Kardinal Richelieu (Thorsten Kusch) © Nils Kittler
Kardinal Richelieu (Thorsten Kusch) © Nils Kittler

3 Musketiere (2023) (2023)
MainMusical e.V., Amorbach

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Der Verein Main Musical zeigt auf der Clingenburg am Main ein spektakuläres Open-Air-Erlebnis in Form des Musicals „3 Musketiere“, das sich vor allem im Bereich Bühnenbild und -technik mit den ganz Großen messen kann.

Dass sich ein Laienverein eines so komplexen und aufwändigen Historien-Musicals annimmt ist nicht selbstverständlich. Ein Blick auf die von MainMusical zuvor gespielten Stücke versetzt aber in Erstaunen: „Aida“ und „Die Päpstin“ reihen sich neben „Der Graf von Monte Christo“ und „Elisabeth – Legende einer Heiligen“ ein und werden von keinem geringeren als „Phantom der Oper“ von Andrew Lloyd Webber gekrönt. Das sind fürwahr große Titel, die nicht gerade niedrige Erwartungen wecken. Doch die Zuschauer dürfen beruhigt aufatmen: Was dieser Verein hier auf die Bühne bringt, kann gut mit professionellen Produktionen von Stadt- und Staatstheatern und sogar mit den großen Bühnenfirmen konkurrieren und stellt viele von ihnen vor allem im technischen Bereich sogar in den Schatten. Zurecht sind die Vorstellungen auf der Clingenburg sehr gefragt und werden gut verkauft.

Das malerisch über dem Main gelegene Areal mit der fast märchenhaft überwucherten Burgruine ist der perfekte Spielort für dieses Stück. Der gesamte Innenhof der Burg wird stimmungsvoll ausgeleuchtet und fungiert mit einen verschiedenen Ebenen, Vorsprüngen, Treppen und Abszissen in seiner Gesamtheit als Schauplatz der Handlung. Das Publikum sitzt dabei an gemütlich ausgeleuchteten Bänken, was für regelmäßige Musicalgänger unkonventionell wirkt und etwas Unruhe und Gewusel in die so schöne Vorstellung bringt, die eigentlich ungeteilte Aufmerksamkeit verdient hätte und in ihrer Qualität auch vor einem anspruchsvollen Theaterpublikum durchaus bestehen könnte.

Besonders eindrucksvoll werden in dieser Inszenierung verschiedene Bühnenelemente, Stage-Technik und Licht eingesetzt. Die schiere Anzahl an einprägsamen Bildern, die im Zusammenspiel von Technik und Licht entstehen, ist einfach beeindruckend. Es gibt für Miladys ersten dramatischen Auftritt eine Sänfte wie aus einem Historienstreifen, es wird eine Pferdekutsche für eine Hetzjagd auf die Bühne gebracht und mit dramatischen stroboskopischen Licht- und Raucheffekten so in Szene gesetzt, als würde sie wirklich durch die Landschaft rasen. Bei der Überfahrt nach England im zweiten Akt des Stückes wird ein Schiff auf der Bühne aufgebaut, das bemannt schaukelnd durch die mittels eines großen Tuches gemimten Wellen wabert und – durch einen Pyrotrick dargestellt – von einem Blitz getroffen wird. Durch Hochklappen einzelner Bühnenelemente und lila Ausleuchtung entsteht ein wunderschönes Lavendelfeld in der französischen Provinz; hochwertige Requisiten werden für Tavernenszenen auf allen bespielbaren Ebenen herein- und herausgebracht; ein voll funktionstüchtiger, verschiebbarer und Wasser sprudelnder Marktplatzbrunnen wird in den Stadtszenen zum zentralen Bühnenelement.

Ein hochfahrbares Bühnenelement sorgt für eine weitere, erhöhte Spielebene, die besonders dramatisch ihre Effektivität ausspielt, als Milady im zweiten Akt von diesem Turm heraus in den Selbstmord springt. Ein riesiges Kreuz erscheint in den Szenen des Kardinals Richelieu, das gleich zwei besonders eindrucksvolle Bilder generiert: In einer Episode inneren Wahns und Zerrissenheit wird Richelieu an diesem wie von übernatürlicher Hand hinaufgezogen und hängt über dem Publikum wie ein Gekreuzigter. In einer anderen Szene wird es mit riesigen roten Stoffbahnen überzogen und so auf die Hauptbühne herunter gesenkt, dass ein Zelt entsteht, in dem der Kardinal auf seinen Kriegsschlag gegen die Hugenotten wartet – bildlich vom Kreuz der Kirche über ihm plakativ behütet. Kirchenszenen werden durch Lichtsäulen, die wie Balustraden aus großen Kathedralen in den Himmel ragen, geradezu gigantisch effektiv dargestellt und durch Lichttechnik entsteht sogar ein über dem Publikum funkelndes Feuerwerk, das die Geburtstagsfeierlichkeiten des französischen Königs einleitet. Diese Produktion ist ein visuelles Meisterwerk.

