 |
 Drama
Ragtime Back to Before Das auf dem Roman von E.L. Doctorow basierende Musical ist ein wahres Epos. Aufgrund des enormen Aufwands hat sich in Deutschland bisher nur das Staatstheater Braunschweig – in Koproduktion mit dem Staatstheater Kassel – an eine Bühnenumsetzung getraut. Dabei ist das gar nicht notwendig, wie das kleine Charing Cross Theatre beweist.
(Text: Maik Frömmrich) Premiere: | | 08.10.2016 | Rezensierte Vorstellung: | | 24.11.2016 | Dernière: | | 10.12.2016 |
Bereits beim Betreten des Theatersaals ist die kleine Bühne in stimmungsvoller Ausleuchtung für das Publikum sichtbar. Die Szenerie erinnert ein wenig an klassische Westernfilme: Graue Holzplanken verzieren die Seiten und das Bühnenportal als Häuserfassaden; dazu kommt ein Stahlgerüst mit Treppen, das als Balkon und zweite Ebene den Raum erweitert. Zwei mit dem Rücken aneinander gestellte Klaviere bilden das Zentrum, weitere Musikinstrumente sind an den Wänden und an verschiedenen Standorten auf der Bühne verteilt. Tatsächlich bedarf es auch gar keiner größeren Bühnenmaschinerie, denn durch ein paar Handgriffe können neue Bilder und Orte geschaffen werden. So lässt sich das Stahlgerüst vorne spitz zusammenschieben, sodass automatisch die Assoziation eines Schiffsbugs entsteht . Durch die Neuanordnung der Klaviere werden weitere Räumlichkeiten geschaffen. Den Rest übernimmt die Vorstellungskraft des Zuschauers.
Regisseur Thom Southerland führt stringent durch das Stück, lässt in seiner Inszenierung immer einen Hauch von Aggression und Verzweiflung mitschwingen. Sei es die aussichtslose Lage der Immigranten, die Rolle der unemanzipierten Frau als Heimchen in der Mittelschicht oder aber auch der Rassismus gegenüber der schwarzen Bevölkerung – die Figuren spiegeln die Zeit und sozialen Gegebenheiten des frühen 20. Jahrhunderts bis zum Beginn des 1. Weltkrieges wider. Das Streben nach Selbstverwirklichung, Gerechtigkeit und einem Leben im Wohlstand sind Themen, die die Charaktere antreiben, sie aber auch zu Verzweiflungstaten führen. Southerland macht das durch eine genaue Personenführung für das Publikum spürbar, nimmt dadurch aber den leichten, aufheiternden Momenten etwas die Lockerheit.
Das Ensemble meistert die Aufgabe, sowohl passende Rollenportraits abzuliefern als auch als Musiker zu agieren, solide. Richtig herausragende Leistungen gibt es allerdings nicht. Man ist von dem einen oder anderen Darsteller etwas enttäuscht, wenn man die sonst so hohe Qualität der Darsteller auf Londons Bühnen zum Vergleich nimmt. Gary Tushaw als Tateh beispielweise klingt zwischenzeitlich angestrengt und schafft es nicht, alle hohen Töne sauber auszusingen. Gerade bei dieser Partitur von Stephen Flaherty, die große Stimmen braucht und grundsätzlich schon sehr pathetisch daherkommt, fallen solche Mängel umso deutlicher auf.
Großes Manko ist die schlechte Tonaussteuerung, die den Songs oft jegliche Nuancen nimmt. Eine gelungene Tonabmischung von mikrofonierten Sängern und den nicht verstärkten Instrumenten auf der Bühne ist sicherlich schwierig. Vielleicht müsste dafür auch der musikalische Leiter Jordan Li-Smith mehr Kontrolle über seine Darsteller-Musiker, die sich gleichzeitig auf ihre schauspielerische Leistung fokussieren müssen, haben und sie mehr in der Dynamik des Spiels lenken können. Als leitende musikalische Instanz spielt er immer eins der beiden Klaviere, gibt Einsätze und versucht das Ensemble zusammen zu halten, was aufgrund seiner Position hinter den Darstellern oft schwierig scheint. Das Resultat klingt in der besuchten Vorstellung eher suboptimal. Energisch, ja fast aggressiv werden die Songs dargeboten. Dazu lassen viele der neuen Arrangements die feinfühligen Zwischennuancen des Originals vermissen. Die großen Nummern enden fast ständig mit zu dominanten Drums, die in Kombination mit den anderen Instrumenten die Assoziation von Krach evozieren. Besonders auffällig wird das in der 'Befreiungsnummer' "Back to Before", die ganz schlicht mit Klavier und Akustikgitarre beginnt. Der Beginn des Liedes versprüht eine überraschende Emotionalität, die wunderbar in den Moment passt, und erfreut mit seinem schlichten Arrangement – gerade im Kontrast zu den vorherigen Wucht-Nummern. Leider setzen viel zu früh weitere Instrumente ein und der Song kulminiert schließlich erneut in einem zu lauten Finale, dem Anita Louise Combe als Mutter all ihre stimmliche Kraft entgegensetzen muss.
Das Charing Cross Theatre zeigt, dass man mit Kreativität auch ein Stück, das für die großen Bühnen geschrieben wurde, im kleinen Rahmen umsetzen kann. Mit einer besseren Soundabmischung und abwechslungsreicheren, subtileren Arrangements sowie einem nuancierten musikalischen Spiel hätte es ein Abend mit großen Gänsehautmomenten werden können. In der jetzigen Version bleibt es ein sehenswertes Stück Musiktheater, bei dem der Funke nicht ganz überspringen möchte.
(Text: Maik Frömmrich)

Kreativteam
Besetzung

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |