Sebastian Ritschel - © Pawel Sosnowski
Sebastian Ritschel - © Pawel Sosnowski

3 Fragen an... Sebastian Ritschel

Sebastian Ritschel ist seit 2017 Leiter der Musiktheatersparte und Operndirektor an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul. Davor war er mehrere Jahre lang Hausregisseur und Leitender Dramaturg am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau. Als Regisseur und Ausstatter erarbeitete er sich in mehr als 50 Produktionen ein vielseitiges Repertoire in Oper, Operette und Musical.

Bei der Spielplangestaltung verlässt du gerne ausgelatschte Pfade und schlägst neue Wege ein. Warum inszenierst du bevorzugt auf deutschen Bühnen noch gar nicht oder eher selten gespielte Musicals wie DAS LICHT AUF DER PIAZZA, SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE oder PARADE?

Um es kurz zu sagen: Weil es einfach sehr gute Stücke sind! Bekanntes und Unbekanntes in einen gleichwertigen Kontext zu setzen und das Standard-Repertoire von Oper, Operette und Musical zu erweitern, ist das Credo meiner Arbeit als Operndirektor. Ich denke, wir sind in der Verantwortung – nicht nur für ein heutiges Publikum – unser Repertoire stetig zu hinterfragen und zu erweitern. Ein Autor wie Stephen Sondheim, der wohl bedeutendste Musicalkomponist der Gegenwart, hatte es viele Jahre schwer auf den Spielplänen deutschsprachiger Theater. Er galt als kalt, emotionslos, zu intellektuell und wurde als Kassengift abgestempelt. Das Gegenteil aber ist der Fall! Mittlerweile gibt es kaum ein Theater, welches nicht SWEENEY TODD, INTO THE WOODS oder A LITTLE NIGHT MUSIC aufgeführt hat. (NB: Es könnten noch ein paar mehr sein!)

Sich mit einem Sondheim-Stück zu beschäftigen, ist immer wie ein Geschenk! ALLES ist durchdacht und konsequent durchgeführt. Mich fasziniert wie Georges Seurat mit seinen Gemälden, die Welt durch die Kunst auf eine schockierende neue Art und Weise betrachtet. In SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE fordern James Lapine (Buch) und Stephen Sondheim, dass ein Publikum seine Sicht auf das Broadway-Musical radikal ändert. Sie schufen ein kühnes, eindringliches und auf eine ganz persönliche Weise berührendes Werk. Das Kluge ihrer Konzeption ist, dass sie “ihre Wahrheiten” als Fragen formulieren. SUNDAY gilt nicht nur für mich als ein Höhepunkt im Genre Musical und ist gleichzeitig die ausformulierte Verwerfung des Begriffs. Das Stück wurde zu einem Wendepunkt, der die Entwicklung des Genres Musical bis heute nachhaltig prägt und Werke von Adam Guettel und Jason Robert Brown stark beeinflusst.

Zugegeben: Stücke wie MY FAIR LADY, ANATEVKA oder WEST SIDE STORY sind nicht ohne Grund Dauerbrenner auf den Spielplänen. Doch sie kamen nicht als Klassiker auf die Welt! Wir müssen daher neuen beziehungsweise “hier” unbekannten Stücken die Chance geben, sich einem Publikum vorzustellen und so ihre Repertoire-Fähigkeit zu beweisen. Ich bin davon überzeugt, dass auch DAS LICHT AUF DER PIAZZA oder PARADE repertoirefähige Stücke sind. SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE sowieso…

Wie haben in Radebeul die Intendanz und das Publikum auf diesen Repertoire-Richtungswechsel reagiert? Kommt inzwischen ein anderes Publikum in die Vorstellungen als noch vor ein paar Jahren?

