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 Schauspiel mit Musik
Spatz und Engel FreundÂschaft ist wertvoll und heilig.
© Helmut Seuffert
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Die vielleicht bekannteste französische Sängerin aller Zeiten, Edith Piaf, und den wohl größten deutschen Weltstar der Geschichte, Marlene Dietrich, verband eine innige Freundschaft und Liebe. Piaf, die kleine und zerbrechlich wirkende Frau mit der großen Stimme, der 'Spatz von Paris' und 'Die Dietrich', die mit ihrem burschikos-eleganten Auftreten und ihrem überlebensgroßen Charisma als 'blauer Engel' berühmt geworden war, könnten unterschiedlicher nicht sein. In dem intim inszenierten, hervorragend besetzten und liebevoll konzipierten Musical-Theaterstück wird über die Freundschaft des ungleichen Paares "Spatz und Engel" von ihrem Kennenlernen 1942, ihrer wachsenden Freundschaft und Liebe zueinander, über ihre Entzweiung 1953 und Piafs frühen Tod 1963 bis hin zu Dietrichs Tod in Einsamkeit 1992 berichtet. Gespickt ist das emotionale Schauspiel nicht nur mit viel Witz und Tiefgang, sondern vor allem auch mit den zahlreichen, großen Chansons beider Diven auf Deutsch, Französisch und Englisch.
(Text: André Böke) Premiere: | | 19.10.2017 | Rezensierte Vorstellung: | | 07.03.2023 | Showlänge: | | 150 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Das detailverliebte Drehbuch fordert Kenner der Biographien beider Damen mit vielen Anspielungen und Nennungen diverser anderer Stars heraus, erlaubt aber auch einen Einblick in die zwei turbulenten Leben für diejenigen, die mit Piaf und Dietrich nur oberflächlich vertraut sind. Im großen und ganzen folgt die clever aufgebaute Handlung der Chronologie der Freundschaft der Frauen.
© Helmut Seuffert
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Dabei ist die Einleitung besonders interessant gestaltet: Im Jahr 1960 setzt das Stück bei einem parallel stattfindenden Konzert ein. Piaf singt in Straßburg, Dietrich in Baden-Baden, nicht weit voneinander entfernt. Auf der Bühne strahlen sie in ihren ikonischen Kostümen: Piaf im schwarzen Kleid mit grüner Kreuz-Halskette und Dietrich im glitzernden Paillettenkleid und weißer Federboa. Jeder Schritt, jede Geste, jeder gesungene Ton klingt nahezu identisch zu den Originalen. Dieser fulminante Auftritt zieht das Publikum sofort in die Illusion, zwei leibhaftigen Konzerten dieser Legenden beizuwohnen. Die so unterschiedlichen Auren der Künstlerinnen sind zu spüren. Der Vorhang fällt und die Frauen sind Backstage zu sehen. Beide wirken abgespannt und müde, gealtert und gebrechlich, ähneln sich plötzlich. Hinter der Bühne erinnern sie sich an ihre lang zerflossene Freundschaft zueinander. Wir reisen weiter in die Vergangenheit – und so entspinnt sich die Handlung chronologisch von ihrem ersten Aufeinandertreffen fast zwei Jahrzehnte zuvor, wo Marlene Dietrich der hadernden und verängstigen Piaf hilft, in Amerika als Sängerin Fuß zu fassen. Ihre Freundschaft intensiviert sich und wird zu einer intensiven, zeitweise erotischen Liebe, in der sich Marlene immer mehr zu einer Art Mentorin und später Mutterfigur für Edith entwickelt, die versucht, die zur Selbstzerstörung neigende Sängerin vor dem Schlimmsten zu bewahren
© Helmut Seuffert
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Dem Zuschauer werden viele innige, intime Episoden zwischen den beiden Frauen präsentiert, behutsam wird ihre Beziehung zueinander dargestellt und musikalisch durch diverse Chansons gestützt. Der Bruch zwischen ihnen im Jahr 1953 bei einer Silvesterfeier in Las Vegas, zu der Edith Piaf betrunken und streitlustig aufschlägt und es zum Eklat kommt, bildet den dramaturgischen Höhepunkt des Stücks. Die Handlung kommt danach wieder im Jahr 1960 beim anfänglichen Doppelkonzert an, nur diesmal weiß der Zuschauer alles, was zwischen den einstigen Freundinnen vorgefallen ist und in welche Richtungen sich ihre Leben jeweils entwickelt haben.
© Helmut Seuffert
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So wird das finale Zusammentreffen am Krankenhausbett der Piaf besonders emotional und tiefgehend. Mit ihrem letzten großen Hit "Non, Je Ne Regrette Rien" entsteigt Edith entgegen der mütterlichen Ratschläge Marlenes dem Bett und singt sich im übertragenen Sinne, ihren gebrochenen Körper und ihre beste Freundin zurücklassend, ins Jenseits hinüber. Die letzte Szene spielt im Jahr 1990. Marlene Dietrich hat Piaf zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre überlebt und liegt als fast 90 jährige Frau, mittlerweile selbst alkoholabhängig, isoliert und einsam, von der Öffentlichkeit zurückgezogen in ihrem Pariser Appartement und hat eine letzte Aussprache mit dem wieder jugendlich wirkenden Geist von Edith. Sie können alles bereden, was sie zu Lebzeiten verband und entzweite und kommen zu dem Schluss, dass sie sich ähnlicher waren, als sie dachten. Mit einem letzten liebevollen, an Edith gewidmeten Lied, entschläft auch Marlene dieser Welt.
© Helmut Seuffert
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Susanne Rader und Heleen Joor verkörpern die zwei legendären Unterhaltungskünstlerinnen so hervorragend, dass man als Zuschauer beinahe der Illusion erliegt, es handle sich um die "echten" Piaf und Dietrich. Jede Geste, jeder Schritt, jede noch so kleine Bewegung der Mimik, das Lachen, die Gesangsstimmen und jede Intonation lässt sofort auf ihre Vorbilder schließen. Der Wandel von alternder, verbitterter Diva zu junger Dame mit Lebensmut und Elan und wieder zurück gelingt beiden Schauspielerinnen in tief beeindruckender Manier.Die beiden Hauptdarstellerinnen verschmelzen förmlich mit ihren Rollen. Nicht nur verkörpern und singen sie Marlene Dietrich und Edith Piaf respektive zum Verwechseln gut – sie haben auch eine unglaublich starke, natürlich wirkende Chemie zueinander und spielen so vertraut zusammen, dass auch hier die Illusion einer innigen Freundschaft und großen Zuneigung makellos aufrecht erhalten wird. Man hat das Gefühl, einem perfekt gespielten, Oscar-verdächtigen Biopic-Film beizuwohnen. Die beiden Darstellerinnen sind sich in Schauspiel und Gesang absolut ebenbürtig und spielen auf Augenhöhe – beide gleichermaßen in ihrer Rolle perfekt. Man versteht durch ihre Darbietung sofort, wie diese Ikonen des Chansons gestrickt waren, was sie schätzten, was für sie im Leben von Wert war und wie ihr jeweiliger Humor funktionierte. Sie machen deutlich, was "Spatz und Engel" verband und was sie aneinander liebten – aber auch, was sie voneinander trennte und warum ihre Freundschaft gar nicht anders konnte, als Risse zu erleiden, um letztendlich aber zu triumphieren. Dieser gesamte Prozess wird so glaubwürdig, tiefgründig und emotional berührend dargeboten, dass die grandios vorgetragenen Lieder und teilweise neuen, interessanten Arrangements schon fast in den Hintergrund geraten.
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Überraschend voll klingend von nur einem Piano und einem Akkordeon vertont und durch zwei ebenfalls sehr talentierte Nebendarsteller unterstützt, singen sich Rader und Joor ihren Rollen entsprechend durch alle bekannten und weniger bekannten Chansons auf Französisch, Deutsch und Englisch. Dabei erhält Joor rollenbedingt die größten Gassenhauer von "Milord" über "Padam Padam", die sie als Konzertlieder präsentiert, bis zu "L'Hymne à l'Amour" und "Mon Dieu", die sie als trauernde und gebrochene Edith innerhalb der Handlung singt, als Edith Piaf ihren Verlobten durch einen tragischen Unfall verliert. Raders großer gesanglicher Auftritt mit "Sag mir wo die Blumen sind" ist ein weiterer musikalischer Höhepunkt des Abends. Besonders eindrucksvoll wird "La vie en rose" als Duett beider Damen dargeboten, zunächst während eines Konzertes jeweils auf Französisch, später hinter der Bühne, einsam und sich nacheinander sehnend, auf Englisch.
Weitere Lieder sind klug in die Handlung eingewoben, um die Beziehung der Frauen zueinander zu unterstreichen. So singt Rader als Marlene zu Edith "Awake in a Dream" und "Maybe He Will Come Back", um sie aus ihren stets übereifrigen Liebesillusionen zu ziehen oder "Your the Cream in My Coffee" und "I Wish You Love", in denen sie ihre gleichermaßen romantische, freundschaftliche und mütterliche Liebe zu Piaf zum Ausdruck bringt. Joor als Edith wiederum macht sich in einer besonders eindrucksvoll gespielten Szene mit "Bravo Pour le Clown" über Marlene im Streit lustig, was zu ihrem jahrelangen Bruch der Freundschaft führt. Das größte Highlight des Abends ist wohl Joors letztes Lied im Stück, in dem sie als Piaf mit "Non, Je Ne Regrette Rien" mit ihrem Leben abschließt, um ein letztes Mal ihrer Leidenschaft für ihr geliebtes Publikum nachzugeben – großes Kino!
© Helmut Seuffert
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Insgesamt ein bewegender Abend mit Tiefgang, der dank eines wunderbaren Drehbuchs mit dramaturgisch perfekt konzipiertem Handlungsstrang und zwei Hauptdarstellerinnen, die passender und talentierter für ihre großen Rollen nicht sein könnten, in Erinnerung bleibt.
(Text: André Böke)

Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    31645 Gipfeltreffen der Diven
22.11.2017 - In SPATZ UND ENGEL treffen zwei der größten Diven des 20. Jahrhunderts aufeinander: Edith Piaf und Marlene Dietrich.
Erzählt wird die Geschichte ihrer Bekanntschaft, Freundschaft, Beziehung. Auch wenn sicher nicht jedes Wort historisch verbürgt ist, ist es doch faszinierend und spannend zu sehen, wie nahe sich diese beiden so extrem unterschiedlichen Frauen zeitweise gewesen sein müssen.
Das Buch meint es etwas besser mit Edith Piaf. Es ist überwiegend ihre Geschichte, die im Mittelpunkt steht und erzählt wird.
Ihr Aufstieg zum Weltstar, ihre unglücklichen Lieben, ihr Absturz mit Tabletten und Alkohol sind der rote Faden, der sich durch den Abend zieht. Die Dietrich ist einfach die Dietrich: Preußisch, patent, diszipliniert, unkonventionell und doch zutiefst empathisch gegenüber ihrer Freundin. Erst in der letzten Szene, kurz vor ihrem Tod in ihrem Pariser Asyl, wird angedeutet, dass sie ja auch ein eigenes sehr bewegtes Leben hatte.
Heleen Joor gibt als Piaf eine stimmliche, interpretatorische und schauspielerische Leistung der Extraklasse. Perfekt!
Auch Susanne Rader hat sich intensiv mit der Dietrich befasst. Ihre Showauftritte in den verschwenderischen Roben, ihre Gestik und Mimik und ihr lakonischer Humor sitzen perfekt.
Ihr Timbre kommt allerdings dem Dietrich-Stil nur ansatzweise nahe.
Unter der gekonnten Regie von Daniel Große Boymann werden die weltberühmten Chansons der Künstlerinnen mit der Geschichte sinnvoll verwoben.
Zwei Co-Stars, die mit großer Spielfreude in jede erforderliche Nebenrolle springen, zwei wunderbare Musikerinnen am Akkordeon und Klavier, sowie ein schlichte aber doch schnell wandelbare Bühne: mehr braucht es manchmal nicht, für intelligentes, unterhaltsames, witziges und anrührendes Musiktheater.

kevin (202 Bewertungen, ∅ 3.4 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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