 |
 Drama
Der Mann mit dem Lachen Hässlich ist, wer Böses tut
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Jede Uraufführung ist ein Wagnis. Bei "Der Mann mit dem Lachen" punktet die Staatsoperette Dresden mit einer sehenswerten Ausstattung und einem darstellerisch wie gesanglich präsenten Hauptdarsteller. Regisseur Andreas Gergen poliert die matte Vorlage von Frank Nimsgern (Musik), Tilmann von Blomberg (Buch) und Alexander Kuchinka (Liedtexte) mit seiner temporeichen Inszenierung gehörig auf. Der ganz große Wurf ist das Stück in dieser Fassung allerdings nicht.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 27.04.2019 | Rezensierte Vorstellung: | | 27.04.2019 | Letzte bekannte Aufführung: | | 07.06.2020 | Showlänge: | | 165 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Mit einem rauschenden Fest feiert sich der dekadente englische Adel selbst. Die rasch arrangierte Verlobungsfeier von Josiane, Herzogin von Tay mit dem verschollen geglaubten Spross des Hauses Clancharlie gipfelt in einer zügellosen Orgie. Dass der junge Mann mit dem verunstalteten Gesicht eben noch Jahrmarkts-Gaukler und damit gesellschaftlicher Außenseiter war, ist zwar ein pikantes Detail, interessiert hier jedoch niemanden. Protz, Prunk und Vergnügen stehen im Vordergrund.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Der in den Adelsstand hinaufkatapultierte Gwynplaine ist berauscht von der Erfüllung seiner kühnsten Träume, ahnt jedoch nicht, dass er aus Machterhalt, finanzieller Gier und Rachegelüsten das Opfer einer Intrige ist. Als er die wahren Hintergründe erkennt, prognostiziert er der elitären Schicht, ganz im Geiste seines auf Geheiß des Königs ermordeten Vaters, den gesellschaftlichen Untergang. Der eben noch prächtige Saal verblasst, der Adel stürzt zu Boden, illustriert von Projektionen von der Französischen Revolution bis zur friedlichen deutschen Revolte mit dem Mauerfall.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Ein wirklich starkes Bild und ein tolles Ende, hätte Autor Tilmann von Blomberg dem Stück – anders als in Victor Hugos Romanvorlage – nicht noch ein Happy End verpasst. In diesem kehrt Gwynplaine reumütig zu seinem Ziehvater Ursus zurück und schließt das blinde Waisenmädchen Dea in die Arme. Gemeinsam fliehen sie in einem kleinen Ruderboot von der britischen Insel in Richtung Niederlande. Auch wenn ihr Schicksal offen bleibt, ein Musical muss nicht zwingend gut enden. Zumal von Blomberg die beiden Schurken des Stücks, den sich als Freund und Mentor einschmeichelnden Barkilphedro und sein Mündel Josiane Darnley, ungeschoren davonkommen lässt.
