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 Medien-Satire
Chicago He had it coming
© Schlossfestspiele
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Die Medien- und Gesellschaftssatire um die beiden "Jazz-Mörderinnen" Roxie Hart und Velma Kelly und deren medienwirksame Selbstinszenierung hat nichts an Aktualität einbüßt. Heute ziehen Promis der unteren Kategorien in den sozialen Netzwerken und einschlägigen TV-Formaten Interesse auf sich und kämpfen darum, nicht sofort wieder von der Bildfläche zu verschwinden. "Chicago“ ist schon über 40 Jahre alt und dank des zeitlos guten Buchs und der pulsierenden Musik immer noch höchst lebendig - das zeigt sich auch in Ettlingen.
(Text: ig) Premiere: | | 21.06.2018 | Rezensierte Vorstellung: | | 30.06.2018 | Letzte bekannte Aufführung: | | 11.08.2018 |
"Das alles hier ist ein Zirkus. Ein Riesenzirkus", sagt der schmierige Anwalt Billy Flynn vor Prozessbeginn. Dieses Bild hat Udo Schürmer ins Zentrum seiner Inszenierung gestellt. Auch im Bühnenbild von Steven Koop spiegelt sich das wider: In der Mitte der dreigeteilten Bühne lacht ein überdimensionales Clownsgesicht. Sein Mund ermöglicht effektvolle Auftritte und wird ein roter Laufsteg ausgefahren, wirkt es, als strecke er seine Zunge aus. Rechts und links davon befinden sich eine Nachtclub-Bühne und ein Zellentrakt.
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Nur wenige Songs sind in die Handlung integriert, die meisten spiegeln das Innenleben der Figuren wider. Schürmer und sein Choreograph Bart de Clerq finden dafür gute Bilder, etwa das perfekt umgesetzte Kinderwagen-Ballett bei "Ich und mein Baby" und die Artisten bei "Hokuspokus". Auch der Auftritt der Freiheitsstatue, der bei Billy Flynns theatralischem Plädoyer im Gerichtsprozess schlecht wird, ist eine sehr schöne Idee. Dass man sich bei der Umsetzung von "Ich bin nur für die Liebe da" bei der bekannten Broadway-Inszenierung bedient und die Federfächer einfach gegen Schirme austauscht, ist dagegen ein wenig einfallslos. Ebenso deutlich orientiert sich Birgit Barth mit den Kostümen des Ensembles an dieser Produktion: schwarze Höschen und Bustiers für die Damen, schwarze Hosen und durchsichtige Oberteile für die Herren. Die zeitgenössischen Kostüme der Solisten sind eigenständiger gewählt.
"Chicago“ ist ein Musical der starken Frauen. Die Charaktere wollen die gesellschaftlichen Veränderungen der 1920er Jahre nutzen und aus dem Hausfrau-und-Mutter-Korsett ausbrechen, selbstständig sein, berühmt werden und sich von Männern nicht mehr alles bieten lassen. Die wenigen Männer des Stücks sind entweder Schwächlinge oder Lackaffen. Velma Kelly ist der Star des Gefängnisses – jedenfalls bis Roxie Hart zum Presseliebling wird. Dorothée Kahler hat den perfekten Groove in der Stimme, um Velma die entsprechende Coolness zu geben und schafft nuanciert den Wechsel, wenn sie um Aufmerksamkeit fast bettelt. Roxie Hart ist zwar naiver als ihre Kontrahentin, aber nicht weniger durchtrieben und sogar geschickter im Umgang mit der Presse. Maria-Danaé Bansen zeichnet sie als quirligen Wirbelwind mit heller, klarer Stimme. Die anspruchsvollen Tanz-Parts meistern Kahler und Bansen – ebenso wie das wandelbare Ensemble – tadellos.
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Als Mama Morton und Mary Sunshine glänzen Gudrun Schade mit rauer Stimme in Lack-und-Leder-Kostüm bzw. Anton Schweizer als Koloraturen singender Traum in Rosa. Mit Ausstrahlung und Charme, wenn auch von der schleimigen Sorte, schlüpft Marx Lamberty in die Rolle des Billy Flynn. Seine schmeichelnde Stimme und geschmeidigen Bewegungen sind perfekt für den käuflichen Anwalt.
Roxies Ehemann Amos wird als ziemlicher Unsympath inszeniert. Durch steife Körperhaltung und aufgesetzte Sprechweise kann Adrian Kroneberger seiner Figur kaum Emotion geben. Es bleibt unklar, warum Amos Roxie so verfallen ist, dass er für sie lügt. Nur bei "Mr. Zellophan" blitzt ein wenig Tragikomik durch.
Der musikalische Leiter Tobias Leppert lässt seine elf Musiker swingen, dass es eine Freude ist. Das Orchester und die Solisten sind perfekt aufeinander eingespielt. Durch den guten Ton kommen Solo-Instrumente zur Geltung, während der Text jederzeit gut verständlich bleibt.
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Alles in allem eine rundum sehenswerte Aufführung dank einer abwechslungsreichen Inszenierung, starken Darstellern, sehr guten Musikern - "und all dem Jazz".
(Text: Ingo Göllner) 
Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31861 Vom Original inspiriert
05.08.2018 - Das Vorbild für die Ettlinger Inszenierung ist unübersehbar die CHICAGO Revival Produktion von Walter Bobbie.
Das perfekte und stillvolle Understatement dieser weltweit erfolgreichen Show wird aufgegriffen und stellenweise leicht ausgebaut.
Die dreiteilige Aufteilung des Bühnenbildes ist dabei noch der auffälligste Teil. Dass das eine oder andere Requisit Verwendung findet ist sicher keine qualitative Aufwertung des Musicals.
Das Kostümbild ist stark am Original orientiert, nicht ganz so sexy und wird hier und da durch ein paar farbig Details ergänzt.
(Negativ fallen die wirklich scheußlichen Perücken auf, die teilweise aussehen, als kämen sie aus der Woolworth Karnevalsabteilung.)
Die Choreografien sind mitunter vom Fosse Stil inspiriert oder gehen auch ganz eigene Wege.
Grandios ist der "Cell Block Tango" gelungen, in dem auch das männlich Ensemble stark eingebunden ist und bewegliche Zellengitter über die Bühne flitzen.
Weniger gelungen ist "I can't do it alone", in dem Velma fast ausschließlich exaltiert mit den Armen wedelt.
Die Regie von Udo Schürmer bringt durchaus auch neue Ideen ein. Ein wuderbar tiefsinniger Gag ist die Freiheitsstatue im Justitia Outfit, die gegen ihre Müdigkeit ankämpft.
Unterm Strich bleibt CHICAGO aber auch in dieser Form ein fragmentarisches, reduziertes Stück, das entscheidend durch die Leistungen der Darsteller getragen wird.
Diesbezüglich hat man in Ettlingen eigentlich alles richtig gemacht.
Das Ensemble ist in prächtiger Spiellaune. (Rein optisch hätte der eine oder andere "kantige" Typ mehr, gutgetan.
Mama Morton, Amos und Mary Sunshine werden zu prächtigen und treffsicher portraitierten Originalen.
Marc Trojan sprang kurzfristig für den erkrankten Marc Lamberty ein. Er begeistert mit starker, sicherer Stimme und souveräner Bühnenpräsenz. Sein Billy Flynn könnte aber gerne noch etwas schmieriger und sexistischer ausfallen.
Dorothee Kahler und Marie-Danae Bansen (Triple Thread!) liefern sehr ausgeklügelte und differenzierte Charakterstudien, wissen genau, wann dick aufgetragen werden muss und wann Feinheiten im Vordergrund stehen müssen. Großartig!
Man hat in Ettlingen kein komplett neues CHICAGO erschaffen. (Warum auch?) Der Geist der genialen US-Inszenierung ist erhalten geblieben und wird sinnvoll ergänzt.
Abheben und begeistern kann das Stück durch die Qualität seiner Vorlage und die nahezu perfekte Besetzung.

