Proben hektisch und fordernd umschwirrt, für die Rückblick-Episoden immer wieder in die Rollen seiner Vergangenheit hereintritt – so wird aus dem Choreographen einer von Michaels Brüdern, aus dem Tourmanager sein Vater, aus der Background-Sängerin seine Mutter, aus den Tänzern werden Starproduzenten Quincy Jones und Berry Gordy. Von einer Pulitzer-Preisträgerin für Theater hätte man jedoch mehr erwarten können.

Das Bühnenbild mimt eine Backstage-Probenlocation, die durch wenige Requisiten und einen großen LED-Bildschirm, der die Bühnenrückseite abdeckt, gezeichnet wird. Während Jacksons Retrospektiven verwandelt sich das Bild mithilfe wechselnder Projektionen – aber auch durch das Einfahren teils opulenter Showrequisiten – in beeindruckender Dynamik, sodass visuell ansprechende Bilder schlaglichtartig entstehen und wieder verschwinden. Derek Mclanes Szenendesign entfaltet zusammen mit Peter Nigrinis Projektionsdesign und Natha Katzs Lichtdesign die volle Wirkung. Auch Paul Tazewells Kostümdesign trägt zum visuellen Genuss der Inszenierung bei – wie für eine MJ-Show zu erwarten, fangen Tazewells Kostüme die jeweilige Ära des Kings of Pop minutiös ein und entfalten auch beim Publikum die gewünschte Wow-Reaktion, vor allem, als sich Jackson den ikonischen Glitzerhandschuh und seinen Fedora überstreift, jubeln die Fans im Auditorium. Auch die weltbekannten Songs „Thriller“ und „Smooth Criminal“ werden mit aufwändigem Kostümbild perfekt umgesetzt.

In der Setlist des Stücks fehlt natürlich kein Hit von Michael Jackson – sie alle werden visuell einwandfrei präsentiert, durch die volltönende, bestens besetzte Band interpretiert und mit Tanzeinlagen gespickt, die in Staunen versetzen. Regisseur Christopher Wheeldon zeichnet auch für die grandiosen Choreographien verantwortlich, die jeden Jackson-Fan in Wallung versetzen dürften. Jeder Move, jede Bewegung und jeder Tanz ist akribisch aus MJs Set übernommen und wird vom – nicht umsonst mit Preisen überhäuften – Ensemble fantastisch umgesetzt. Auch die nicht als Jackson-Conaisseure identifizierbaren Zuschauer sind durch die schiere Dynamik der Choreographien aus dem Häuschen – hier wird visuell Großes geboten.

Aus dem Ensemble stechen vor allem Phebe Edwards und Ashley Zhangazha heraus, die Michaels Eltern Katherine und Joseph Jackson spielen. Ihnen gelingt es mit beeindruckender Körpersprache, in den retrospektiven Episoden in die Figuren hineinzutreten, um kurz darauf wieder zu Jacksons Konzertensemble zu werden. Edwards beeindruckt mit ihrer nuancierten Gesangsstimme zu „I’ll Be There“, während Zhangazha überzeugend den antagonistischen Vater in „For the Love of Money“ mimt. Michael Jacksons Rolle wird dreigeteilt: Neben dem täglich alternierenden Kinderdarsteller, der Michael bei den Jackson Five zeigt, spielt Mitchell Zhangazha den jugendlichen Jackson aus der „Thriller“-Ära. Diese Besetzung ist ein Glücksgriff: Zhangazha erweckt mit seinem tänzerischen Talent und der zum Verwechseln ähnlichen Stimme den aufstrebenden Superstar mit Perfektion. Myles Frost setzt dem Ganzen als titelgebender MJ die Krone auf. Er verschmilzt mit der Kunstfigur Michael Jackson als aus der Metamorphose seiner Vergangenheit entstiegener King of Pop mit einer überwältigenden performativen Ähnlichkeit, die sich bis in die Stimmfarbe, den Duktus und die beiläufige Gestik ausweitet. Frost kommt Jackson in seiner Darlegung unfassbar nahe und sorgt gesanglich, aber vor allem auch durch die in Staunen versetzende tänzerische Interpretation, für Begeisterungsstürme. Zurecht wurde Frost für seine Verkörperung von MJ an Broadway und nun auch am West End frenetisch gefeiert.

So ein Ausnahme-Match zwischen Darsteller und verkörperter Ikone gibt es selten. Abzuwarten bleibt, ob diese Symbiose in Hamburg auch gelingt.