© Andreas Lander
© Andreas Lander

Der kleine Horrorladen (2017 - 2019)
Theater, Magdeburg

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Ein Lachgas-süchtiger, sadistischer Zahnarzt mit Darth Vader-Kostümfetisch, exotisch-botanische Alien-Soulgirls und blutrünstige Pflanzen – der Stoff, aus dem Alpträume sind. Genauer: Figuren aus dem Alptraum eines kleinen Jungen, der auf dem Weg zum Zahnarzt ausgerissen ist und in einem alten Gewächshaus in einen unruhigen Schlaf fällt. Die Idee, die trashige Kult-Story rund um die fleischfressende Audrey II in eine Rahmenhandlung einzubetten, ist nur eine von vielen Pluspunkten von Ulrich Wiggers‘ wunderbar skurriler Inszenierung des vielgespielten Musical-Frühwerks von Alan Menken. Ein imposantes, farbintensives Bühnenbild, opulente Ausstattung, beeindruckende Lichttechnik und eine treffsicher besetzte Cast machen das Stück zu einem Must-See der aktuellen Saison.

Es beginnt alles mit einem Wunsch: Dem Wunsch, “raus aus dem Dreck” zu kommen – weg von der Skid Row, raus aus Downtown “wo’s nach Armut stinkt”. Um den Fokus auf diesen Wunsch als Haupt-Motivator für das weitere Handeln der Protagonisten zu legen, lässt Wiggers sein Stück mit der ersten Hälfte des Songs “Downtown” beginnen – eine Abweichung vom Original, das ursprünglich mit “Horrorladen” anfängt.

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Wir begegnen Seymour und Audrey, die uns als Außenseiter der Gesellschaft vorgestellt werden: Er ist ein zurückhaltender, nach Anerkennung gierender Nerd mit Pendant für “Star Wars”-Shirts, sie eine zutiefst verunsicherte Rothaarige mit Tourette-artigen Ticks und Tattoos. Anders als in der Vorlage ist Audrey also kein lispelndes blondes Dummchen, sondern eine junge Frau mit Vergangenheit und Minderwertigkeitskomplexen, die sie glauben lassen, sie habe die Schläge ihres Sado-Zahnarzt-Freundes verdient.

Da Wiggers den bekannten Plot rund um die fleischfressende Pflanze Audrey II in eine Rahmenhandlung eingebettet hat, sind Seymour, Audrey und Co. in seiner Inszenierung nur Figuren in einem Alptraum, der sich für den Jungen mit Zahnarzt-Phobie allerdings sehr real anfühlt. Dieser dramaturgische Kniff ist so einfach wie er genial ist, denn der Regisseur hat damit auch gleich die Verknüpfung zu einer weiteren zentralen Thematik des Stücks und zugleich einem machtvollen Motivator seiner Protagonisten hergestellt: der Angst.

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Die Angst davor nicht gemocht und anerkannt zu werden, gepaart mit dem Wunsch endlich sozial aufzusteigen sind die treibenden Kräfte für die Protagonisten. Sie veranlassen Audrey, die verbalen und körperlichen Grausamkeiten ihres Freundes Dr. Scrivello auszuhalten, und bringen Seymour immer mehr dazu, Audreys IIs Verlangen nach Blut und Menschenfleisch nachzugeben. Sie sind außerdem die Katalysatoren, die die Handlung vorantreiben.

Die kleinen inhaltlichen und dramaturgischen Änderungen sowie die teilweise anders angelegten Rollen dienen dazu, den Zuschauer auf sozialkritische Themen unter dem Horror-Klamauk aufmerksam zu machen – sofern er denn überhaupt mehr will als reine Unterhaltung.

Die Besetzung ist durch die Bank erstklassig. Jan Rekeszus macht als Seymour gesanglich wie darstellerisch eine hervorragende Figur. Zu Beginn ist er eher ein typischer Nerd, der seine Kollegin anschmachtet, jedoch glaubt, nicht gut genug für sie zu sein. Dann entwickelt er sich dank der durchtriebenen Soulgirls (harmonieren sehr gut miteinander: Mariyama Ebel, Rubini Zöllner und Nina Baukus) und der nimmersatten Audrey II zum erfolgreichen Geschäftsmann. Obwohl er schließlich sogar das Mädchen seiner Träume bekommt und Reichtum und Aufstieg zum Greifen nah sind, kann er sein Gewissen doch nicht ausschalten und will der Pflanze an den Kragen – doch da ist es bereits zu spät.

Dass Milica Jovanovic sehr wandelbar ist, hat sie bereits in zahlreichen Rollen unter Beweis gestellt. Audrey mit all ihren Ticks und Unsicherheiten glaubwürdig darzustellen, ist eine Herausforderung, die die Darstellerin glänzend meistert. Mühelos singt und spielt sie sich durch die Partie und schafft es dabei vor allem, die Vielschichtigkeit des Charakters herauszustellen. Wenn sie “Im Grünen irgendwo” als Sehnsuchtshymne auf all ihre Wünsche anstimmt, klingt ihr Traum von “gehäkelten Gardinen im Gäste-Klo” und spießiger Gutbürgerlichkeit gar nicht lächerlich – obwohl er naturgemäß doch für so einige Lacher sorgt.

Herrlich böse darf Karsten Kenzel als schmierig-gemeiner Zahnarzt mit tiefverwurzeltem Drang zur Gewalt auftreten. Seinen stärksten Auftritt hat er in der Szene, in der er – als Darth Vader verkleidet – unter hysterischem Kichern und manischem Glucksen an Lachgas erstickt, bevor er Audrey II schließlich zum Fraß vorgeworfen wird. Markus Liske komplettiert die Riege der Hauptdarsteller und passt ebenfalls sehr gut in die Rolle des opportunistischen Mr. Mushnik.

Das Bühnenbild spiegelt die Tatsache wieder, dass wir uns in einer Traumwelt befinden: das satte Grün der Pflanzen, die das Gewächshaus zieren, das kontrastive, intensive Blutrot von Audrey IIs Blüte; dazu der Nachthimmel und der Mond, der – ausgefeilter Technik sei Dank – bläulich schimmerndes Licht ins Gewächshaus wirft. Das alles ist ein Fest für die Sinne. Ein Hingucker ist natürlich Audrey II selbst. Hier haben die Puppenbauer ganze Arbeit geleistet. Die kleine Audrey II in den ersten beiden Entwicklungsstadien wurde von Kerstin Dathe entworfen und wird von Antonia Richter bewegt. Die überdimensionierte ausgewachsene Audrey II haben wir Jens Jähnig und Christian Romanski zu verdanken. Leben hauchen ihr abwechselnd Leonard Kunze, Christian Schulz und Marco Trahorsch ein, während Karsten Kenzel ihr seine Stimme leiht.

Neben dem Bühnenbild hat Leif-Erik Heine auch die Kostüme entworfen: Flippiger Retro-Style kennzeichnet die Kleidung unserer Nerds und der Skid-Row-Szene, während Blumenladenbesitzer Mr. Mushnik einen feinen grauen Nadelstreifen-Anzug tragen darf. Außergewöhnlich fantasievoll geraten die Outfits der drei Soulgirls, komplett mit Pflanzenranken und Wurzel- bzw. Blütenkopfbedeckungen.

Choreografisch kann sich Kati Heidebrecht voll ausleben, denn das Stück bietet ihr die Gelegenheit, eine ganze Reihe verschiedener Stile einzubringen: So gibt es experimentelle Ensemble-Tanzszenen (wie in “Downtown”), klassische Paartanz-Ballettelemente (wie bei “Im Grünen irgendwo”) oder zackig-dynamische Bewegungsabläufe (“Finale – Gib’s ihnen nicht”). Unter den drei Balletttanz-Paaren befindet sich übrigens “sogar” ein rein weibliches Paar.

Musikalisch hat “Der kleine Horrorladen” zahlreiche eingängige Melodien zu bieten. Schwarzer Motown-Sound, Soulig-Rockiges und einige schöne Balladen prägen den Sound, der von der siebenköpfigen Band unter der Leitung von Damian Omansen erstaunlich satt in den Zuschauersaal transportiert wird. Einzig zu Beginn ist – vor allem bedingt durch die schwer verständliche Aussprache einiger Mitglieder des hauseigenen Balletts – die Textverständlichkeit etwas problematisch.

“Der kleine Horrorladen” in der Inszenierung von Ulrich Wiggers beweist, dass sich kurzweilige Unterhaltung und Tiefgründigkeit nicht unbedingt ausschließen müssen. Durch einige wenige Kniffe hat eine eigentlich bekannte Handlung mehr Tiefe erhalten – mit dem Ergebnis, dass sich die abstruse Geschichte teilweise bedrückend real anfühlt. In jedem Fall trifft sie einen Nerv: den Nerv der Zeit.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungDamian Omansen
RegieUlrich Wiggers
Bühne / KostümeLeif-Erik Heine
ChoreografieKati Heidebrecht
DramaturgieThomas Schmidt-Ehrenberg
 
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CAST (AKTUELL)
SeymourJan-Philipp Rekeszus
Christian Miebach
AudreyMilica Jovanovic
Johanna Spantzel
Dr. Orin Scrivello / Die PflanzeKarsten Kenzel
Mr. MushnikMarkus Liske
SoulgirlsNina Baukus
Mariyama Ebel
Rubini Zöllner
In weiteren RollenPeter Wittig
Ballett Magdeburg
Damian Omansen & Band
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 11.11.2017 19:30Opernhaus, MagdeburgPremiere
Do, 23.11.2017 19:30Opernhaus, Magdeburg
Sa, 02.12.2017 19:30Opernhaus, Magdeburg
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