Ein bisschen viel Englisch

Facettenreich war die Absolventenpräsentation der Musical-Studiengänge der staatlichen Hochschulen auch 2009. Während die UdK Berlin turnusgemäß mangels eines Abschlussjahrganges aussetzte, waren die Folkwang Hochschule Essen, die Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, das Konservatorium Wien und die in diesem Jahr gastgebende Bayrische Theaterakademie München mit vier sehr unterschiedlichen Programmen vertreten.

Wieder einmal auffällig: Die großen Ensuite-Musicalklassiker kamen in den Programmen kaum vor und zeigten sich in den wenigen Fällen auch als Klippe von nicht geringer Fallhöhe. Den Nerv des Fachpublikums trafen vielmehr die unbekannteren Stücke, die oftmals in frischen, unverbrauchten Interpretationen daherkamen. Kritische Anmerkungen erntete allerdings die Songauswahl aufgrund des sehr hohen Anteils englischsprachiger Songs, die in den Pausengesprächen für eine Leistungsschau vor deutschen Intendanten und Castingagenten als nicht sehr zweckmäßig kritisiert wurde.

Den Reigen eröffneten die gastgebenden Münchner Absolventen mit einer spritzigen Performance, in der kleine, zumeist humorvolle Szenen im Mittelpunkt standen. Jede der kammerspielartigen Songinszenierungen wurde mit einer kurzen Dialog- oder Gedichtszene eingeleitet, so dass eine abwechslungsreiche Nummernrevue entstand. Susanne von Lonski überzeugte mit einer witzigen Auditionszene rund um den Song “When You Come Home to Me”, Florian Sokya mit seiner solistischen Leistung in “Gordo’s Law of Genetics” aus “A New Brain”. Zum Toben brachte er das Publikum mit dem “Sensitive Song” aus “Cops – Das Musical”, in dem er mit charmanter Geste vielfältige Beschimpfungen in den Raum warf. Zu einem weiteren Höhepunkt wurde “Me And My Shadow” von Tom Schimon und Martin Selle, das nicht nur vom körperlichen Kontrast der beiden Sänger lebte. Marianne Curn und Karsten Kenzel gestanden sich in “Therapy” überzeugend ihre Macken, während Thorsten Ritz in “Treat Me Rough” aus “Girl Crazy” seine komödiantische Seite zeigen konnte. Stephanie Martin wiederum sorgte für Kontraste mit dem dramatischen “Kesa”. Insgesamt boten die Münchner Akteure eine geschlossene Ensembleleistung mit einem hohen Grad an Komik, wobei die traditionelle Gesangsstärke ein weiteres großes Plus der Vorstellung war.

Glanzstück der Essener Aufführung war die Collage aus dem Absolventenstück “Rent”. Mit hohem Tempo, großer Ausstrahlung, aber auch einem Sinn für die stillen Momente des Stückes brachte das Ensemble eine beeindruckende Gesamtleistung auf die Bühne. Energetischer Mittelpunkt war Merle Hoch als Maureen, die mit ihrer Bühnenpräsenz die Blicke auf sich zog. Auffällig weiter: Tim Ludwig als Tom Collins, der seine Körperlichkeit voll ausspielen konnte, zugleich aber auch in den leisen Augenblicken berühren konnte. Anzumerken war den Essener Absolventen, wie eingespielt das Ensemble innerhalb dieses Blocks miteinander harmonierte und wie sorgfältig die Darsteller ihre Charaktere ausgearbeitet und verinnerlicht hatten. Dagegen mussten die eher willkürlich zusammengestellten Einzelsongs, die das Programm einleiteten, abfallen. Einzig Natalya Bogdanis’ “Aschenbrödel” ragte mit witzigen Inszenierungsideen rund um einen Putzlappen und einen Eimer heraus.

Schwerer hatten es das Leipziger Absolventinnenquintett, fehlten in ihren Reihen doch schlichtweg die Männer. Schon der Programmtitel “Ladies’ Night” machte deutlich, dass man gedachte, aus dieser Not eine Tugend zu machen. So drehte sich die zusammenhängend inszenierte Szenenfolge um die Partyvorbereitung einer Runde von fünf jungen Damen, die allerdings nur schwer auf Touren kam und nicht so recht zünden wollte. Trotzdem blieben einzelne Nummern in Erinnerung: Corinna Ellwangers witzige “My Heart Will Go on”-Einlage inklusive des von den Kolleginnen ins Haar geblasenen Fahrtwindes ebenso wie “Vielleicht mag ich es so” aus “The Wild Party” von der stimmlich herausragenden Martina Mühlpointner. Dass mit Julia und Nina Baukus ein Zwillingsschwesternpaar auf der Bühne stand, war schließlich nicht nur dem äußeren Anschein zu entnehmen: Mit “Die Schwestern” von Johannes Brahms setzten die beiden auch einen äusserst gelungenen klassischen Kontrapunkt im Reigen der Musicalsongs.

Das Programm der Absolventen vom Konservatorium Wien stand unter dem Titel “Shakespeare and Love”. Jeweils paarweise traten die Akteure zunächst auf und spielten eine klassische Shakespeare-Szene, die in einen Song mündete. Zur Mitte des Blocks wurde diese Konzeption jedoch zugunsten einer reinen Songabfolge ad acta gelegt, dennoch gewann das Programm dadurch nur wenig an Schwung. Die bis auf zwei Ausnahmen in englischer Sprache vorgetragenen Songs wurden musikalisch wenig abwechslungsreich begleitet und boten den Darstellern wenig Möglichkeiten, ihre Stärken auszuspielen und Profil zu gewinnen. Doch zum Glück gab es da noch Anna Veit: Mit ihrem Siegertitel “Herz in der Hand”, mit dem sie bereits den Bundeswettbewerb Chanson 2008 gewonnen hatte, faszinierte sie das Publikum, so dass man eine Stecknadel im Saal hätte fallen hören. Eine ungewöhnliche und herausragende Vorstellung mit einem sehr eigenen Profil.

Alle Teilnehmer im Überblick:
Bayerische Theaterakademie August Everding München: Marianne Curn, Karsten Kenzel, Susanne von Lonski, Stephanie Marin, Thorsten Ritz, Tom Schimon, Martin Daniel Selle, Florian Soyka, Nina Vlaovic
Folkwang-Hochschule Essen: Natalya Bogdanis, Jonas Hein, Merle Hoch, Stefan Igeler, Tim Ludwig, Dionne Wudu
Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartholdy Leipzig: Julia Baukus, Nina Baukus, Corinna Ellwanger, Franziska Juntke, Martina Mühlpointner
Konservatorium Wien: Stefan Karl Bischoff, Birgit Arquin, Daniel Feik, Julian Looman, Simone Niederer, Florian Resetarits, Birgit Riegler, Anna Veit, Andreas Wanasek.

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