Entscheidend, wie du reinkommst

Die Joop van den Ende-Academy ist die Talentschmiede der Stage Holding. Unser Unterrichtsbesuch zeigt, in wie weit der Musical-Multi tatsächlich mit im Boot ist und was eine Try-Out-Class ist.

Mitten in der Hamburger Speicherstadt mit direktem Blick auf Fleete und Schiffe liegt die Zentrale der Stage Holding Deutschland. Unter dem Dach untergebracht: Die konzerneigene Joop van den Ende-Academy. Robin Brosch, künstlerischer Direktor, relativiert die edle Optik der Talentschmiede: “Wir sind hier quasi nur die armen Verwandten, wir müssen auch um jeden Euro kämpfen, gerade für die Stipendien unserer Schüler.”
Dennoch geht es gerade in Sachen Unterrichtsversorgung luxuriös zu. Die erst vor zwei Jahren gegründete Academy legt Wert auf kleine und überschaubare Lerngruppen und lässt pro Schuljahr nur 16 Kandidatinnen und Kandidaten zu.

“Unser Ziel ist es, in den drei Jahren Darsteller auszubilden, die das Handwerkszeug haben, den Herausforderungen in jedem 3-Sparten-Haus zu genügen, aber natürlich auch zu den Produktionen der Stage Holding passen”, beschreibt Brosch die Ausrichtung der Ausbildung. “Jeder von ihnen soll anschließend das nötige Können und das nötige Selbstbewusstsein haben, einem Regisseur entgegentreten und ihm etwas anbieten zu können.”
Bestes Beispiel dafür: Sabrina Weckerlin aus dem ersten Ausbildungsjahrgang der Academy, die schon im Studium für die Rolle der Constance in den Berliner “3 Musketieren” verpflichtet wurde.

“Praxisbezug ist uns wichtig, daher haben wir auch nur Lehrende aus der Praxis, was wiederum die Stundenplanung oft erschwert”, skizziert Brosch, selber aktiver Darsteller und unter anderem als fieser Reeder Bruce Ismay auf der Hamburger “Titanic” untergegangen, den Lehrkörper seiner Schule. Auch rechtzeitige Bewerbungspraxis steht auf dem Stundenplan. So finden nicht nur simulierte Auditions im Studiensemester statt, auch Vorsingen für verschiedene Produktionen in Hamburg unter „Ernstfallbedingungen” ist erwünscht.

Drei Schüler des vierten Semesters haben an den Auditions für die “Aida”-Tourneeproduktion teilgenommen und der erste Programmpunkt der wöchentlichen “Try –Out-Class” bei Robin Brosch ist dann auch gleich der Bericht von den ersten eigenen Vorsingerfahrungen.

“Die wollten gar nicht den ganzen Song hören!”, wundert sich einer, “ich hätte gern noch mehr stimmlich präsentiert.” – “Die haben relativ bald gehört, dass Du singen kannst, und das Mitentscheidende ist eh, wie Du reinkommst”, kommentiert Brosch die Haltung der Jury, “das wird sehr schnell klar, ob jemand passt, oder nicht.” Ein anderer Auditionteilnehmer berichtet von plötzlich auftretenden Stimmproblemen. “Das wird vor solchen Prüfungen und Auditions immer so sein”, gibt der erfahrene Darsteller Brosch seine Erfahrungen weiter, “das schwächste Teil Eures Körpers wird sich immer genau dann melden, wenn der Druck groß wird.”

“Try-out-Class”, das bedeutet jedoch eigentlich Vorsingen und Arbeit an Liedinterpretation vor den kritischen Augen der Mitstudierenden. Jeweils die Hälfte des Jahrgangs geht zusammen in diesen Unterricht. Anne-Catrin hat einen Song aus “The Fantasticks” vorbereitet. Im ersten Anlauf noch verhalten träumt sie in “Only once” davon, einmal Konventionen über Bord zu werden. “Das ist zuerst ganz intim, stell Dir einfach vor, du bist in Deinem Zimmer, stell Dir die ganze Einrichtung im Detail vor, stell Dir vor, wie Du Dich darin bewegst”, gibt Robin Brosch Hilfestellungen. Schritt für Schritt erarbeitet er mit der dunkelhaarigen Sängerin die Geschichte, die der Song erzählt.

“Wenn er dich dann auf die Augen küsst – das muss durchgehen, das will ich im ganzen Körper sehen, und wenn Du dann vom Tanzen singst, spiel es, mach etwas Verrücktes, tanz, wie Du sonst zu der Musik tanzst, die Du privat hörst.”

Gespannte Konzentration im Raum, immer wieder unterbricht Brosch, lobt, erklärt, spielt mit vollem Körpereinsatz vor, während bei den Mitschülern gespannte Konzentration und Stille herrscht. “Unser Prinzip ist es, positiv zu arbeiten”, erklärt er hinterher. “Ich halte nichts davon, jemanden zunächst zu brechen, und dann wie Prometheus einen neuen Menschen zu erschaffen. Ich will mit den Anlagen und Stärken eines Schülers arbeiten, eine Bühnenpersönlichkeit auf dieser Basis schaffen, denn wir brauchen keine Musicalsoldaten, sondern Darsteller, die eine Rolle leben und eine Geschichte erzählen können.”

“Das ist schon sehr schön”, begeistert er sich für Alessandros “Let me entertain you”. “Das muss nur noch lockerer werden, der Song ist gerade dann stark, wenn er mühelos kommt, wenn Du Dich darin wohlfühlst.” Viel feilen will Brosch an der kraftvollen Interpretation heute nicht, in zunehmender Übung sieht er hier den Schlüssel zum nötigen coolen Auftritt und lässt es bei einem zweiten Durchlauf bewenden, zumal sich die Stunde dem Ende nähert.

“Wir stellen unsere Jahrgänge schon so zusammen, dass wir das Gefühl haben, da ist eine Harmonie drin. Die Leute müssen, wenn sie in einer so kleinen Gruppe drei Jahre zusammen lernen, zueinander passen”, erklärt Robin Brosch nach einer freundschaftlichen Verabschiedung die Atmosphäre der Probenstunde. “Nur so lernen die Schüler, sich selbst zu vertrauen und sich auszuprobieren, eines der wichtigsten Werkzeuge für den späteren Beruf.”

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