Esther Baar (Svetlana Sergievskaya), Thomas Christ (Anatoly Sergievsky), Tamás Mester (Viigand), Christiana Wimber (Florence Vassy) © Jochen Quast
Esther Baar (Svetlana Sergievskaya), Thomas Christ (Anatoly Sergievsky), Tamás Mester (Viigand), Christiana Wimber (Florence Vassy) © Jochen Quast

Chess (2019)
Theater, Regensburg

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Nasser Regen fällt auf die Bühne und bildet große Pfützen. Im Hintergrund der abgedunkelten Bühne steht eine verzweifelte Frau mit zwei Kindern. Ihr Mann – der frisch gebackene russische Schachweltmeister Anatoly Sergievsky – singt im Zentrum der Bühne eine gefühlvolle Hymne an sein Land, das er so liebt und doch verlassen muss. Gefühlvolle Streicher und zarte Holzbläser begleiten den emotionalen Augenblick. Gänsehaut pur? Leider nein. Denn das Orchester bleibt in Belanglosigkeit stecken. Es folgt weder dem Crescendo des Sängers noch der intensiven Dramatik. Kein opulent gewaltiger Orchesterklang beendet die Szene. Diese Schlussszene des 1. Aktes ist symptomatisch für die Premiere des Musicals “Chess” im Velodrom des Theaters Regensburg.

Heiß sind die Inszenierung von Christina Schmidt und die Dramaturgie von Julia Anslik. Schmidt und Anslik bewegen sich ambitioniert abseits ausgetretener Pfade. Zu Beginn hebt sich langsam der Vorhang über ein kleines Kind, das auf dem Boden sitzt und über einem Schachbrett sinniert. Die Stimme der Mutter aus dem Off ruft den Kleinen ins Bett. Die Hommage an “Starlight Express” gibt einen intimen Einblick in die Anfänge von Freddy Trumpers Schach-Obsession. Die Bühne von Frank Fellmann öffnet sich wie ein Buch mit menschlichen Schachfiguren in kreativ abstrakten Kostümen. Amerikanische Beamten bearbeiten Anatolys Asylantrag und jammern über einen Mangel an Anerkennung. Darüber erhebt sich eine menschliche amerikanische Freiheitsstatue, der irgendwann die Fackel zu schwer und das Gemaule der Beamten zu dumm wird und die dann entnervt die Bühne verlässt. “Chess” in Regensburg ist witzig, charmant und modern.

Kostümbildnerin Susanne Ellinghaus zeigt eine erstaunliche textile Bandbreite: amerikanische Cheerleader mit Pompoms, russische Diplomaten in schweren schwarzen Gewändern, Schachspieler in dezenten Anzügen, Frauen in mondänen Kleidern. Jede Gewandung ist erfrischend anders und fantasievoll verspielt. Die Kostüme in Regensburg unterstützen die Dramatik geschickt und präsentieren neue Aspekte.

Christina Schmidt modernisiert das Musical gründlich und reichert die Handlung mit zeitgemäßen Requisiten an. Die Strategen kommunizieren mit Handys. Spannendes Detail ist die Pressekonferenz von Frederick Trumper: Journalisten in Mäntel halb schwarz halb weiß stehen für Neutralität und führen das Interview. Chats im Stil WhatsApp oder Twitter auf seitlichen Monitoren kommentieren das Interview in Echtzeit. Steigen anfangs mit den Sympathien auch die Anzahl der Likes, so schlägt die Stimmung mit Trumpers zunehmenden Aggressivität um und die Anzahl der Dislikes nimmt überhand. Warum aber eingängige Songs wie “Merano” fehlen, ist unverständlich.

Auch die Tänzer heizen ein. Ausdrucksstark, präzise und immer synchron geben Sie vielen Szenen eine zusätzliche Dimension. Choreograph Tamás Mester – der übrigens selbst mitspielt (in der Rolle des Leonid Viigand, Anatolys Nachfolger im Sovjet-Team) – kombiniert verschiedene Stile. Heroisch asiatische Kampfkunst, ein witziges Ballett von Cowboy-Beamten auf Schreibtischstühlen als Pferdeersatz und ausgelassene Cheerleading-Moves begeistern.

Thomas Christ legt Anatoly als zurückhaltenden, fast schüchternen und verletzlichen Charakter an. Seine Stimme klingt über den kompletten Tonumfang kristallklar, fast schwerelos. Wo notwendig, ergänzt er Volumen und Tiefe. Jedes einzelne Wort ist verständlich. Christ spielt körperbetont. Jede Pose, jede Geste, jede Mimik sitzt auf den Punkt.

Anatolys Gegenspieler ist Frederick Trumper. Ruud van Overdijk spielt den Amerikaner anfangs frech und aggressiv, später trotzig und verletzt. Beim ersten Spiel lümmelt er gelangweilt im Stuhl. Mit zunehmender Partie steigt seine Anspannung, die in Entsetzen und Frustration gipfelt, als er sich geschlagen geben muss. Van Overdijk spielt die Metamorphose absolut glaubwürdig.

Van Overdijk und Christ sind gleichwertige feindliche Schlachtschiffe. Ihre restlichen Kollegen kühlen leider die Begeisterung ab: Die Artikulation der oft schwierigen deutschen Texte von Kevin Schroeder bleibt streckenweise unverständlich. Die Intonation in hohen Lagen ist nicht immer treffsicher. Bariton Seymur Karimov liefert ein überzeugendes Bild des intriganten russischen Strategen Molokov. In den mittleren Lagen singt er zwar druckvoll und volltönend. Da die Rolle für Bass oder Bassbariton ausgelegt ist, fehlt aber in den ausgedehnten tiefen Passagen Volumen. Brent L. Damkier ist ein Vollblut-Opern-Tenor. Doch Stimme und Schauspiel wollen zum rockig flippigen Schiedsrichter so ganz und gar nicht passen. Christiana Wimber gelingt es weder gesanglich noch schauspielerisch, Florence Vassy als gleichwertigen weiblichen Kontrapunkt zu Frederick und Anatoly zu platzieren.

Ganz kalt lassen Abmischung und Orchester. Das Potenzial der über 30 Musiker des Philharmonischen Orchesters Regensburg ist groß. Die Partitur aus der Feder der beiden B’s von ABBA pendelt anspruchsvoll zwischen Rock, Soundtrack und Symphonik. Dirigent Alistair Lilley gelingt es dabei nicht, die verschiedenen Register des Klangkörpers auszubalancieren und die Partitur wirkungsvoll umzusetzen. Holzbläser und Streicher sind stets zu leise, die Synthesizer bleiben ein Fremdkörper. Die Vorstellung des Schiedsrichters gerät fast zum Fiasko, als sich die elektronischen Instrumente nicht durchsetzen können. Tutti-Passagen wirken dünn und blass. Die Tontechnik ist saft- und kraftlos. “One Night In Bangkog” wirkt langweilig, obwohl die Tänzer hingebungsvoll einen thailändischen Tempeltanz interpretieren. Einzig die Blechbläser und die Pauken lassen die Kraft und die Energie der Komposition erahnen. Die Dynamik von Gesang und Orchester passt selten zusammen. Esther Baar beispielsweise als Svetlana singt meist unhörbar. Eine der wenigen positiven Ausnahmen ist “I Know Him So Well”. Endlich darf sich beim Zuhörer eine intensive Gänsehaut einstellen. Sicherlich sind einige musikalische und akustische Schwächen dem Premierenfieber geschuldet, wie auch viele Versprecher. Was bleibt, ist eine moderne und fantasievolle Inszenierung des königlichen Spiels mit enttäuschend kraftloser Akustik – alles in allem eine eher lauwarme Fabel über den kalten Krieg.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungAlistair Lilley
InszenierungChristina Schmidt
ChoreographieTamás Mester
Bühne und VideoFrank Fellmann
KostümeSusanne Ellinghaus
DramaturgieJulia Anslik
 
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CAST (AKTUELL)
Frederick TrumperRuud van Overdijk
Florence VassyChristiana Wimber
Anatoly SergievskyThomas Christ
Walter de CourceyChristian Schossig
Alexander MolokovSeymur Karimov
Der SchiedsrichterBrent L. Damkier
Svetlana SergievskayaEsther Baar
ViigandTamás Mester
BeamteRaimund Burgmeier
Sehoon Ha
Kyu-Hyun Lee
Harald Mück
Jong-Il Park
Arpad Vulkan
TV-KommentatorMichael Haake
SprecherSilke Heise; Brent L. Damkier
Maximilian Eisenacher
Seymur Karimov
PopchorLiliana Düstersiek
Laura Vögele; Kyu-Hyun Lee
Arpad Vulkan
Der kleine FrederickBenedict Clemens Jacob
Ferdinand Käser
Statisterie, Opernchor, Extrachor, Theater Regensburg Tanz
Philharmonisches Orchester Regensburg,
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
So, 10.03.2019 11:00Theater, RegensburgNeuhaussaal
Sa, 16.03.2019 19:30Velodrom, RegensburgPremiere
Mo, 18.03.2019 19:30Velodrom, Regensburg
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