 |
 Schauspielmusical
Rio Reiser - Mein Name ist Mensch Du hörst mich singen
© Franziska Strauss
© Franziska Strauss
Mit ihrem sozialkritischen Politrock prägten Rio Reiser und seine Band "Ton Steine Scherben" den Aufbruch einer ganzen Generation. Ihre rebellischen Texte und rockigen Rhythmen waren das musikalische Sprachrohr des linksalternativen Spektrums der Bundesrepublik und West-Berlins in den 70er und 80er Jahren. "Mein Name ist Mensch", sang Rio Reiser. Doch was war er eigentlich für ein Mensch? Die Komödie am Kurfürstendamm, derzeit im Schiller Theater gastierend, widmet sich dieser Frage in ihrem neuen Musical und sorgt damit für einen dynamischen, kurzweiligen Abend mit fantastischer Musik und Themen, die zum Nachdenken anregen.
(Text: kk) Premiere: | | 06.10.2019 | Dernière: | | 03.11.2019 | Showlänge: | | 200 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Die Bühne ist in Dunkelheit getaucht. Das Ensemble erscheint und stimmt a capella das Lied "Träume" an. Es ist ein leiser, melodischer Einstieg, der in Kontrast zu dem steht, was das Publikum im weiteren Verlauf des Abends erwartet: laute, wummernde Rockmusik, garniert mit gesellschafts- und sozialkritischen Texten.
Schlaglichtartig finden historische Ereignisse Erwähnung, die das Engagement und die Einstellung der links orientierten Rockgruppe "Ton Steine Scherben" kontextualisieren: der Staatsbesuch des Schahs von Persien in West-Berlin, die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg, die Studentenrevolte der 68er, die Hausbesetzerbewegung. Mit ihren "revolutionären Volksliedern" treffen die "Scherben" den Nerv der Zeit in einer gesellschaftspolitisch angespannten Lage. Musik ist ihre Waffe. Daher sollen sie für die RAF einen Kampfsong kreieren. Doch "Keine Macht für Niemand" wird von der RAF mit der Begründung abgelehnt, das Lied sei "für den anti-imperialistischen Kampf unbrauchbar".
© Franziska Strauss
© Franziska Strauss
Obwohl in der linken Szene populär und gefeiert, geraten die "Scherben" in finanzielle Schwierigkeiten. Ihre Solidaritätskonzerte bringen keine Einnahmen. Der Versuch, wirtschaftlicher zu handeln, wird ihnen als "kapitalistischer Trip" vorgeworfen. Von anderer Seite werden sie als "Jukebox der Linken" verunglimpft. Für die Bandmitglieder ist es ein Drahtseilakt zwischen Aufbegehren gegen das kapitalistische System und der Notwendigkeit, auf eine Gage angewiesen zu sein.
Das Publikum erlebt Rio Reiser in seiner ganzen Menschlichkeit: idealistisch, nach Gerechtigkeit strebend, rastlos, ruhelos, unverstanden, zeitweise cholerisch, dem Alkohol zugetan. Rio leidet, nur selten sieht man ihn lachen oder gut gelaunt. Stets scheint er mit sich und der Welt zu hadern. Hauptdarsteller Frédéric Brossier gelingt es glaubhaft, die innere Zerrissenheit Reisers darzustellen. Schauspielerisch wie gesanglich kann er überzeugen. Auch optisch kommt er dem Original sehr nahe.
© Franziska Strauss
© Franziska Strauss
Die Songs des Musicals stammen allesamt aus dem Repertoire der "Scherben" bzw. von Rio Reiser. Sie werden von den Ensemblemitgliedern, die die Band verkörpern, auf der Bühne präsentiert, sind jedoch nicht handlungstragend. Vielmehr hat man im Publikum sitzend das Gefühl, gerade einem Konzert der wiederauferstandenen Protestband zu lauschen.
Das liegt nicht nur an Frédéric Brossier, der den Texter und Lead-Sänger authentisch verkörpert, sondern auch an den Kostümen von Claudia Töpritz, die eine Zeitreise in die 70er und 80er Jahre der Bundesrepublik ermöglichen. Das Bühnenbild ist spartanisch: Am linken Bühnenrand sind die Instrumente der Band positioniert, rechts befindet sich eine Art Wohnzimmer mit Sessel, Tisch und Stühlen. Eine Leinwand im Hintergrund wird als Fläche für Projektionen genutzt. Wann immer ein Originalzitat von Rio Reiser aus dem Off zu hören ist, wird ein kurzer Videoclip zur Illustration abgespielt.
Mit Rios Entschluss, "Die Scherben" 1985 zu verlassen, endet – dramaturgisch sinnvoll – der erste Akt. Im Fokus des zweiten Akts steht seine Solokarriere. Mit Unterstützung seines neuen Managers George Glück avanciert er zum "König von Deutschland".
© Franziska Strauss
© Franziska Strauss
Zweiter Star des Abends ist Frederic Böhle, der insbesondere als George Glück und als Bandmitglied Nikel Pallat brilliert. Er verfügt über eine unglaubliche Bühnenpräsenz, die von seinem ausdrucksstarken Schauspiel und seiner kraftvollen Stimme lebt. So sticht er deutlich aus dem Ensemble hervor. Zu den Höhepunkten des Abends zählt der Song "Mein Manager erledigt das für mich", in dem Rio mit seinem neuen Manager einen eindrucksvollen Tango samt Hebefiguren aufs Parkett legt.
Für Erheiterung sorgen zudem die Auftritte der jungen Claudia Roth und Marianne Rosenberg, die beide überaus überzeugend von Antonia Jonas und Katrin Hauptmann gemimt werden. Auch das restliche Ensemble kann mit seiner Leistung begeistern. Die Darsteller agieren zugleich als Schauspieler und Musiker. Eine separate Band gibt es nicht. Besonders herauszuheben sind die Songs "Irrlicht" und "Alles Lüge", die das Ensemble berührend bzw. mit viel Komik interpretiert.
Dramaturgisch genial und sehr einfühlsam wird Rios Tod inszeniert: Rio steht auf einer erhöhten Ebene über allen anderen Charakteren und wird von einem Lichtkegel angestrahlt. Er blickt hinab und singt "Es ist vorbei. Bye, bye, Junimond", während sich seine Wegbegleiter gegenseitig trösten und seiner gedenken. Und dann ist es nicht nur mit dem Leben des musikalischen Ausnahmetalents vorbei, sondern auch mit der mit Standing Ovation gefeierten Premiere im Berliner Schiller Theater.
(Text: Katharina Klasen)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken == 2020/21 ==
Rio Reiser - Philip Butz
Kai Sichtermann - Daniel Splitt
Funky Götzner - Paul Tetzlaff
Angie / Anne / Studentin / Tuti / Marianne / Manager(Gesang) / Assistentin / Sabeck - Katrin Hauptmann
R.P.S. Lanrue / Reporter1 - Gabriel Kähler
Benno Ohnesorg / Dutschke / Horst - Fabian Hentschel
Lehrer / Kurras / "Nikel" Pallat / George Glück - Frederic Böhle
Schlotterer / Elser / Jan - Maximilian Pekrul
Polizist / Raymond / Lutz / Reporter 2/ Niels - Friedemann Petter
Mutter / Sabine / Reporterin 1 / Gabriele / Claudia Roth / Christine / Freundin / Dr. von Bremen / Manager(Gesang) / Reporterin 2 - Judith Neumann
Jacob / Müller / Student 1 - Kai Dannowski
== 2019/20 ==
Rio Reiser - Frédéric Brossier, Philip Butz
mit - Frederic Böhle, Kai Dannowski, Hans Gurbig, Katrin Hauptmann, Antonia Jonas, Fabian Hentschel, Friedemann Petter, Daniel Splitt, Paul Tetzlaff
Produktionsgalerie (weitere Bilder)

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |