"Bethlehem" © Stiftung Creative Kirche
"Bethlehem" © Stiftung Creative Kirche

Bethlehem (seit 12/2023)
ZAG-Arena, Hannover

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Das Chormusical „Bethlehem“ bringt als Projekt der Creativen Kirche die Weihnachtsgeschichte in die Lebenswirklichkeit der 2020er Jahre. Neue Lieder von Michael Kunze und Dieter Falk, die modern arrangiert sind und eine Sprache nutzen, die heute jedes Kind versteht, machen „Bethlehem“ zu einer Adaption der biblischen Vorlage für die ganze Familie, indem sie mit der Nutzung von Märchenelementen auch ein nicht-christliches Publikum anzusprechen vermag. Verschiedene Musikrichtungen bedienend und optisch gekonnt minimalisiert steht neben den neun Solisten der große Star des Abends im akustischen und atmosphärischen Mittelpunkt: der Megachor mit rund 3000 Mitgliedern aus allen Teilen der Republik.

Es ist im Advent 2023. Die Eishockey-Arena, der PSD-Bank-Dome, wird zum Schauplatz der Geschichte, die in dieser Zeit vielleicht das größte Potenzial hat, das Publikum zu unterhalten und zu berühren. Der Bezug zu aktuellen politischen Geschehnissen kann niemand von der Hand weisen. Die Geburt des Kindes könnte die eines jeden sein. Das Leben als größtes Geschenk eines Schöpfers ansehen. Die Hoffnung auf Frieden im eigenen Inneren und in der weiten Welt – wenn das nicht weit mehr als ein frommer Wunsch ist! Von der Symbolik der Geschichte dürfen sich die meisten angesprochen fühlen.

Julia Lissel führt in der Rolle der Erzählerin in das heutige von Hass und Gewalt zerrissene Bethlehem. Die Ouvertüre spendet die erste Gänsehaut am Abend, als sich der gesamte Chor im Hintergrund der Bühne erhebt und in den Chorus einstimmt. Der Zuschauer blickt mit Lissel in den „Brunnen der Vergangenheit“ und sieht, dass „Gott, der drei Namen trägt“, in Bethlehem für drei Weltreligionen einen besonderen Schauplatz kreiert hat und vor besondere Herausforderungen stellt. So will das Bühnenstück nicht missionieren. Das Publikum schaut, wie aus der Zeit gefallen, auf Maria und Josef, die als Menschen in Not auf der Suche nach Asyl sind und abgelehnt werden. Nachdem sie der Fremdenfeindlichkeit in Bethlehem begegnen, finden sie Unterschlupf im Stall. Drei Astrologen beobachten ein Phänomen am Sternenzelt, was dem brutalen König Herodes zugetragen wird. Dieser lässt die Sterndeuter festnehmen und sie nur unter der Bedingung wieder frei, den angekündigten neuen König ausfindig zu machen und an ihn zu verraten. Gleichzeitig erscheint der Engel der Verkündigung den Ärmsten der Gesellschaft, während Maria und Josef durch das Kind, das nicht von Josef ist, ihre Beziehung auf die Probe gestellt sehen.

Maria und Josef wissen beide, dass ihr Kind ein besonderes ist und Gott im besonderen Maße verbunden sein wird, wodurch sich auch für sie beide auf eine herausfordernde Zukunft schließen lässt. Treu steht Josef Maria bei. Die drei Sterndeuter besuchen das Kind im Stall und bieten ihre Geschenke dar, wobei das Geschenk der Myrrhe hervorgehoben eine Verheißung auf Qual und Kummer für das Kind ist. Maria spricht Jesus ewige, bedingungslose Liebe zu („Du wirst stets mein Kind sein“). Der Engel und die Hirten, denen dieser erschienen war, verbreiten unterdessen die frohe Botschaft. Da die Sterndeuter sich zur Flucht vor Herodes entschließen, trägt dieser seiner Handlangerin Mamba auf, alle Neugeborenen zu töten. Sie widersetzt sich ihrem Gebieter und vergiftet ihn mit ihrem „Nachtwein“. Währenddessen fliehen Maria und Josef nach der Warnung durch den Engel mit Jesus nach Ägypten. Die Geschichte scheint sich bereits in sich selbst zu wiederholen, da sie erneut Fremdenhass ausgesetzt sind. Schließlich erlöst der Engel die Heilige Familie mit der Nachricht von Herodes‘ Tod und die drei können sicher ins Heimatland zurückkehren.

