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 Komödie
Ein Käfig voller Narren Meine Mama ist ein Mann!
© Dorit Gätjen
© Dorit Gätjen
Das Volkstheater Rostock zeigt einen rundum gelungenen Narrenkäfig. Regisseur Stephan Brauer bringt keinen schenkelklopfenden Schwank mit schwulen Klischee-Typen auf die Bühne, sondern setzt auf nuancierte Charakterzeichnung in einer brandaktuellen Gesellschaftskomödie.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 11.03.2017 | Rezensierte Vorstellung: | | 11.03.2017 | Dernière: | | 24.03.2018 |
Die beiden ineinander verschlungenen, roten LED-Herzen hoch oben am Bühnenportal verraten es: Hier geht es um Liebe. Sei es die Liebe von einem Sohn zu seinen Eltern oder die Liebe zwischen Ehepartnern. Allerdings nicht in der tradierten Lebensweise, sondern in einer homosexuellen Beziehung. Gerade in Zeiten, in denen selbst ernannte "besorgte Bürger" lauthals gegen Schwule und Lesben hetzen, ist es wichtig, ein Statement für die Liebe zwischen zwei Menschen abzugeben - egal welches Geschlecht sie haben.
Das gelingt Regisseur Stephan Brauer in seiner soliden Inszenierung ganz vortrefflich. Natürlich stöckeln auch in seinem Narrenkäfig übertrieben wirkende, tuntige Paradiesvögel über die Bühne (so gibt Brauer selbst den schrillen Butler Jacob), doch lenkt er den Fokus mehr auf Albin und Georges, die auf Wunsch von Sohn Jean-Michel nach zwanzig Jahren ihre Zuneigung zueinander verstecken sollen. Ihr Spross sieht seine eigene Liebe zu Anne gefährdet, wenn sein Schwiegervater in spe herausfindet, dass er in einem Haushalt von zwei Männern aufgewachsen ist, die zudem auch noch ein Travestie-Lokal betreiben. Zum Gaudium des Publikums erscheint dieser rechtspopulistische Politiker als Donald Trump-Klon, den Steffen Schreier als polterndes, nazistisches Ekelpaket perfekt imitiert.
Monsieur Dindon bleibt allerdings die einzige Figur, auf deren Kosten sich die Inszenierung lustig macht. Brauers liebevoll gestaltete Personenführung bringt echte Typen auf die Bühne und gleitet nie in Richtung platter Klamotte ab. Seine rasanten Choreografien führen die sechs Cagelles (Mitglieder der Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock) mit Hingabe aus, bei den Mitgliedern des hauseigenen Opernchors besteht in der Restaurant-Szene bewegungstechnisch allerdings erhebliches Verbesserungspotenzial. Insbesondere die Herren wirken hier sehr hölzern.
Gerald "Jerry" Herrmans etwas altmodisch wirkende Partitur voller Song-Reprisen ist bei der Norddeutschen Philharmonie Rostock in guten Händen. Gerade kommerzielle Großproduktionen können sich von dem, was Dirigent Volker Plangg mit den Musikern aus dem überbauten Graben zaubert, eine gehörige Scheibe abschneiden. Diese richtig gute, satte und schmissige Orchesterbegleitung, die die Sänger nie übertönt, ist ein wahrer Genuss.
Ein weiterer Erfolgsgarant ist die tolle Ausstattung von Diana Pähler, die 2010 für eine Inszenierung in Neustrelitz entstanden ist und später auch am Theater in Hof zu sehen war. Im Vergleich mit den opulent-funkelnden, raffiniert geschnittenen Pailletten-Federn-Kreationen der Kostüme, ist Pählers Bühnenbild minimalistisch: Für die Revueszenen im Travestie-Club reicht ein drehbares Bühnenportal mit "La-Cage-aux-Folles"-Schriftzug, das Wohnzimmer von Albin und Georges wird von einem Sofa in XXL-Format dominiert, über dem in einem bronzenen Rahmen wahlweise das Gemälde eines leicht bekleideten Adonis oder ein röhrender Hirsch hängt.
