Das aufgrund von während der Corona-Pandemie entstandenen Verluste frühzeitig eingestampfte Mammut-Musical „Prince of Egypt“ aus der Feder von „Wicked“- und „Glöckner von Notre-Dame“- Schreiber Stephen Schwartz erfährt eine Wiedergeburt in Form einer Live-Aufnahme des Bühnenstücks, die zunächst als Streaming-Film und demnächst als DVD und BluRay erscheint.
Das Musical über die biblische Gestalt des Moses und seinen Stiefbruder Pharao Ramses den Großen basiert auf dem gleichnamigen Animationsfilm aus dem Jahr 1998 und ist unter anderem für den durch Whitney Houston und Mariah Carey berühmt gemachten Welthit „When You Believe“ bekannt.
Das geplagte Volk der Hebräer in Ägypten ruft seinen Gott um Erlösung an. Moses wird von seiner Mutter den Fluten des Nils übergeben, um ihn vor einem Massenmord durch den Pharao Seti zu retten, und als Findelkind an den Königshof geschwemmt, wo ihn die Königin annimmt. Jahre später wird er als ewig Zweiter in der Thronfolge von seinem geliebten Bruder Ramses, dem zukünftigen Pharao, befördert und begegnet auf der dazugehörigen Feier der gefangenen Midianiterin Tziporrah, die später entkommt. Auf der Suche nach ihr trifft Moses auf seine leibliche Schwester Miriam, die ihn an seine Herkunft erinnert. Moses konfrontiert seine vermeintliche Familie mit der bitteren Wahrheit seiner Herkunft. Schließlich flieht er in die Wüste und lässt einen trauernden Ramses zurück. Er gelangt in das Dorf von Tziporrah, wo er mit offenen Armen von ihrem Vater Jethro empfangen wird. Während seiner Zeit bei den Midianitern lernt Moses, was im Leben wirklich zählt und verliebt sich in Tziporrah, die er schließlich heiratet. Als Moses von Gott den Auftrag erhält, die Hebräer aus Ägypten zu befreien, steigt zeitgleich Ramses zum neuen Pharao auf. Nach einem freudigen Wiedersehen der Brüder muss Ramses sich eingestehen, dass er den Wünschen seines Bruders Moses nicht nachkommen darf, woraufhin Moses den Willen Gottes in Form der Plagen über das Land bringt. Der Konflikt zwischen den Brüdern eskaliert und schließlich kommt es zur entscheidenden Begegnung im von Moses geteilten Meer.
Das Buch hält sich eng an die Filmvorlage und baut die Figur des Ramses zur zweiten Hauptfigur aus, die der des Moses fast ebenbürtig ist. So kann der Titel „Prince of Egypt“ auf beide Hauptcharaktere gemünzt sein. Eine große Anzahl an Nebenfiguren, die allesamt handlungsrelevant sind, vermittelt ein epochales Gefühl – beinahe, als wäre dies ein Historienepos als Musical. Der Großteil der sehr opulent angelegten Melodien lebt von ausufernden Chorsätzen und wuchtigen Orchestrierungen, ähnlich dem „Glöckner von Notre-Dame“ von Disney, die im Dominion Theatre bravourös und überwältigend vertont wurden. Dabei sind alle Lieder der Filmvorlage verarbeitet und zahlreiche, leider zumeist im Vergleich zu den Originalsongs deutlich schwächere, Lieder neu geschrieben worden. Mehrere klug kompilierte Reprisen bringen die nötige Rückbesinnung der Figuren auf vergangene Ereignisse und Konfrontationen mit sich und werden so für den Handlungsverlauf und die Motivationen der Charaktere integrale Bestandteile des Stücks. Durch die schiere Zahl an Figuren werden viele von ihnen etwas stiefmütterlich behandelt und haben wenig Anteil am roten Faden der Geschichte, die sich aufgrund des doppelten Fokus sowohl auf Moses als auch auf Ramses deutlich langwieriger präsentiert als in der Filmvorlage.
