Den Vereinigten Bühnen Wien ist in Zusammenarbeit mit Disney eine bemerkenswerte Cast-Aufnahme der Wiener Produktion von „Der Glöckner von Notre Dame“ gelungen, die keine Wünsche offen lässt. In einer Zeit, in der kaum noch CDs von Musicals veröffentlicht werden, ist gerade eine Gesamtaufnahme als Doppel-CD etwas Besonderes, was Disney und die VBW auf dem deutschsprachigen Markt hier erstmals ermöglicht haben.
Die Doppel-CD macht schon auf dem ersten Blick einen hochwertigen Eindruck und enthält ein liebevoll gestaltetes, 30-seitiges Booklet – zwar ohne Songtexte, dafür aber mit vielen Szenenbildern aus der Produktion in Hochglanz-Optik, die einen guten Einblick in die Produktion vermitteln.
In hervorragend sattem Klang überzeugt der erste Titel direkt nach Einlegen der CD bzw. des Öffnens des Albums auf den gängigen Streaming-Plattformen: Das lateinische Opening „Olim“ und der epochale chorale Übergang zu „Der Klang von Notre-Dame“ lässt wohlige Gänsehaut am ganzen Körper auftreten. Der Chor, die Solisten und das opulente VBW-Orchester unter Leitung von Michael Römer schmettern im Einklang Alan Menkens und Stephen Schwartzs epischen Melodien mit Herzblut und Perfektion. Direkt der zweite Track dauert über 15 Minuten, was jedem „Glöckner“-Fan einen freudigen Herzsprung verursachen dürfte. Die ausführliche und nahezu durchkomponierte Einführung in die Handlung, in der die Ursprungsgeschichte des Glöckners und seines Ziehvaters Frollo erzählt wird, ist erstmals komplett ohne Einkürzungen der Dialoge originalgetreu zu hören. Endlich folgt diese Eröffnungsnummer auch auf einer Aufnahme einem nachvollziehbaren Narrativ – dies war bei der Berliner CD von 2017 nicht der Fall – ganz zu schweigen von den teilweise bis zur Schmerzgrenze geschnittenen CD-Versionen aus den USA von 2015 oder der japanischen Audio-Version von 2017.
Außerdem fällt der für dieses Musical eigentlich zwingend nötige, satte orchestrale und chorale Klang angenehm auf, den einige der Vorgängerversionen leider vermissen lassen. Lediglich die Highlights-CD der Uraufführung von 1999 aus Berlin, in der die Handlung und Setliste noch näher am Disneyfilm orientiert waren, kann mit annähernd vollen Orchester- und Chorklängen wie die Wiener Gesamtaufnahme aufwarten.
Dass die neue VBW-Aufnahme auch die bisher einzige Gesamtaufnahme dieses Stücks ist, ist wohl der größte Pluspunkt dieses Castalbums. Nahtlos gehen die einzelnen Tracks ineinander über, auch der Applaus zwischen den einzelnen Liedern wurde beibehalten. Grob orientiert sich ein Track immer nach einem Lied, das von Dialogen umrahmt wird, die zum Song hinleiten und die dazugehörige Szene weitertragen. So wird das ganze Stück in Originallaufzeit des Musicals wiedergegeben – keine Selbstverständlichkeit, wird doch in anderen „Gesamtaufnahmen“ gerne auch hier und da mal etwas geschnitten, bevor sie veröffentlicht werden. Hier hat man wohltuend auf Schnitte verzichtet. Sämtliche zuvor schmerzlich vermissten, zum Teil sehr eindrucksvollen Zwischenpassagen, Reprisen und Instrumentale sowie starke Dialoge, wie beispielsweise die Konfrontationen von Frollo und Esmeralda, sind nun erstmals auf einer Aufnahme zu hören!
Auch die Abmischung ist perfekt: Der Chor hält sich in den Solo-Parts dezent im Hintergrund, während er in den explizit choralen Passagen überwältigend groß und voll klingt. Das Darsteller-Ensemble ist glockenklar abgemischt, sodass jedes Wort – auch in den Gruppennummern – deutlich verständlich ist ! Das Orchester ist zu den einzelnen Songs immer perfekt austariert, sodass die Stimmen der Hauptdarsteller stets im Fokus sind. Alles wirkt tonal symbiotisch aufeinander abgestimmt – und Störgeräusche, Mikrofonprobleme oder ungleiches Volumen sind nirgends auszumachen.
Die Besetzung strahlt stimmlich genauso wie in der Bühnenversion und scheint im Vergleich zu letzterer nochmal mehr auf deutliche Artikulation und stimmliche Transportation der Gefühle zu achten, um die nicht sichtbare Mimik und Gestik zu kompensieren, was hervorragend gelingt. David Jakobs, der schon auf der Berliner-Version von 2017 als Quasimodo zu hören ist, klingt im Vergleich noch einmal stimmlich gereifter und in seiner Rolle angekommen, vor allem in seinen Soli „Draußen“ und „Wie aus Stein“. Abla Alaoui als Esmeralda brilliert mit warmen Vocals und leidenschaftlichem Schauspiel in der Stimme – sowohl in den frivolen Passagen wie „Rhythmus meines Tamburins“ als auch in emotionalen Songs wie „Hilf den Verstoss‘nen“.
Andreas Lichtenberger gibt einen gestrengen Erzdiakon Frollo mit stakkatischem Duktus und volltönendem Bariton in „Zuflucht“ und dem großen Solo „Ein Feuer der Hölle“. In „Esmeralda“ und „Der Übergriff“ ist sein stimmliches Schauspiel so einprägsam und stark, dass es bleibenden Eindruck hinterlässt. Auch Roy Goldman als Phoebus gelingt der stimmliche Transfer auf CD eindrücklich und stimmstark. Sowohl sein Solo „Spaß und Freude“ als auch seine Duette mit Alaoui „Ort der Wunder“ und „Einmal“ sind emotionale Höhepunkte der Aufnahme. Mathias Schlung kann mit seiner einfühlsamen Stimme als erzählerhaft fungierender Clopin die Hörer in die Geschichte führen und nach dem Klimax am Ende wieder behutsam aus der Geschichte entlassen, brilliert aber auch als aufgedrehter Stimmungsmacher in „Drunter Drüber“.
Die letzten 10 Minuten des ersten Aktes mit dem Titel „Esmeralda“ und vor allem das in fünf Tracks aufgeteilte Finale des Stücks sind so mitreissend, dass man sich direkt ins Theater zurückversetzt fühlt und das Musical vor dem inneren Auge gleichzeitig wieder auflebt – großes Kino, bei dem kein Auge trocken bleibt. Um nach der Reise in die dramatische und traurige Welt des Glöckners von Notre Dame am Ende wieder durchatmen zu können, ist sogar die Exit-Melodie als Track angehängt. Ganz, als wenn man sich nach einem wundervoll emotionalen Theaterabend wieder in die Realität nach „Draußen“ begibt, entlässt uns auch diese rundum perfekte Aufnahme wieder aus ihrem Bann. Unbedingt hörenswert und Achtung: Es besteht Suchtgefahr!
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