Autopilot geht garantiert schief

Im Programmheft stehen ihre Namen ganz am Ende, doch ein reibungsloser Showablauf wäre ohne sie undenkbar: Swings. Aber wie genau sieht eigentlich ihr Arbeitsalltag aus?

Die Uhr zeigt fast 22 Uhr, als Katy Osborne, Kevin Perry und Sandy Moffat gutgelaunt das Bistro im Kölner Musical Dome betreten. Seit das Musical “We will rock you” im Dezember 2004 Premiere gefeiert hat, sind die drei als Swings mit von der Partie. Ein wenig müde sehen sie aus, schließlich liegt ein weiterer Arbeitstag auf der Bühne hinter ihnen. Nachdem sie es sich mit Cola und Kölsch gemütlich gemacht haben, beginnen sie munter über ihren Alltag zu plaudern.

“Die Proben begannen zwei Monate vorher”, blickt der 23-jährige Sandy Moffat auf die Anfangszeit zurück. “Das Ensemble und wir begannen zur gleichen Zeit mit den Proben. Aber sobald das Ensemble das Staging lernte, waren wir Swings draußen. Wir hatten gar nicht die Möglichkeit, die Choreographien so zu lernen wie das Ensemble.” Seine Kollegin Katy Osborne ergänzt: “Während der Kostüm- und Technikproben saßen wir im Zuschauerraum, haben zugeschaut und uns Notizen gemacht. Als wir endlich selbst auf die Bühne durften, war alles sehr fremd für uns.” Moffat erinnert sich nur zu gut an den Tag, als er zum ersten Mal “auf die Bühne geworfen worden” sei: “Das erste Mal, dass ich eingesetzt wurde, war während einer Show. Und ich hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich mache, denn vorher hatte ich noch nie auf dieser Bühne getanzt.”

Wann immer ein Ensemblemitglied durch Urlaub oder Krankheit ausfällt, schlüpft ein Swing in seine Rolle. Neun Ensemblerollen (“Tracks”) hat in dem Kölner Musical jeder einzelne Swing in seinem Repertoire. “Häufig spielen wir mehr als einen Part während einer Show”, erzählt Kevin Perry. Manchmal muss sogar während einer Show umdisponiert werden. “Wenn sich zum Beispiel jemand verletzt, dann muss die ganze Show verändert werden, weil jemand für ihn einspringen muss”, führt Moffat fort. “Man muss also nicht nur den Track übernehmen, für den man an dem Abend eingeplant worden ist, sondern auch noch andere Rollen schnell covern können.” Zeitweise komme es vor, dass ein Swing in die Rollen von drei verschiedenen Leuten springen musste – hohe Konzentration und vor allem Koordination ist hier gefragt. “Manchmal müssen Jungs die Mädchentracks übernehmen und umgekehrt”, plaudert Moffat aus seinem Alltag. “Du musst ständig nachdenken und dich konzentrieren, denn wenn du abschaltest und auf Autopilot gehst, geht sehr schnell was schief.”

Davon können alle ein Lied von singen. Perry: “Es kommt schon mal vor, dass du zum Beispiel während einer Tanzsequenz durcheinander kommst und auf den falschen Tanzpartner zuläufst, weil den Partner, den du eigentlich erwartest, an diesem Abend auch durch einen Swing ersetzt wurde.”

Kein einfacher Job also – aber die drei sind mit Leib und Seele dabei. “Es wird nie langweilig”, sagt Perry. Die tägliche Herausforderung sei das Beste an dieser Arbeit, sagen alle drei – wissen jedoch auch um die Schattenseiten des Jobs: “Als Swing hast du eine größere Verantwortung, denn es gibt niemanden, der einen Swing ersetzt”, erklärt Katy Osborne. Vor einiger Zeit sei sie selbst krank geworden und habe sich schrecklich gefühlt – doch das schlechte Gewissen trieb sie dennoch ins Theater.