Die bekannten Erzählstränge werden in „Bethlehem“ neu miteinander verwoben, halten jedoch bis auf die Vergiftung von Herodes keine Überraschungen bereit. Doch der deutliche Bezug zur heutigen Lebenswirklichkeit und Themen wie Fremdenhass, Terror- und Gewaltherrschaft, die nicht nur in aktuellen Konflikten im Nahost-Gebiet wiederzufinden sind, erschreckt und stimmt nachdenklich.
Die Inszenierung unter der Leitung von Gil Mehmert verzichtet auf ein spektakuläres Bühnenbild und jegliches Chichi, das von der Kraft der Botschaft und der gigantischen akustischen Kulisse ablenken könnte. So reisen Alina Ju Tschin Simon als Maria und Benjamin Oeser als Josef mit einem Einkaufswagen, der später als Krippe für das Jesuskind dient. Die neun beleuchteten Großbuchstaben (B E T H L E H E M) werden für rasche Umbauten genutzt: Der Stall wird improvisiert, Herodes thront neben dem blutrot beleuchtetem „H“, die Regenbogenfarben am Ende des Stücks holen das Publikum zurück ins Zeitalter der Diversität. Außerdem stellen die Großbuchstaben gleichzeitig kleine Podeste – für jeden Solisten eines – dar.

Für die gesamte Dauer des Stücks bleibt viel Spielraum für Interpretationen. Es tut „Bethlehem“ gut, rein optisch wenig auf die Bühne zu bringen, da es zeitlos wirkt, indem es auf abbildende Kulissen verzichtet.

Tatsächlich stellt der Chor im Hintergrund der Bühne nicht nur akustisch eine Wahnsinnskulisse dar: Das Publikum wird als breite Masse von einer breiten Masse, die wie Zeitzeugen wirken, unterrichtet. Tatsächlich berichtet nicht nur eine Erzählerin die Weihnachtsgeschichte – sondern mehr als 3000 Einzelpersonen! Dabei kommen neben Friedensbotschaften auch Momente des Humors nicht zu kurz, z.B. während der von Mischa Mang gekonnt gespielte machtsüchtige König Herodes, der recht proletenhaft daherkommt, nach dessen Vergiftung kurzum an den Beinen von der Bühne gezogen wird. Immer wieder, wenn die Texte kurz eindeutig religiös scheinen, klingen Märchenelemente an („Über sieben Berge…“). Dies entspannt die Rezeption für Nichtchristen.
Die Weihnachtsgeschichte steht dennoch vor allem durch das Medium der Musik im Mittelpunkt des Geschehens. Die Partitur kommt bis auf einzelne Passagen der Gloria-Gesänge ohne altbewährte Weihnachtslieder aus. Damit wird die Chance genutzt, jüngere Generationen mit altem Kulturgut und Religion ganz neu in Verbindung zu bringen.

Dieter Falk bedient zahlreiche Genres der Musik von Pop-Rock über Hip-Hop-Passagen zu großen Ovatorien, die allesamt berühren und begeistern. Die Texte von Michael Kunze werden während des gesamten Stücks über zwei Videoleinwände eingespielt, sodass die Zuschauer die Texte mitlesen und -singen können. Teilweise wird das Publikum genau dazu durch Solisten und den Chor angehalten, wodurch der Funke auf einer ganzheitlichen Ebene überspringt und der Zuschauer – wenn er sich darauf einlässt – in das Geschehen eingebunden wird. Da viele der Lieder zumindest passagenweise Ohrwurmcharakter aufweisen, ist das Publikum ganz intuitiv schnell dabei und singt, summt, schnipst und klatscht mit.

Die Kostüme von Britta Tönne sind modern bis zeitlos, sodass die Identifikation mit den Figuren einfacher wird. Farblich sind die Kostüme dem Hintergrund der dunklen Bühne angepasst – mit Ausnahme der Heiligen Familie und dem Engel der Verkündung. Stimmig ist die Häufung der dunklen Farben, da diese die gesellschaftliche Situation während der Verkündung der Geburt Jesu widerspiegelt: Die Terrorherrschaft durch den König und die Besatzung durch die Römer machten es gerade den einfachen Leuten schwer, durchs Leben zu kommen. Auch der Chor, der sich im Hintergrund wie eine schwarze Wand erhebt, ist Teil dieses Bildes.