Fangen wir mit der zweiten Frage an, die ich eindeutig mit JA beantworten kann. In der Premiere-Pause von SUNDAY stürmte ein amerikanisches Paar auf mich zu, wie froh sie seien, für dieses Stück extra aus New York nach Radebeul gekommen zu sein. Sie sind eingefleischte Sondheim-Fans und waren vollkommen “aus dem Häuschen”, dass dieses Werk nun auch in Deutschland gespielt wird. (Parallel sollte es nur noch am Londoner West End mit Annaleigh Ashford und Jake Gyllenhaal gezeigt werden.) Des Weiteren freue ich mich sehr, immer wieder neues und vor allem junges Publikum bei den Vorstellungen zu erleben oder diverse Kolleg*innen zu treffen, die jetzt spannendes “Musiktheater” an den Landesbühnen auf dem Schirm haben. Und ja ich bin ein bisschen stolz darauf, dass es uns nach nur zwei Spielzeiten gelungen ist, die Wahrnehmung der Sparte Musiktheater – auch für Oper und Operette! – bei Publikum und Presse zu verändern und das “kleine” Fünfspartenhaus überregional zu positionieren.

Und nun zur ersten Frage: Ich glaube an ein Publikum, welches sich nach Auseinandersetzung und unterhaltender Denkkraft sehnt und Theater nicht als Ort der Verdrängung versteht. Mein Intendant Manuel Schöbel und meine Kaufmännische Geschäftsführerin Artemis Willms teilen diese Auffassung. Sie haben mich von Anfang unterstützt und sind die grundlegende Richtungsänderungen mitgegangen. Mein Start 2017/2018 mit COMPANY, TSCHICK als Oper, DER VETTER AUS DINGSDA und von Einems DER BESUCH DER ALTEN DAME war insgesamt keine leichte Kost. Vielleicht sähe es anders aus, wenn wir mit COMPANY baden gegangen wären. Sind wir aber nicht! Denn diese Produktion hatte im Schnitt ähnliche Publikumszahlen wie LA TRAVIATA oder EINE NACHT IN VENEDIG, was auch einige “zweifelnde” Kolleg*innen erstaunte.

Warum bist du bei deinen Inszenierungen oft auch dein eigener Ausstatter und Lichtdesigner?

Sobald ich mich mit einem Stück beschäftige – oder richtiger gesagt, schon beim Hören der Musik – entstehen zwangsläufig mehr oder weniger konkrete Bildwelten. Diese Bilder verdichten sich im Laufe der Arbeit und oft stellt es sich heraus, dass es die “richtige” Welt für dieses Stück sein kann. Außerdem erarbeite ich meine Inszenierungen zusammen mit meinem Mann Ronny Scholz, der ein hervorragender Dramaturg ist. Über die Jahre hat sich eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt, die uns quasi “blind” verstehen lässt und wir oftmals unabhängig voneinander, die gleichen (oder sehr ähnliche) Ideen entwickeln.

Mit meinen mehr als 50 Inszenierungen habe ich mir meine Skills in Bühnen- und Kostümbild erarbeitet und für mich einen Stil geschaffen, den ich sukzessiv weiterentwickele. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gern mit Ausstatter-Kolleg*innen zusammenarbeite! Ich freue mich schon sehr auf Stephan Prattes’ verrücktes Bühnenbild zu HAIRSPRAY für das DomplatzOpenAir 2021 in Magdeburg oder die fantastische Bühnen-Idee von Michael D. Zimmermann für den ZAREWITSCH in Innsbruck.

Was das Lichtdesign betrifft: Ich bin ein Licht-Fetischist! Ich liebe es, mit einer raffinierten Lichtregie, zusätzlich “Tempo” zu erzeugen und Licht als zusätzlichen Erzähler zu verwenden. Es gibt mir die Möglichkeit, den Blick des Publikums bewusst zu lenken, es auf Dinge hinzuweisen, zu fokussieren oder etwas verschwinden zu lassen. Eine gute Licht-Regie ist die halbe Miete!

 
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