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 Deutschsprachige Erstaufführung
Betty Blue Eyes Das Musical mit dem Schwein
© Reinhard Winkler
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Deutschsprachige Erstaufführung des 2011 in London uraufgeführten Musicals, dem zwar viel Kritikerlob und drei Olivier-Normierungen (u.a. als bestes neues Musical), aber wenig Zuschauerzuspruch beschieden waren. Eine amüsante Komödie mit spielfreudigem Ensemble, die hier grobschlächtiger daherkommt als sie müsste.
(Text: ig) Premiere: | | 24.02.2018 | Rezensierte Vorstellung: | | 24.02.2018 | Letzte bekannte Aufführung: | | 03.07.2018 |
Eine Kleinstadt in England 1947. Der Stadtrat möchte aus Anlass der Hochzeit von Prinzessin Elizabeth und Prinz Philip ein Bankett veranstalten. Die einzige Schwierigkeit: Es gibt nicht genug Lebensmittel, denn nach dem Zweiten Weltkrieg ist besonders Fleisch streng rationiert. Doch ein Bauer hält illegal ein Schwein, um so das Festmahl zu sichern. Der Plan scheint glatt zu laufen, aber man hat nicht mit dem scheinbar harmlosen Fußpfleger Gilbert Chilvers gerechnet – bzw. mit seiner Frau Joyce, die verzweifelt versucht, von der führenden Klasse der Stadt akzeptiert und zu dem Bankett eingeladen zu werden. Als der gesellschaftlich tonangebende Arzt Dr. Swaby aus Angst vor Konkurrenz verhindert, dass Gilbert eine eigene Praxis eröffnen kann und das Drängen seiner Frau nicht abebbt, sieht Gilbert sich genötigt, das Schwein Betty zu stehlen und in seinem Haus zu verstecken.
Eine klassische Geschichte über Standesdünkel und kleine Leute, die plötzlich über sich hinauswachsen. Die Bühnenversion hält sich eng an das zugrunde liegende Drehbuch des britischen Films "Magere Zeiten" ("A Private Function"). Allerdings wurde das Ende, das hier nicht verraten werden soll, geändert und dadurch familienfreundlicher. Roman Hinze hat in seiner Übersetzung den Wortwitz des Originals weitestgehend erhalten können.
Die Ohrwurm-durchsetzte Musik atmet den Geist der 1940er Jahre. George Stiles hat dabei Schmuckstücke geschaffen wie "Zauberhände" oder "Es gibt niemanden", aber auch Banales wie "Betty Blue Eyes". Die Orchestrierung erhält durch die Verwendung von Akkordeon, Banjo und Mandoline besonderen Reiz. Die zehn Musiker der Band "Black Beauty and Friends" unter Leitung von Tom Bitterlich begleiten mit viel Elan und sorgen für Schwung. Aber der Abend ist mit knapp drei Stunden Spielzeit zu lang geraten. Die Rückblende "Löwenherz", in der sich Joyce an ihr Kennenlernen mit Gilbert erinnert, bietet ihr zwar ein schönes Solo und ist mitreißend von Kati Farkas choreografiert, bremst aber den dramaturgisch ohnehin durchhängenden ersten Teil zusätzlich aus. Auch das Finale zieht sich zu sehr hin. "Schwein, kein Schwein" ist das Meisterstück eines Songs, der mit witzigem Text, temporeich gespielt und inszeniert die Handlung voranbringt. Ein gutes Gefühl für Timing und Pointen ist Regisseur Christian Brey nicht abzusprechen, aber er schießt zu oft übers Ziel hinaus. Er lässt seine Darsteller zappeln, Cartoon-Geräusch zu Bewegungen machen und aufgesetzt sprechen. Im Vergleich zur Filmvorlage fehlt der Bühnenversion ohnehin viel sozialkritischer Biss, aber Breys Slapstick macht ihm nahezu komplett den Garaus.
© Reinhard Winkler
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Besonders April Hailer als Joyce‘ Mutter Dear chargiert mit übertriebener Mimik. Auch Riccardo Greco muss auf die Klamotten-Pauke hauen. Als Inspektor Wormold, der akribisch auf der Suche nach nichtlizenziertem Fleisch ist, spricht er mit hoher, monotoner Stimme und bewegt sich roboterartig. In seinen Soli kommt Grecos karftvolle Stimme zur Geltung und die Rolle scheint ihm auch sichtlich Spaß zu machen, aber es ist einfach des Guten zu viel.
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Rob Pelzer bleibt darstellerisch blass und schafft es nicht, seinem Gilbert Chilvers Präsenz zu verleihen. Gesanglich meistert er diese Rolle tadellos, aber der Wandel von Schüchternheit zu Selbstsicherheit bleibt hinter den Möglichkeiten dieser Figur zurück. Die Rolle seiner Frau Joyce ist schon vorlagenbedingt facettenreicher. Kristin Hölck findet die richtige Balance, hinter der herrischen, kalten Fassade Emotionen zu zeigen, auch weil sie weniger klamaukig in Szene gesetzt ist. Ihr Showstopper "Es gibt niemanden" ist ein Höhepunkt des Abends. Eine Herausforderung ist natürlich die Darstellung des Schweins. Betty ist eine Puppe, die von der Puppenspielerin Lynsey Thurgar geführt wird. Dieses große Stofftier ist putzig anzusehen, besonders wenn es läuft – insgesamt könnte der Bewegungsablauf noch etwas geschmeidiger werden. Anette Haschmann hat ein praktisches, drehbares Bühnenbild entworfen. Auf der einen Seite eine Kulisse mit einer bunten Collage aus zeitgenössischen Fotos und Plakaten, davor eine große freie Spielfläche, auf der verschiedene Orte angedeutet werden können, auf der anderen das Wohnzimmer der Familie Chilvers. Die von Haschmann entworfenen Kostüme unterstreichen das Zeitkolorit.
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"Betty Blue Eyes" ist eine amüsante Komödie mit dankbaren Rollen und eingängiger Musik, die sich vor der Pause recht schleppend entwickelt, um dann deutlich an Tempo zuzulegen. Das Stück ist durchaus eine Alternative zur Spielplangestaltung, aber zur "saukomischen" Unterhaltung reicht es in Linz nur bedingt.
(Text: Ingo Göllner)

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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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