© Dorit Gätjen
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Bereits in der Neustrelitzer Inszenierung verkörperte Christian Venzke Albin und dessen Travestie-Alter-Ego Zaza. Mit seinem schönen, vollen Bariton singt er den Löwenanteil der Songs, auch "La Cage aux Folles" (eigentlich eine Ensemble-Nummer) und das sonst von Jaqueline solistisch angeführte "Die schönste Zeit ist heut‘" gehört hier ihm. Venzke spielt Albin leicht tuntig, gibt ihm aber auch eine sehr zerbrechliche, bescheidene Facette. Als Diva im Fummel dreht er mit einer enormen Bühnenpräsenz so richtig auf. Man merkt Venzke sichtlich die Freude in der spontanen Interaktion mit seinem Publikum an, für das er nach einem Nieser aus dem Zuschauerraum während eines Songs sogar ein charmant-höfliches "Gesundheit!" einbaut. Schon rein vorlagenbedingt steht Venzke ganz im Zentrum der Aufführung; er bewältigt dies exzellent und mit Bravour.
Gleiches gilt aber auch für Sean Stephens. Sein Georges ist ein charmanter Travestieclub-Gastgeber und ein durch und durch in Albin verknallter Ehemann, der mit "Ich bin jung und verliebt" und "Schau' mal dort hin" zwei auch emotional sehr berührende musikalische Glanzstücke abliefert. Im Kampf um seine Liebe gewährt er Butler-Zofe Jacob sogar das eigentlich nicht erwünschte Bühnendebüt. Stephan Brauer kostet seine schrillen Episodenauftritte voll aus und beweist, dass atemberaubend hohe Highheels durchaus mit einem blanken Waschbärbauch harmonieren können.
© Dorit Gätjen
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Paul Lücke (Jean-Michel) ist nicht nur im Gesang bei "Anne" hörbar überfordert, auch im Tanz mit seiner liebreizend-feschen Angebeteten (in der besuchten Vorstellung Larissa Potapov) wirken die Schritte und Posen sehr steif und antrainiert. Allerdings überzeugt er darstellerisch als zunächst sehr zynischer Sohn, der später geläutert Partei für seine schwulen Eltern ergreift. Als unter dem Pantoffel ihres Mannes stehende Madame Dindon zeigt Petra Gorr einige komische Momente, während Antje Luckstein (Jaqueline) und Titus Paspirgilis (Francis) als Randfiguren nur Stichwortgeber bleiben.
Auch wenn der Abend unter den beiden strahlenden LED-Herzen mit fast drei Stunden recht lang geraten ist und vielleicht die ein oder andere Straffung vertragen könnte, ist er unterm Strich überaus gelungen. In der besuchten Premiere wird dieser Narrenkäfig zu Recht minutenlang mit stehenden Ovationen bejubelt.
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
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| Handlung | "La Cage Aux Folles" ist die Geschichte des homosexuellen Albin, der als Drag Queen Zasa im titelgebenden Nachtclub seines Lebensgefährten George auftritt. mehr Als Georges Sohn Jean-Michel die junge Tochter des konservativen Politikers Edouard Dindon heiraten und seinen zukünftigen Schwiegereltern eine seriöse Familie präsentieren will, kommt es zu einigen komischen Verwicklungen. Albin spielt, trotz einer tiefen Kränkung durch den Ziehsohn, seine Mutter, die kurzfristig abgesagt hat. Das Schauspiel wird letztendlich von Dindon enttarnt, doch durch eine geschickte Erpressung steht der Hochzeit des Sohnes Jean-Michel mit der Diplomatentochter Anna nichts mehr im Wege.
| Weitere Infos | Deutschlandpremiere war am 1985 am Berliner Theater des Westens
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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