"Einer der Höhepunkte"

Zweimal fünf Präsentationen der Abschlussjahrgänge 2010: In Wien trafen sich die Absolventen der staatlichen deutschsprachigen Musicalschulen zu einer eindrucksvollen Leistungsschau.

“Das ist schon einer der Höhepunkte, auf die man während des Studiums hinarbeitet.” Diese Aussage eines Teilnehmers charakterisiert treffend die Bedeutung, die die Absolventenpräsentation der staatlichen deutschsprachigen Musicalschulen als Leistungsschau aber auch als Branchentreffen inzwischen gewonnen hat. Seit 2003 findet die gern auch als “Intendantenvorsingen”, kurz “IVO”, bezeichnete Veranstaltung wechselweise in Berlin, Leipzig, Essen, München und Wien statt.
Jeweils fünf Präsentationen an zwei Tagen stehen auf dem Programm, jeweils von 10-18 Uhr – dazu ein Abendempfang als Kontaktbörse für die Absolventen.
Wie in jedem Jahr präsentierten sich die Hochschulen mit sehr unterschiedlichen Programmen, alle erkennbar auf die Qualitäten und Charaktere ihrer Absolventen zugeschnitten.

Die undankbare Startposition am Morgen hatten am ersten Tag die Gastgeber vom Konservatorium Wien Privatuniversität, die ein sehr gemischtes Programm aus kurzen Szenen und Songs auf die Bühne brachten, in dem sich jeder der Absolventen einmal als Solist, einmal im Duett und einmal szenisch präsentieren sollte. Blutrünstig ging es zu bei den Wienern, da wurde gemetzelt, da wurde gemordet, da wurden Beine abgesägt … aber gesungen wurde glücklicherweise auch. So konnte sich Stefan Bleiberschnig charmant-verschlagen ins Bild setzen mit “Ein bissl fürs Hirn” aus “Mozart”. Dustin Peters überzeugte als renitenter Sprössling einer rabiaten Mutter und Beatrice Forler konnte nicht nur gesanglich, sondern auch mit sehr gelungenen eigenen Übersetzungen (u.a. “The Girl in 14 G”) punkten. Generell aber blieb das Wiener Programm, dem ein straffer dramaturgischer Faden fehlte, ein wenig blass.

Mit nur zwei Absolventinnen war die Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn-Bartholdy” angereist. Dorothée Kahler und Katharina Eirich machten aus der Not eine Tugend und lieferten eine durchaus spritzige Zwei-Frauen-Show ab, die mit manchen Klischees spielte. Da klebte ein Schild “Audition” am Flügel und schon wurde der Pianist Ekkhard Meister zum Ziel diverser Attacken der sich wechselweise auf dem Flügel räkelnden Damen, die dann – natürlich – in heftigen Streit gerieten. Die folgende Montage aus Shakespeare-Dialog und dem Klassiker “Alles was die kann” längte etwas; witzige Einfälle, wie ein in Stummfilmmanier pianountermalter Faustkampf, versöhnten jedoch ein wenig. Zum Höhepunkt geriet ein Medley verschiedener ABBA-Songs, in dem Kahler und Eirich gesanglich überzeugten und in den typischen Posen komödiantisches Talent zeigten, dem aber dennoch mehr Pointierung gut getan hätte.

Die vier Absolventen der Folkwang Hochschule Essen begannen ihr Programm schwungvoll mit einer Ensemblechoreographie aus “Sweet Charity” und verzichteten im Folgenden leider beinahe völlig auf szenische Präsentationsanteile. Constanze Fischbach hatte mit dem Chanson “Das Auslaufmodell” die Lacher auf ihrer Seite, während die tapfer gegen ihre Erkältung kämpfende Gabriela Ryffel vor allem mit ihrem professionellen Durchhaltewillen punktete. Annika Firley präsentierte sich wandlungsfähig zwischen “Wicked” und Chanson, während Michael Heller das Publikum in atemloses Staunen versetzte. Der junge Essener ist nämlich nicht nur Musicaldarsteller, sondern auch Europameister im Rope Skipping und kombinierte seine Fähigkeiten in einer umjubelten Seilspringchoreographie zu “All I Need Is the Girl” aus “Gypsy”. Den Abschluss der Präsentation bildete ein gelungenes, komödiantisch umgesetztes Medley verschiedenster Musicalklassiker, in dem diesmal die Damen die Männersongs sangen und umgekehrt.