Umso größer die Freude über die Geburt Jesu, die durch die Darsteller des Engels der Verkündigung (Bonita Niessen) und der Heiligen Familie (Alina Ju Tchin Simon und Benjamin Oeser) transportiert wird. Vor allem das Kleid des Engels mit einer meterlangen Schürze vermittelt im Zusammenspiel mit dem auf den Punkt gebrachten Lichtdesign von Michael Grundner Momente der Verklärung innerhalb der Weihnachtsbotschaft. Dies ergibt wunderschöne Bilder!

Die neun Darsteller können sich allesamt sehen und vor allem hören lassen! So nimmt Julia Lissel es während eines kurzzeitigen Mikrofon-Ausfalls während des Finales mit der 14-köpfigen musikalischen Begleitung und dem Megachor auf und setzt sich stimmlich durch. Großes Kompliment!!!

Die erfundene Rolle der Mamba, der Gehilfin Herodes‘, gespielt von Karolin Konert, erfordert ernorme Wandlungsfähigkeit, da sie mit List und Tücke einerseits, anderseits aus Angst heraus agieren muss und schließlich zur heimlichen Heldin der Geschichte „Bethlehems“ mutiert. Unaufgeregt und mit Bedacht verkörpert Konert diese facettenreiche Rolle und tritt mit fester Stimme und umfassenden Stimmvolumen auf.

Alina Ju Tchin Simon als Maria verkörpert mit Spiel und Gesang, was aus der biblischen Vorlage bekannt ist: Dass sie es auch ohne Josef (Benjamin Oeser) geschafft hätte, ihre Frau zu stehen. Dennoch ist Oeser seiner Spielpartnerin in jeder Hinsicht ebenbürtig. Gefühlvoll und authentisch steht er ihr mit starkem Auftritt und Stimme zur Seite. Bonita Niessen als Engel beeindruckt vor allem nach der Pause mit ihrer souligen Stimme und zeigt, dass sie nicht nur laut ist.

Den Darstellern der drei Sterndeuter – Sebastian Würth, Florian Minnerop und Marlon Wehmeier – sind die Lieder und Sprechgesänge wie auf den Leib geschrieben. Zu dritt agieren sie als starke Combo und holen durch ihre Lebendigkeit vor allem die jüngeren Zuschauer ab.

Die musikalische Leitung unter dem Komponisten Dieter Falk schöpft alle Möglichkeiten des musikalischen Arrangements aus. So werden Chor, Orchester – und in einzelnen Passagen auch das Publikum – von Danny Sebastian Neumann und Miriam Schäfer dirigiert. Durch das fast durchgehend sehr gute Sound Engineering unter der Leitung von Carsten Kümmel kommt auch das kleine Orchester mit 14 Mitgliedern gut zur Geltung. Der stimmgewaltige Chor aus Hobbysängern, der ohne Verstärker auskommt, stellt eine besondere Herausforderung für eine gelungende Tonabmischung dar, die Kümmel aber gut bewältigt.

Der Creativen Kirche ist hier eine große Leistung mit gelungen: Endlich trifft die Weihnachtsgeschichte mit neuen Liedern modern erzählt wieder – oder vielleicht auch zum ersten Mal – mitten ins Herz und den Puls der Zeit, insbesondere durch den herzerwärmenden Einsatz der über 3000 ehrenamtlichen Chormitglieder. Wer die Uraufführung in Düsseldorf verpasst hat, darf sich auf die in 2024 anstehende Tour freuen!

 
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KREATIVTEAM
MusikDieter Falk
Paul Falk
LibrettoMichael Kunze
ChorleitungDanny Neumann
Miriam Schäfer
InszenierungGil Mehmert
ChoreographieYara Hassan
 
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CAST (AKTUELL)
MariaAlina Simon
JosefBenjamin Oeser
HerodesMischa Mang
EngelBonita Niessen
Mamba / Erzählerin 2Karolin Konert
MelchiorSebastian Wurth
BalthasarFlorian Minnerop
CasparMarlon Wehmeier
Erzählerin 1Julia Lißel
SwingsVeronika Rivó
Stefan Stara
  
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TERMINE
Sa, 14.12.2024 14:00ZAG-Arena, Hannover
Sa, 14.12.2024 20:00ZAG-Arena, Hannover
Sa, 28.12.2024 19:00Westfalenhalle 1, Dortmund
So, 29.12.2024 19:00SAP-Arena, Mannheim
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 16.12.2023 14:00PSD Bank Dome, DüsseldorfPremiere
Sa, 16.12.2023 19:00PSD Bank Dome, Düsseldorf
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