Das Musical-Filmdrama von Blitz Bazawule ist ein mutiges Remake, das auf einem von großen Namen und zahllosen Auszeichnungen getragenen Erbe fußt. Überragende Stimmen, berührende Charakterdarstellungen und der zeitlose Stoff machen diesen Film zu einem Muss für Musicalfans.
Die Erfolgsgeschichte von „Die Farbe Lila“ (Originaltitel: „The Color Purple”) ist bemerkenswert: Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Briefroman von Alice Walker, der über die Lebensbedingungen sowie die soziale Stellung afro-amerikanischer Frauen in den US-Südstaaten des frühen 20. Jahrhunderts berichtet und Themen wie patriarchale Unterdrückung, lesbische Liebe, Rassismus, Inzest, die Zwei-Klassen-Gesellschaft und die Suche nach den kulturellen Wurzeln thematisiert, war ein Welterfolg. Schon drei Jahre nach der Buchveröffentlichung verfilmte Steven Spielberg den Stoff 1985 mit Danny Glover, Oprah Winfrey und Whoopi Goldberg, die mit dem Film ihr Schauspieldebut gab, in der Hauptrolle. Das für 11 Oscars nominierte Melodram wurde 2005 als Musical inszeniert, für 11 Tonys nominiert, mehrfach auf US-Tour geschickt und zuletzt 2015 am Broadway mit großen Namen wie Cynthia Erivo, Jennifer Hudson und Heather Headley erfolgreich aufgeführt. Nun wurden Buch, Film und Bühnenstück zum neuen, erneut von Oprah Winfrey und Steven Spielberg produzierten Musicalfilm verwoben, in dem Fantasia Barrino und Danielle Brooks ihre Musical-Rollen Celie und Sofia für die Leinwand wieder aufnehmen.
Für die Neuverfilmung wurden 11 zum Teil gekürzte Lieder aus dem Musical (Songs: Brenda Russell, Allee Willis, Stephen Bray) – darunter „Hell, No!“, „Push Da Button“ und „I’m Here“ – sowie die zwei einzigen gesungenen Songs aus dem Originalfilm – „Miss Celie’s Blues (Sister)“ und „Maybe God’s Tryin‘ to Tell You Somethin“ – übernommen und um vier eigens für den neuen Film komponierte Gesangsstücke ergänzt: „She Be Mine“, „Keep It Movin'“, „Workin'“ und „Agoo“. Dabei werden die meisten Songs durch modernere Arrangements stilistisch eher in eine RnB-Richtung neu interpretiert und verlieren zum Großteil ihren ursprünglichen Klang, der je nach Lied zwischen Country, Blues, Gospel und Jazz variiert. Anleihen benannter Genres sind vor allem am Anfang der Songs dennoch gut zu hören, bevor sie sich dann in zeitgenössischere Tunes hineinsteigern. Die Lieder sind stimmlich und interpretatorisch durchweg hervorragend dargeboten, was der Besetzung zu verdanken ist, die ausschließlich aus professionellen SängerInnen von Genres zwischen Musical, Gospel und RnB besteht.
Fatima Robinsons Choreographien sind so elektrisierend, dass sie auf manchen Zuschauer schon aufdringlich wirken könnten. Stilistisch bringt Robinson von Hiphop über Stepptanz, lateinamerikanische Tanzmoves, afrikanische Stammestänze und Contemporary Dance zahlreiche Einflüsse in ihre Bewegungsabläufe ein und vermischt geschickt ihre Choreographie mit den Alltagstätigkeiten der Figuren. Erfrischend zeigt dieser Film, dass er keine Angst davor hat, zu zeigen was er ist: Ein Musicalfilm mit Gesang und Tanz, der von Bühnenmusicals inspiriert ist.
Das Erzähltempo ist im Vergleich zum beliebten Originalfilm deutlich angezogen, was es schwerer macht, sich emotional in die Geschichte und die Figuren einzufinden. Wo der ursprüngliche Film viel Zeit auf die krasse Darstellung von Gewalt und auch psychischer Misshandlung legt, nutzt die Neuverfilmung seine Ressourcen für den Musical-Aspekt des Films, was ihn als Ganzes seichter daherkommen lässt.Andererseits verleihen die monologischen Songs vor allem der Figur Celie mehr Tiefe. Dafür bleiben die zwischenmenschlichen Beziehungen im Vergleich zum Originalfilm, der sein größtes dramatisches Potenzial aus dem Zerrütten jener schöpft, etwas weniger beleuchtet. Anrührend bleibt aber das Verhältnis zwischen den drei Hauptfiguren der Erzählung: Celies freundschaftliche Bande zu Sofia und ihre innige Liebe zu Shug kommen auch in der Neuverfilmung wunderbar zur Geltung.
Während der Originalfilm in Sachen lesbischer Liebe ganz behutsam, fast schon als Understatement arbeitete, bekommt die Musicalverfilmung eine kitschige Ziegfeld-Tanzszene zwischen Celie und Shug zum Song „What About Love“. Das mag polarisierend wirken, macht aber Celies strahlende Bewunderung für die selbstbestimmte Shug Avery deutlich und funktioniert überraschend gut. Die durchweg antagonistische Darstellung der Männer im Originalfilm wird in dieser Version etwas aufgebrochen: Mister ist zwar immer noch der sinnbildliche „Teufel“, als der er in die Erzählung eingeführt wird, doch erhält seine Figur mehr Dreidimensionalität und Tragik. Er wird hier als klassischer Fall von Trauma-Weitergabe und Weltverdruss charakterisiert, sodass es am Ende zur Aussöhnung kommt. Im Originalfilm bleibt Mister bis zum Ende, trotz seiner Hilfe bei der Wiedereinreise von Nettie aus Afrika, geächtet und für sein Leben gestraft. So ist das Thema ‚Vergebung‘ anders als im Original ein weiterer zentraler Ankerpunkt der Erzählung, der hier herausgearbeitet wird.