Trotz des ganzen Stresses: sie liebt ihre Arbeit. So wie ihre zwei Kollegen am Tisch ist sie zum ersten Mal als Swing bei einer Produktion dabei. “Ich würde sofort wieder als Swing arbeiten”, so die Engländerin enthusiastisch. Einzig die besondere Atmosphäre, bei der Galapremiere auf der Bühne zu stehen, habe ihr ein wenig gefehlt. “Wir saßen natürlich nur im Publikum und haben zugeschaut, denn alle im Ensemble haben sich angestrengt, nicht krank zu werden – um die Premiere nicht zu verpassen.”

Durch die gemeinsame Probenzeit haben sich die Swings im Musical Dome zu einer eingeschworenen Gemeinschaft entwickelt. “Wir sind die Swings, wir sind wie eine kleine Familie, das mag ich sehr”, sagt Moffat. Was wohl auch daran liegen mag, dass nur die Swings unter sich ihren Arbeitsaufwand richtig kennen. “Kaum jemand weiß wirklich, was wir hier machen”, erzählt Osborne. “Wenn die Leute dich sehen, wie du die Show draußen vom Monitor aus verfolgst und dir Notizen machst, dann hörst du schon mal Sachen wie ‘Ihr habt es gut, ihr werdet fürs Nichtstun bezahlt’.” Es sei aber auch schwer, Außenstehenden ihre umfangreiche Arbeit genau zu erklären. “Noch nicht mal meine Eltern wissen genau, was ich hier zu tun habe”, erzählt Katy Osborne. Respekt bekommen sie vor allem von ihren Ensemblekollegen entgegengebracht, die in der Vergangenheit eine Beschäftigung als Swing hatten. Das Feedback der Theaterbesucher hält sich hingegen in Grenzen.

“Wenn du ein Swing bist, hast du eine Menge Arbeit, aber bekommst wenig Dank zurück”, zuckt Sandy Moffat mit den Schultern. Perry pflichtet ihm bei, aber im Business werde es wahrgenommen, ist er sich sicher. “Da ist es ein großes Plus, eine Swingtätigkeit im Lebenslauf zu haben.”

Zusammen mit Katy Osborne besuchte Kevin Perry das Laine Theatre Arts, um zum Musicaldarsteller ausgebildet zu werden. Bereits im Alter von 15 Jahren verließ er sein Zuhause, um sich professionell auf seine Gesangs- und Theaterkarriere vorzubereiten. Während die beiden ihren Berufswunsch schon früh in der Teenagerzeit fassten, wurde Moffat eher zufällig mit dem Theatervirus infiziert. “Ich bin mehr so was wie ein Spätzünder in der Hinsicht”, erzählt er. In Bands habe er zwar schon immer gesungen, aber eigentlich schwebte ihm nach der Schulausbildung ein eher bodenständiger Beruf vor. “Ich ging zur Universität um Ingenieurswesen zu studieren, doch nach einem Jahr stellte ich fest, dass das gar nichts für mich ist.”

Der damals 20-jährige ging in dieser Zeit ins Theater und schaute sich “Rent” an. “Da spielte ein englischer Soapstar mit”, erinnert er sich und lächelt verschmitzt, “und ich dachte mir‚ wenn der das kann, kann ich das auch, wenn nicht sogar besser.” Sein Ehrgeiz war geweckt. An mehreren Schulen bewarb er sich und bekam letzten Endes einen Platz am London Studio Centre. Viel Glück habe er gehabt, meint er. “Das war vor gerade mal drei Jahren und jetzt bin ich hier.”

Was die Zukunft für die drei jungen Künstler bereit hält, wissen sie nicht. “Uns ist angeboten worden, für ein weiteres Jahr hier in Köln zu bleiben”, verrät Osborne. “Aber wir sind uns noch nicht sicher.” Es sei keine so leichte Entscheidung, sind die drei sich einig, denn schließlich sind ihre Freunde und Familien in England. “In diesem Beruf weißt du nie, was dich erwartet”, sagt Moffat und nippt ein wenig nachdenklich an seinem Getränk. “Im nächsten Jahr könnten wir genauso gut irgendwo in einem Londoner Restaurant als Kellner arbeiten und nebenbei zu Auditions gehen. Das ist schon ein wenig beängstigend.”

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