Mit “Freak Flag” aus “Shrek – The Musical” begann die Präsentation der Theaterakademie August Everding aus München schwungvoll und vielversprechend, konnte dieses Niveau aber leider nicht durchgehend halten. Viele englischsprachige Songs und kurze, immer wieder unterbrochene Szenenbrocken ließen keinen rechten Fluss und keine Spannung aufkommen. Dennoch stachen einige Darsteller heraus. Sebastian Strehler ließ mit “Ich möcht so gern Produzent sein” keinen Zweifel aufkommen, dass er sich im Rollenprofil des im Publikum ebenfalls anwesenden Andreas Bieber pudelwohl fühlt, und Anna Müllerleile überzeugte gesanglich mit “Woman” aus “The Pirate Queen”. Zum Höhepunkt aber wurde der Programmabschluss mit “A Boy Like That” und “I Have a Love” aus der “West Side Story”. Schon Anna-Mari Takenaka als Maria lieferte eine tadellose Gesangsleistung auf hohem Niveau ab. Was aber Elissa Huber als Anita gelang, war wohl die beste Einzelleistung der gesamten Präsentation. Sie meisterte nicht nur den Gesangspart großartig; die intensive Verzweiflung, die sie auf die Bühne brachte, berührte und fesselte. Zusammen mit dem abschließenden, für das Ensemble arrangierten “Somewhere” boten diese Leistungen den Beweis, dass Bernsteins Klassiker wohl doch auch mit einer jungen Cast musikalisch überzeugend spielbar ist. Großartig!

Eine Leistung ohne jeden Ausfall und damit zweifellos das beste Gesamtpaket lieferten aber die Absolventen der Universität der Künste in Berlin ab. Eingebettet in einen Rahmen aus dem für diese Gruppe geschriebenen Musical “Leben ohne Chris” von Wolfgang Böhmer und Peter Lund, ergab sich ein stimmiges szenisches Konzept, das für jeden der Darsteller maßgeschneidert passte. Da war Christopher Brose als Titelfigur Chris, der langsam begreifen muss, dass er tot ist, mit seinem Konterpart Tobias Bieri als Engel, die mit beeindruckender Körperlichkeit und tänzerischer Brillanz auffielen. Da war Katrin Höft, die als frustrierte Gattin des Weihnachtsmannes mit “Surabaya Santa” von Jason Robert Brown komödiantisch punktete. Da konnte Dennis Jankowiak als Grenzgänger zwischen Operette und Musical genauso überzeugen, wie Sebastian Stipp als “Mittelmäßiger Klaus”. Da war für Bundeswettbewerbssiegerin Julia Gamez Martin mit ihrem Siegersong “And I am Telling You” ebenso Platz, wie für ihr berührendes “Leben ohne Chris”, da konnte Karoline Göbel überzeugend zwischen Dorftrampel und Soubrette changieren. Da gab es ein souverän gesungenes “Something’s Coming” von Hendrik Schall und ein burschikos-gekonntes “Am Schießeisen beißt keiner an” von Magdalena Ganter. Und Jasmin Schulz bewies, dass “Ich hab geträumt vor langer Zeit” immer noch ein anrührender Markstein der Musicalgeschichte sein kann. Dazu dann noch Ensemblenummern in großer tänzerischer Qualität und zum Teil artistischer Manier, szenisch sicher und gesanglich durchgehend auf hohem Niveau: eine beeindruckende Leistung des von Adam Benzwi kongenial am Piano begleiteten Ensembles.

So konnte die mitveranstaltende Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit mit Recht ein erfreulich hohes Niveau konstatieren und auch das Fachpublikum aus Agenten, Regisseuren, Castern und Intendanten sparte nicht mit Applaus und Anerkennung. Ein guter Jahrgang!

Die Absolventen 2010:

Wien: Stefan Bleiberschnig, Beatrice Forler, Thomas Dapoz, Kun Jing, Sarah Laminger, Dustin Peters, Bernd Kainz, Patrizia Leitsoni

Leipzig: Dorothée Kahler, Katharina Eirich

Essen: Annika Firley, Gabriela Ryffel, Michael Heller, Constanze Fischbach

München: David Julian, Elissa Huber, Michael Hartinger, Samuel Tobias Klauser, Judith Peres, Anna-Mari Takenaka, Anna Müllerleile, Sebastian Strehler

Berlin: Tobias Bieri, Christopher Brose, Julia Gámez Martin, Magdalena Ganter, Karoline Goebel, Katrin Höft, Dennis Jankowiak, Hendrik Schall, Jasmin Schulz, Sebastian Alexander Stipp

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