Das Bühnenbild ist detailverliebt und lebt durch schiere Größe, die auch durch hochwertige Projektionen generiert wird. Auch hier bekommt man den Eindruck eines Monumentalfilms, was zu beeindrucken weiß. In fließenden Übergängen entstehen riesige ägyptische Palastanlagen, Wüsten und Grotten. Ausgefeilte und ausdrucksstarke Choreographien gibt es in „Prince of Egypt“ buchstäblich wie Sand am Meer: Das überaus bewegungsfreudige und im Tanzmetier extrem versierte Ensemble drückt durch die choreographischen Abläufe deutlich mehr aus als die Liedtexte: Am Anfang bewegen sie sich gequält und von ihren Lasten gepeinigt als Sklaven über die riesigen Baustellen, später tanzen sie, wie ägyptische Wandmalereien posiert, auf den Feiern des Königshauses. Volkstümliche und von akrobatischen Elementen durchzogene, hoch dynamische Tänze zeigt das Ensemble bei „Through Heaven’s Eyes“ und dem Befreiungslied „Simcha“. Besonders eindrucksvoll wird das Tänzerische aber, wenn das Ensemble nicht-menschliche Strukturen darstellt, wie das fließende Wasser des Nils im „River Lullaby“, die wabernden Wüstendünen in „Moses in the desert“ oder das sich teilende Meer nach „When you believe““. Die Bilder, die hier erzeugt werden, sind einzigartig fantasievoll choreographiert, sodass das Ensemble zu einer symbiotischen Einheit zusammenschmilzt. Großes Kino!
Die Kostüme treffen zu einem großen Teil zwar aufgrund moderner Elemente nicht den monumentalen Tonus des restlichen Stücks, lassen aber durch eben jenes auch das Stück und seine Akteure zeitlos werden. Ästhetisch ansprechend werden altägyptische Trachten und Farbschemata von damals mit modernen Schnitten und Haarstilen kombiniert, um die Hauptfiguren aus dem Jahrtausende alten Setting zu entrücken, was durchaus gelingt.
Die Hauptdarstellerriege glänzt nahezu ohne Einschränkungen. Debbie Kurup gibt eine stimmgewaltige Königin Tuya und füllt ihre kleine Rolle mit Herzblut in ihren Reprisen aus „All I ever wanted“. Joe Dixon als Pharao Seti gibt den idealen Gegenpart zu Kurup und zusammen verkörpern sie ein durchaus Ehrfurcht gebietendes, dennoch im Kern liebevolles Ehepaar. Mercedesz Csampai als Moses Mutter Yocheved gelingt direkt zu Anfang mit „River Lullaby“ ein emotionaler Gänsehautmoment, der auch bei ihren Reprisen im späteren Handlungsverlauf, wo sie als Geist in Moses Erinnerung auftritt, nichts an Strahlkraft einbüßt. Adam Pearce als Hohepriester Hotep donnert mit wuchtigem Bass-Bariton seine Parts in „Deliver Us“, in denen er die ägyptischen Götter markerschütternd anruft und sich als wahrer Antagonist des Musicals entpuppt. Gary Wilmot gelingt als Jethro mit der Hymne „Through Heaven’s Eyes“ ein musikalischer Höhepunkt, der aufgrund seines Impakts auch das Finale des ersten Aktes hätte sein können. Alexia Khadime verkörpert ihre Miriam mit bestimmender Forschheit, die nur im Zusammenspiel mit Moses mütterliche Sentimentalität dazugewinnt. Ihr Duett „When You Believe“ mit Christine Allado als Tziporrah ist wunderschön und berührend. Allado gibt die charakterlich differenzierteste Darbietung der Show mit ihrer temperamentvollen, leidenschaftlichen Tziporrah, die in „Dance to the Day“ und „Never in a million years“ zudem beeindruckende Riffs zeigt. Liam Tamne und Luke Brady als Ramses und Moses wirken zunächst wie junge Rüpel, die später zusehends an Bedrücktheit und Weltenschmerz gewinnen, aber im Vergleich zu ihrem Supporting Cast auf sich gestellt irgendwie immer etwas blass zurückbleiben. Im Zusammenspiel allerdings entfaltet sich vor allem in den beiden Aktfinalen ein stimmliches Feuerwerk, als würden Tamne und Brady sich gegenseitig potenzieren. Die anderen Figuren tragen die beiden Titelcharaktere durch die Geschichte, und dabei singen die beiden Herren ordentlich und sehen schneidig aus – für mehr reicht es aber leider nicht.
Die filmische Umsetzung der Bühnenadaption von „Prince of Egypt“ wirkt in den meisten Teilen sehr harmonisch und differenziert. Stets wird eins von vielen Bildern, die gleichzeitig auf der Bühne entstehen, in den Fokus gerückt, was die Aufnahme stellenweise etwas hektisch macht. Insgesamt wirkt sie aber wegen der vielfältigen Kameraeinstellungen und -winkel sehr immersiv und ist durchaus sehenswert. So bleibt dieses Monumental-Musical der Nachwelt erhalten, in der Hoffnung, dass es doch noch einmal den Weg auf eine große Bühne finden wird!
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