kevin (174 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne)
    31837 CHICAGO in neuer Inszenierung ein Erlebnis
23.06.2018 - Nach London und Stuttgart in der eher dunklen und minimalistischen Inszenierung war es ein Genuss einmal CHICAGO in Farbe und vielen guten Choreo- und Regieansätzen zu erleben.
In Ettlingen bei Karlsruhe hat man in diesem Sommer die einmalige Gelegenheit dazu.
Hervorzuheben dabei das große Live-Orchester ein cleveres Bühnenbild, und ein spiel- und tanzfreudiges Ensemble.
Zu erleben ist zudem die deutsche Übersetzung von Gesell/Baumann die man aus Wien und Berlin in den 90ern kannte. Persönlich finde ich diese viel griffiger. Die Textverständlichkeit war bei allen Darstellern hervorragend und kein Vergleich zur Aufführung 2015 in Stuttgart.
DIE BÜHNE
Links steht eine Vaudeville Bühne auf schräger Ebene für diverse Showszenen. Rechts ein in Stahlgerüsten eingebauter Knast. Die Verschiebbaren Gitter ermöglichen insbesondere beim Zellen-Block-Tango durch die neue Choreografie tolle Bilder. Mittig ein überdimensionierter Clownskopf.
Die Übertragung alles ein "Circus" und die immer wiederkehrende rote Clownsnase ist ein schlüssiger Ansatz.
DIE CAST
Maria Danaé Bansen als Roxie ist ein Ohren und Augenschmaus. Nach Mary Poppins in Wien durfte ich die talentierte Darstellerin nun in einer ganz anderen Rolle erleben. Sie ist frech, witzig und gibt der Roxie viel mehr Profil als in der Originalinszenierung.
Gudrun Schade als Mama Morton tritt als Art Domina/Killer-Queen in Lederoutfit auf die Bühne und hat eine unglaubliche Präsenz. Ihre dunke und sicher Stimme gibt ihren Songs und Dialogen viel Tiefe.
Dorothee Kahler als Velma war sehr gut aber weit weniger präsent als Roxie. Stimmlich und spielerisch sehr sicher.
Marc Lamberty als Anwalt Billy Flinn war die Entdeckung des Abends für mich. Sein Billy ist witzig, keck und er bewegt sich fantastisch. Stimmlich waren seine Auftritte wahre Showstopper und wurden mit reichlich Beifall bedacht.
Ebenso komme Adrian Kroneberger in der Rolle des Amos begeistern. Sein Mister Zellophan war so berührend und auch in den Spielszenen begeisterte er mit trockenem Humor und der entsprechenden Körpersprache.
Auch das Ensemble war ganz hervorragend, stimmlich wie tänzerisch.
DIE INSZENIERUNG
Durch die neue Choreografie von Bart de Clercq ergaben sich viele neue Möglichkeiten. Schon die Eröffnungsnummer löst sich von den für Bob Fosse typischen Bewegungsmustern zu den Akkorden der Jazznummer. Das ist neu, anders und begeistert.
Auch in den anderen Tanzszenen finden sich schöne Bilder und Sequenzen, wenngleich der Tanz in Ettlingen weniger im Vordergrund steht als in der Originalinszenierung.
Udo Schirmer hat in seier letzten Spielzeit als Intendant in seiner Inszenierung eher die Menschen in den Mittelpunkt gerückt. Ich hatte den Eindruck, dass die Spielszenen viel besser zur Geltung kamen als in London und Stuttgart.
FAZIT:
Ettlingen hat zum 40. Jubiläum der Schlossfestspiele mit CHICAGO wieder einmal ein echtes Highlight.
Eine lauer Sommerabend in der wunderschönen Altstadt und ein Besuch der Show lohen. Wer CHICAGO live noch nie gesehen hat, wird begeistert sein. Wer die Originalinszenierung kennt, wird erfreut sein diese Show einmal ein einer anderen, farbenfrohen, menschlichen und witzigen Inszenierung zu erleben.
Gute Sicht von allen Plätzen, ein überdachter Zuschauerraum, hervorragender Ton und Textverständlichkeit und moderate Preise machen eine Reise zu CHICAGO in Ettlingen zu einem Erlebnis.

mrmusical (80 Bewertungen, ∅ 3.8 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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