Auch die Choreographie setzt  hier hohe Maßstäbe: Selten werden Kampfszenen, von denen es bei den „3 Musketieren“ natürlich viele gibt, so voller Elan, so stark und actionreich inszeniert. Die Kämpfe wirken an einigen Stellen fast schon erschreckend authentisch: Die Gegner stürzen aufeinander, zu Boden, gegen Mauern und Wände und fetzen sich regelrecht. Dabei sind die Fechtszenen mit den Degen besonders gelungen und kreieren gleichermaßen Dramatik und akzentuiert eingesetzte Slapstick-Komik wie Zufallstreffer, Stolpersteine oder eine Constance, die mit einem „Huch“-Ruf ganz aus Versehen einen Gardeoffizier absticht. Im Speziellen bleibt bei den Kampfszenen vor allem das Vierer-Duell zwischen Milady, D’Artagnan, Rochefort und Buckingham im Gedächtnis, das in seiner Gesamtheit so perfekt wirkt, als dass man es ‚filmreif‘ nennen kann. Intensiv sind auch zahlreiche Szenen von Übergriffen inszeniert: Mit beängstigend realistisch wirkender Brutalität gehen Milady und der Kardinal aufeinander los. Besonders grausam trifft es Constance mehrmals im Stück, die zusammen mit ihren jeweiligen Bühnenpartnern in den ziemlich schonungslos choreographierten Übergriffsszenen richtig einstecken muss. Ein weiteres choreographisches Highlight neben den Kampfszenen ist die Luftakrobatik während „Engel aus Kristall“ – eine tatsächlich engelshafte Tuchartistin steigt weht über dem Geschehen grazil im Wind und lässt sich in perfektem Timing auf den Schlusston des ohnehin dramatischen Songs in die Tiefe stürzen – zurecht ein mit großem Applaus belohnter Moment.

Auch die Tänze sind sauber choreographiert und bieten zusammen mit den historischen Kostümen viel fürs Auge. Neben den schön getanzten Ballszenen am französischen Hof fällt dabei vor allem eine Szene tänzerisch sehr auf und löst im Publikum Wallungen aus: Als Kardinal Richelieu in seinem Lied „Nicht aus Stein“ in höchst dramatischen Wahn verfällt, erscheinen dämonische Wesen in gespenstisch-bedrohlichem Licht und reißen sich unter Höllenschreien die Haut vom Leib, um dann wie gehäutete Leichen auf den Kardinal loszugehen und sich an ihm zu laben – dies ist so modern und intensiv choreographiert, dass dem Publikum der Atem stockt. Großes Kino!

Das Orchester spielt stimmungsvoll und wird von einer sehr präsenten Dirigentin virtuos durch die anspruchsvolle Partitur geführt. In den dynamischen und dramatischen Songs entfaltet sich das Musikerensemble in Gänze. Leider klingt die Tonaussteuerung über weite Strecken sehr dumpf, sodass das volle akkustische Potenzial nicht ausgeschöpft werden kann. Auch die Mikrofontechnik für die Darsteller ist ausbaufähig: Allzu oft werden die klobigen Popschütze angehauen, gestriffen, überdeckt oder berührt und erzeugen so Störgeräusche.

Das massive, kaum zählbare Ensemble aus Tänzern, Statisten, Chor und Darstellern ist durchweg mit Herz und Seele und viel Spiel-, Gesangs- und Tanzfreude bei der Sache. Es macht Spaß, auch den kleineren Rollen zuzusehen und zuzuhören, da sie ihre Charaktere mit kleinen Geschichten spicken und so Lebendigkeit in das Stück bringen. Schön werden besonders auch Rückblende-Szenen innerhalb der Geschichte mit sichtlicher Melancholie im Schauspiel dargeboten. Natürlich merkt man gesanglich den Unterschied zu professionellen Darstellern, aber insgesamt wird jedes noch so anspruchsvolle Lied solide und sauber dargeboten und mit entsprechenden Emotionen ausgekleidet.