Andererseits kann man es dem Texter nicht hoch genug anrechnen, dass er versucht hat, Victor Hugos mehrbändiges Epos zu einem halbwegs nachvollziehbaren Musical-Plot zu verdichten. Das gelingt ihm bei einer in den Jahren 1654 bis 1705 spielenden Geschichte mit einer Vielzahl an Nebenfiguren und Rückblenden nur bedingt. So sind zum Beispiel Personen wie der zwielichtige Dr. Hardquannone, der Gwynplaine in seiner Kindheit chirurgisch verunstaltet hat, oder der Anführer der Kinderhändlerbande dramaturgisch nicht schlüssig in das Stück integriert. Zum Schluss hin verliert es zudem an Spannung und Dynamik. Wer die Übersicht über die manchmal recht wirren Wendungen nicht verlieren will, der sollte sich unbedingt durch die sechsseitige Handlungsbeschreibung im Programmheft kämpfen. Glücklicherweise sind hier Alexander Kuchinkas, vor schlichten Reimen nur so strotzenden Liedtexte nicht abgedruckt.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Frank Nimsgerns Kompositionen reichen von Barock bis Rock, wirken beliebig aneinandergereiht und verfügen mit Ausnahme des Songs "Oben" über nur wenig Ohrwurm-Potenzial. Vieles glaubt man in ähnlicher Form aus anderen Klassik- oder Musical-Partituren bereits zu kennen, die auf Show-Stopper getrimmte Ensemble-Nummer "Englands Stolz" ist dramaturgisch überflüssig und wirkt in der eher düsteren Handlung wie ein alberner Fremdkörper. Dennoch ist die Musik kein Desaster. Das mit sechzig Musikern opulent besetzte Orchester der Staatsoperette Dresden spielt sich unter dem Dirigat von Peter Christian Feigel munter durch den Stilmix, zu dem Simon Eichenberger einige sehenswerte Choreografien entworfen hat. Auch das flexible Ballettensemble gehört unbedingt auf die Haben-Seite des Abends.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Als Glücksgriff erweist sich die Verpflichtung der Ausstatter: Mit einem dunklen Brückengestell im Vordergrund und einer auf der Drehbühne stehenden, in zwei Elemente teilbaren Wand schafft Sam Madwar schnell wandelbare Räume. Dank weniger Versatzstücke und atmosphärisch dichter Projektionen entstehen in Windeseile immer neue, oft optisch verblüffende Schauplätze. Schnell wandelbar ist auch Uta Loher und Conny Lüders' schick-elegantes, schwarzes Kostümbild für die sehr spielfreudigen, stimmschön singenden Choristen. Sie verwandeln sich, dank abnehmbarer weißer Kragen vom steifen Adel in eifrige Lakaien mit Schürzen und Hauben. Optisch ansprechend sind auch die Kostüme von Haupt- und Nebenfiguren im Stil des frühen 18. Jahrhunderts.
Andreas Gergens Inszenierung nutzt geschickt den gesamten Bühnenraum und den mit einem Umlauf versehenen Orchestergraben. Meisterlich arrangiert er bewegte Massenszenen wie die bereits erwähnte Verlobungsfeier und schafft mit einfachen Mitteln packende Bilder. So bilden für den wilden Ritt Gwynplaines zum Richtplatz drei Tänzer ein Pferd, das vor einer Video-Animation galoppiert. Bei Dr. Hardquarnnones bedrohlichem Auftritt erinnert Gergen mit viel Bühnennebel und grellem Licht genüsslich an "Tanz der Vampire" und scheut sich in Gwynplaines Traum auch nicht vor Kitsch, indem er die Geliebte Dea sich ganz wie eine Heilige aus einem Strahlenkranz nähern lässt. Gergen zeichnet bis in die kleinste Nebenrolle hinein individuelle Typen. Als besonders gelungene Beispiele seien Jürgen Mai als warmherziger, alter Kammerdiener und Dietrich Seydlitz in der Doppelrolle als strassbehangen-tuntiger Zeremonienmeister und genervter Hofmaler hervorgehoben.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Vorlagenbedingt steht Olivia Delauré als blindes, recht weinerlich gezeichnetes Waisenmädchen in nur wenigen Auftritten im Schatten ihres Partners Jannik Harneit (Gwynplaine). Beider Stimmen harmonieren in Duetten wie "Hässlich ist, wer Böses tut" hervorragend, im Spiel miteinander sind sie herzerweichend. Jannik Harneit kostet einfach grandios alle Facetten seiner Figur aus und wandelt sich von der ausgelachten Jahrmarktsattraktion zum selbstbewussten jungen Mann mit Charakter, an dem schließlich auch Spott und Anfeindungen abprallen. Er wird trotz entstellender Maske mit angenehm timbriertem Musicaltenor und mühelos gemeisterten Spitzentönen der Sympathieträger der Show, während Christian Grygas (Barkilphedro) mit grollendem Bariton ein wahrlich boshafter Gegenspieler ist. Beim Song "Die Wahrheit" fehlt ihm zwar etwas die Rockröhre, bei "Der Wind hat sich gründlich gedreht" ist er allerdings ganz in seinem Element.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Mit ihrem sicher geführten, vollen Sopran ist Anke Fiedler (Josiane Darnley) eine auf den Punkt besetzte hinterhältig-intrigante Sexbombe, Elmar Andree bleibt als weiser Ziehvater Ursus hingegen recht blass. Im ersten Akt kann Angelika Mann (Anne Stuart) als resolute wie genervte Königin von England mit Kodderschnauze, umwerfender Mimik und jeder Menge Likörchen noch komische Glanzlichter setzen. Im zweiten Akt wandelt sich ihre Sprechrolle zu einer eher passiven, farblosen Monarchin.
© Stephan Floss
© Stephan Floss
Ob sich "Der Mann mit dem Lachen" nach "Les Misérables" und "Der Glöckner von Notre Dame" als drittes, auf einem Roman von Victor Hugo basierendes Musical dauerhaft durchsetzen kann und an anderen Häusern nachgespielt wird, ist nach der Uraufführung fraglich. Nach einer Überarbeitung von Text und Musik wäre dies wahrscheinlicher.
(Text: kw) 
Verwandte Themen: News: Staatsoperette Dresden: Das sind die Pläne für 2020/21 (03.05.2020)
Kreativteam
Besetzung
== 2019/20 ==
| | | Gwynplaine | | Jannik Harneit Gero Wendorff
| | | Dea | | Devi-Ananda Dahm
| | | Ursus | | Elmar Andree
| | | Barkilphedro | | Christian Grygas
| | | Josiane Darnley, Herzogin von Tay | | Anke Fiedler
| | | Hardquanone | | Bryan Rothfuss
| | | Anne Stuart, Königin von England | | Angelika Mann Cornelia Drese
| | | Sarah Churchill, Duchess of Marlborough | | Beate Korntner
| | | Dr. Hardquannone, Chirurg Georg, Prinz von Dänemark | | Bryan Rothfuss
| | | Gernardus, Anführer der Kinderhändler | | Markus Liske
| | | Aelfred, alter Kammerdiener | | Jürgen Mai
| | | Lord Clancharlie | | Hauke Möller
| | | Vorleser der Königin | | Friedemann Condé
| | | Michael Dahl, Maler Zeremonienmeister | | Dietrich Seydlitz
| | | Sir William ODonnell | | Christian Gygas
| | | Charlotte ODonnell | | Annegret Reißmann Katharina Spaniel
| | | Gwynplaine als Kind | | Jannic Focke Julio Kramer Johann Mäke
| | | Gwynplaine als Jugendlicher | | Philipp Lukas Finger
| | | Barkilphedro und Dea als Kinder | | Maya Klinner Zerline Winkler
| | | Diener von Königin Anne | | Vasily Arkhipov
| | | Diener von Barkilphedro | | Andreas Pester
| | | Ein Pärchen auf dem Jahrmarkt | | Judith Nawrocki Martin Gebhardt
| | | Gerichtsdiener | | Tobias Märksch
| | | Stallmeister Folterknecht | | Christian Berger
| | | Haushälterin | | Inka Lange
| | | Uniformierter | | Mirko Poick
| | | Lakai | | Leonardo Paoli
| | | Herold | | Daniel Müller
| | | Lordkanzler | | Dag Honrschild
| | | Lords | | Vasily Arkhipov Christian Berger Friedemann Condé Martin Gebhardt Georg Güldner Ji Hoon Kim Tobias Märksch Andreas Pester Mirko Poick Michael Wagner
| | | Artisten auf dem Jahrmarkt | | Miriam Aßmann Florentine Reichelt Eric Elbing
| | | Schausteller, Volk von London, Lords und Ladies von England, Höflinge, Beamte der Admiralität, Wachen, Lakaien, Bedienstete | | Ballett Chor Statisterie der Staatsoperette Dresden
| | Orchester der Staatsoperette Dresden
| |
Frühere Besetzungen? Hier klicken == 2018/19 ==
Gwynplaine - Jannik Harneit
Dea - Olivia Delauré
Ursus - Elmar Andree
Barkilphedro - Christian Grygas
Josiane Darnley, Herzogin von Tay - Anke Fiedler
Hardquanone - Bryan Rothfuss
Anne Stuart, Königin von England - Angelika Mann
Sarah Churchill, Duchess of Marlborough - Anne Schaab
Dr. Hardquannone, Chirurg / Georg, Prinz von Dänemark - Bryan Rothfuss
Gernardus, Anführer der Kinderhändler - Markus Liske
Aelfred, alter Kammerdiener - Jürgen Mai
Lord Clancharlie - Hauke Möller
Vorleser der Königin - Friedemann Condé
Michael Dahl, Maler / Zeremonienmeister - Dietrich Seydlitz
Sir William ODonnell - Christian Gygas
Charlotte ODonnell - Annegret Reißmann, Katharina Spaniel
Gwynplaine als Kind - Jannic Focke, Julio Kramer, Johann Mäke
Gwynplaine als Jugendlicher - Philipp Lukas Finger
Barkilphedro und Dea als Kinder - Maya Klinner, Zerline Winkler
Diener von Königin Anne - Vasily Arkhipov
Diener von Barkilphedro - Andreas Pester
Ein Pärchen auf dem Jahrmarkt - Judith Nawrocki, Martin Gebhardt
Gerichtsdiener - Tobias Märksch
Stallmeister / Folterknecht - Christian Berger
Haushälterin - Inka Lange
Uniformierter - Mirko Poick
Lakai - Leonardo Paoli
Herold - Daniel Müller
Lordkanzler - Dag Honrschild
Lords - Vasily Arkhipov, Christian Berger, Friedemann Condé, Martin Gebhardt, Georg Güldner, Ji Hoon Kim, Tobias Märksch, Andreas Pester, Mirko Poick, Michael Wagner
Artisten auf dem Jahrmarkt - Miriam Aßmann, Florentine Reichelt, Eric Elbing
Schausteller, Volk von London, Lords und Ladies von England, Höflinge, Beamte der Admiralität, Wachen, Lakaien, Bedienstete - Ballett, Chor und Statisterie der Staatsoperette Dresden
Orchester der Staatsoperette Dresden
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    32064 Sehr empfehlenswert!
28.07.2019 -

Musical_Expert (3 Bewertungen, ∅ 3.7 Sterne)
    32046 Das beste deutsche Musical seit Jahren
14.06.2019 - Es ist eine enorme Leistung des Autoren Tilmann von Blomberg, wie er den epischen Historienroman von Victor Hugo in eine verständliche, unterhaltsame, funktionierende und intelligente Musical-Adaption umgewandelt hat.
Trotz maß- und sinnvoller Veränderungen und Kürzungen kann das Ergebnis auf ganzer Linie überzeugen.
Komponist Frank Nimsgern weiß die Vorlage zu nutzen. Seine abwechslungsreiche Komposition spannt den Bogen von barocken Zitaten, über gefühlvolle Musical Balladen bis zu zeitgenössischen Rockelementen. Sie folgt einem rezitativen Charakter, wo es nötig ist und entfaltet enorme emotionale Kraft, wo es passt.
Dies ist Nimsgerns beste Komposition seit POE. Bravo!
Virtuos nutzt Regisseur Andreas Gergen die enormen technischen und personellen Möglichkeiten der Staatsoperette. Das Ergebnis ist nicht nur visuelle überzeugend und beeindruckend. Mit großer Kreativität zeichnet er die Geschichte kraftvoll nach und verbindet grundsätzliche Aussagen mit der Gegenwart.
Kongenial spiegelt sich das -wie schon erwähnt- in der Musik, aber auch in der Ausstattung und Choreografie.
Die Besetzung vervollständigt den positiven Gesamteindruck der Produktion.
DER MANN MIT DEM LACHEN ist mitreißendes, geistreiches, unterhaltsames Musical Entertainment auf höchstem professionellen Niveau.
Für mich ist es das beste deutsche Musical seit Jahren.

kevin (174 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |