Unsere monatliche Kolumne: Ingos Fernsehsessel
Unsere monatliche Kolumne: Ingos Fernsehsessel

Ingos Fernsehsessel - "Godspell - Folgt dem Herrn!"

Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.

Für die Karwoche habe ich mir diesmal “das andere Jesus-Musical” ausgesucht.
John-Michael Tebelaks Urfassung von “Godspell” hatte 1970 als Studentenaufführung Premiere. Broadway-Produzenten wurden auf das Stück aufmerksam. Man übernahm aber für die Off-Broadway-Produktion nur das Buch und den Song “By My Side”. Stephen Schwartz bekam den Auftrag, neue Lieder zu komponieren und landete damit seinen ersten großen Erfolg. Genau wie “Jesus Christ Superstar” hatte die Neufassung von “Godspell” 1971 Premiere; die Verfilmung folgte 1973. Während “Jesus Christ Superstar” nur von der Passion Christi handelt, greift sich “Godspell” verschiedene Episoden aus dem Matthäusevangelium heraus.

Die Geschichte wird ins damals zeitgenössische New York verlegt: Johannes der Täufer sammelt Anhänger ein: junge Menschen, die in kurzen, prägnanten Szenen vorgestellt werden. Alle scheinen unzufrieden und nur zu gern bereit, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Sie springen passenderweise in den Bathesda Fountain im Central Park. In der Bibel hat Jesus in Bathesda, einer Jerusalemer Zisterne, Kranke geheilt. Dann werden, beginnend mit Jesu Taufe auch in eben jenem Brunnen, Szenen aus dem Evangelium nachgespielt, vor allem Gleichnisse.

Das alles geschieht mit einer fröhlichen Hippie-Naivität und hat mich ein bisschen an Straßentheater erinnert. Alle Darsteller wechseln flugs ihre Rollen; als Requisiten und Kostüme dienen Dinge, die sie just an Ort und Stelle vorfinden. Das hat Tempo und ist kreativ inszeniert und gefilmt. Besonders hat mir das Gleichnis vom “verlorenen Sohn” gefallen, das in einem leeren Theater nachgespielt wird und mit zur Geschichte passenden Szenen aus diversen Stummfilmen unterlegt ist.

Mein einziger Kritikpunkt ist der wenig variierende Ablauf: Gleichnis, Jesus-Erklärung, abschließender Song, nächstes Gleichnis. Auf Dauer von mehr als anderthalb Stunden wird das etwas ermüdend.

Natürlich endet die Handlung mit der Passion Christi. Sie wird aber nicht 1:1 nachgespielt, sondern springt von einem prägnanten Moment zum nächsten. Da der Ablauf als bekannt vorausgesetzt werden kann, weiß man durch die Umstände oder auch Zitate, wo man sich gerade befindet. Jesus wird hier nicht von den Römern ans Kreuz geschlagen, sondern symbolisch gekreuzigt, indem Judas ihn an einen Zaun bindet.

Inszeniert hat den Film David Greene, der vor allem mit großen Erfolg fürs Fernsehen arbeitete. Seine wenigen Kinofilme waren nicht sehr erfolgreich, dafür war er an TV-Klassikern wie “Roots” beteiligt und gewann vier Mal den “Fernseh-Oscar” Emmy.

Gedreht wurde an verschiedenen Original-Locations in New York, u.a. im Central Park, am Times Square und auf dem Dach des damals sich noch im Bau befindlichen World Trade Centers. Das Faszinierende daran: Außer zu Beginn und am Ende ist die Stadt menschenleer.

Stephen Schwartz bietet in seinem ersten Musical abwechslungsreiche Lieder mit hohem Wiedererkennungswert. Ich habe mir danach das Album angehört und hatte die Melodien gleich wieder im Ohr. Man hört die Entstehungszeit sofort raus – eine gut funktionierende Mischung aus Folk, Gospel, Vaudeville und auch etwas Bombast-Rock.

Alle Ensemble-Mitglieder haben “Godspell” in diversen Theaterproduktionen gespielt. Sie ergeben eine harmonische Gruppe, wobei die Dramaturgie David Haskell als Johannes den Täufer und Judas herausstechen lässt. Für den charismatischen Victor Garber war Jesus seine erste Filmrolle. Er ist einer dieser Schauspieler, die einem dauernd in Film und Fernsehen begegnen, etwa in “Titanic” oder “Alias”. Heute wird er des öfteren eher als seriöse, grauhaarige Vaterfigur besetzt. Sein Jesus-Look ist völlig anders: Mit bunter Hose, T-Shirt mit Superman-Logo, einem Herz auf der Stirn, dunkel geschminkten Augen und Wuschelkopf sieht Jesus ein bisschen aus wie ein Clown – oder eher wie dessen melancholische Version, ein Pierrot.

“Godspell” und “Jesus Christ Superstar” haben beide ihre Wurzeln in der “Jesus People”-Bewegung. Doch “Godspell” ist kein pompöses Spektakel. Ich hatte das Gefühl, dass den Machern – zumindest den Machern der Vorlage – ihre Religion wichtig war. Das hatte ich bei JSC nie. Ich glaube eher, dass Andrew Lloyd Webber und Tim Rice mit ihrer Jesus-und-Rock’n’Roll-Mischung – bei aller Qualität des Stücks – auf skandalträchtige und dadurch werbefördernde Schlagzeilen durch konservative Kritik spekuliert haben.

Der “Godspell”-Film hat mich sehr positiv überrascht. Er verleugnet seine Theaterherkunft nicht, bricht aber das Bühnenhafte durch tolle Bildideen auf und hat überraschend viel Humor. Für mich eine kleine Entdeckung!

 
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