Romeo Sciacovelli gelingt es, seinen extrem sympathischen D’Artagnan vom leidenschaftlichen und großspurigen Jungspund zu einem Charakter mit emotionaler Tiefe reifen zu lassen. Lucie Linke und Melina Schmidt sorgen als Conférenciers zunächst für Leichtigkeit, berühren aber mit ihrem intensiven Schauspiel, als sie von den Soldaten verprügelt und zurückgelassen werden. Die titelgebenden drei Musketiere – gespielt von Felix Pawlowski, Lukas Sorger und Lukas Fengler –  brillieren, wie für Musketiere üblich, vor allem im Dreiergespann und bei den Kampfszenen. Lucas Müller als James und Laura Paul sowie Maxima Schwarze als Konkubinen bringen frivolen Humor ins Stück, während Christopher Kittner als Rochefort einen glaubhaften Antagonisten abgibt. Emily Klabunde als Constance berührt schauspielerisch und zieht das Publikum durch ihre Ausstrahlung direkt auf ihre Seite.

Die drei Stars des Stücks treten in Form von Veronika de Vries als Milady, Marie Demel als Königin Anna und Christopher Abb als Richelieu zutage. Ihr Schauspiel ist tief, differenziert, facettenreich und berührend. Allen dreien gelingt es, sich in die emotionalen Tiefen und Abgründen ihrer Figuren hineinzulehnen und ihre Charaktere beeindruckend plastisch zu zeichnen. De Vries, die als professionelle Musicaldarstellerin sehr spontan die Rolle der Milady als Notfalleinsatz übernommen hat, überzeugt auf ganzer Linie in ihrer Rolle der zwiegespaltenen Verführerin und Kämpferin. Man könnte aber auch Demel und Abb ohne Weiteres auf eine professionelle Bühne stellen und sie würden brillieren – wobei diese Produktion ohnehin die Grenzen von Amateur- und Profitheater komplett verschwimmen lässt oder sie sogar auflöst. MainMusical sollte man im Auge behalten, es lohnt sich!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Schauspiel, RegieChristopher Abb
Künstlerische GesamtleistungChristopher Abb
RegieassistenzSophia Illert
KulisseKlaus Abb
Herbert Reith
Lukas Sorger
MaskeNatscha Repp
Monique Haas
OrchesterleistungYvi Szoncsò
ChorleitungBernhard Oberländer
KostümeAnette Merget
Charlotte Fioschi
Akiko Sciacovelli
LichtdesignIventhaus
SounddesignSascha Kempf
RequisiteMartina Fengler
TanzleitungCornelius Reith
Lucie Linke
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
D'ArtagnanRomeo Sciacovelli
Konstantin Stegmann
Milady de WinterVeronika De Vries
Angela Di Martino
Laura Müssig
Kardinal RichelieuChristopher Abb
Thorsten Kusch
AthosFelix Pawlowski
Torsten Scholze
RochefortSebastian Beck
Christopher Kittner
König Ludwig XIIIMaximilian Hößbacher
Marcel Lutz
ConstanceEmma Sophie Adelmann
Emily Klabunde
Königin AnnaMarie Demel
Sophia Illert
PorthosChristopher Hauck
Lukas Sorger
AramisMatthias Brönner
Lukas Fengler
Herzog von BuckinghamEmmanuel Kolev
Manuel Pfister
ConférenciersKristin Elsen
Lucie Linke
Alina Renner
Melina Schmidt
JamesDenise Bickler
Lucas Müller
BonacieuxSebastian Beck
Christopher Kittner
KonkubinenLuisa Heintze
Laura Paul
Adina Reichert
Maxima Schwarze
MutterMartina Fengler
Heidi Jach
VaterTobias Fengler
Wolfgang Jach
BootsmannCornelius Reith
D'Artagnan
(Kind)
Fabian Flicker
Malte Schmidt
Lina Abb
BurschenLeonas Schmidt
Fiona Herkert
Emilian Fecher
Quentin Hohm
Niklas Haas
Dennis Flicker
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Fr, 14.07.2023 19:30Burgruine Clingenburg, Klingenberg am MainPremiere
Sa, 15.07.2023 19:30Burgruine Clingenburg, Klingenberg am Main
So, 16.07.2023 19:30Burgruine Clingenburg, Klingenberg am Main
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