Im Gegensatz zu vielen Musicalfilmen, in denen mehr Wert auf große Namen als auf große Stimmen gelegt wird, wartet „Die Farbe Lila“ mit stimmgewaltigen Performern auf, von denen jede einzelne vollends begeistern kann. Dass Fantasia Barrino, die Celie schon im Bühnenmusical gab, für ihre berührende und starke Darstellung keine Oscarnominierung erhalten hat, ist eigentlich skandalös. Anders als ihr überstarkes Rollenvorbild Whoopi Goldberg legt sie die Rolle mit mehr innerer Stärke an, die dem Elend trotzt und nicht in ihm unterzugehen droht. Die großen Momente des Films, allen voran ihre Befreiung von Mister und der Fluch, den sie auf ihn legt, sind markerschütternd authentisch interpretiert, sodass sie sich vollends aus Goldbergs Schatten herausspielen kann. Gesanglich ist Barrinos Höhepunkt eindeutig die Selbstfindungshymne „I’m Here“, in der sie erstrahlt und zu Tränen rührt.
Colman Domingo interpretiert die Figur des Mister mit zuweilen sanfter Mimik nicht durchgängig antagonistisch, sondern betont die tragische Seite der Figur als eine Art ‚Verlierer der Gesellschaft‘, was zu gefallen weiß. Corey Hawkins als Misters Sohn Harpo ist die einzige männliche Figur mit durchgängiger Sympathie, dem es gelingt, seinen Charakter als Ausbrecher aus dem Generationstrauma seiner Familie zu zeichnen.
Halle Bailey als junge Nettie fungiert mit ihrem energetischen und leidenschaftlichen Schauspiel sowie ihrer klaren Gesangsstimme als Lichtstrahl der Erzählung. Für das Publikum wird durch Baileys berührendes Spiel die Trauer schmerzlich spürbar, als Nettie und mit ihr zunächst auch der letzte Funken Leichtigkeit aus der Handlung verschwindet.
Danielle Brooks hat Sofia bereits auf der Bühne verkörpert und glänzt in jedem ihrer Filmauftritte. Der Weg von frecher Göre zur Matriarchin und hinab zur durch eine sechsjährige Isolationshaft gebrochenen Mutter, die gegen die Misshandlung sowohl durch Männer also auch durch die weiße Bevölkerung gerade steht, ist beeindruckend gelungen. Zurecht wurde Brooks für diese Darstellung für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert – was leider die einzige Nominierung für diesen Film bleibt. Ihr Ausbruchslied „Hell, No!“ ist sogar noch mitreißender als im Bühnenmusical inszeniert und bekommt durch Brooks eine gehörige Portion Bissigkeit.
Taraji P. Henson gibt eine herrschaftliche Shug, die auch eine überaus zügellos-frivole Seite an sich zelebriert. Ihre Charakterdarstellung unterscheidet sich vielleicht am meisten von der Figur im Originalfilm: Viel stärker und selbstbewusster tritt Shug in diesem Film auf, während sich hinter dem Glitzer und Glamour von Margaret Averys Original-Shug eine tief gebrochene Frau verbirgt. Die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung ihres Vaters wirkt bei Hensons Shug eher wie eine Hoffnung innerhalb ihres ansonsten schnörkellosen Lebens, während sie bei Avery als Shugs einziger rettender Lebensanker herausgearbeitet wurde. Stimmlich wie darstellerisch begeistert Henson durchweg in all ihren Liedern, wobei vor allem das ikonische „Sister (Miss Celie’s Blues)“ durch ihre fabelhafte Soulstimme wunderbar frisch im neuen Film einen Platz findet.
Der RnB-Sängerin H.E.R. gelingt es, ihrer Randfigur der Squeak einen erinnerungswürdigen Platz an der Seite der drei Powerfrauen zu erspielen. Aufgrund ihrer tollen Stimme hätte man sich auch ein Solo für diesen Charakter gewünscht, der glücklicherweise als Add-On mit dem Titel „Squeak’s Song“ auf dem Filmsoundtrack zu hören ist. Tamela Mann als First Lady gibt eine gehörige Portion Gospel-Pfeffer in den Opener des Films „Mysterious Ways“ hinein, der sogar schwungvoller als die Musical-Version daherkommt.
Phylicia Pearl Mpasi als junge Celie steht in ihrer Darstellung der von Barrino in nichts nach und berührt schauspielerisch in den dramatischen Szenen, allen voran der gewaltsamen Trennung von ihrer geliebten Schwester Nettie. Auch gesanglich überzeugt sie mit ihrem großen Solo „She Be Mine“. Als erwachsene Nettie ist das bekannte Allround-Talent Ciara gegen Ende des Films zudem eine willkommene Überraschung, die wieder dasselbe Licht in den Film bringt, das ihre jüngere Inkarnation Halle Bailey ausstrahlte.
Und zu guter Letzt: Wer sich denkt „‚Die Farbe Lila‘ geht nur mit Whoopi Goldberg!“, der wird über einen kleinen, aber feinen Cameo-Auftritt erfreut sein! Diese mutige Neuverfilmung ist für alle Musicalfans und Liebhaber starker Frauengeschichten eine große Empfehlung.
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