 |
 Märchenmusical
Into the Woods Niemand ist allein
© Rolf K. Wegst
© Rolf K. Wegst
"Into the Woods" fesselt in Gießen von Anfang an. Mit viel Tempo und Witz sowie liebevoller Figurenzeichnung erzählt ein engagiertes, spielfreudiges Ensemble die Geschichte. Das Ergebnis ist eine musikalisch wie darstellerisch gelungene Produktion mit Tiefgang.
(Text: Harry Weiß-Arzet) Premiere: | | 29.10.2016 | Rezensierte Vorstellung: | | 29.10.2016 | Letzte bekannte Aufführung: | | 17.06.2017 |
Schon bevor der Erzähler mit seinen berühmten Worten "Es war einmal" in die eigentliche Handlung einführt, stellt ein kurzes Vorspiel mit einer psychologischen Familienaufstellung die Figuren des Stücks und ihre Beziehungen zueinander vor. Dann setzt das Orchester ein und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Schnell ist klar: Hier spielt ein bestens aufgelegter Cast.
Hinter großen Bilderrahmen platziert, werden die einzelnen Charaktere vom Erzähler unaufgeregt und interessiert eingeführt, bevor sie selbst zu Wort kommen. Zunächst präsentieren sich hier grelle Märchenfiguren voller bekannter Klischees. Am deutlichsten wird das vielleicht bei Aschenputtel und ihrer Verwandtschaft: Irina Ries als Stiefmutter ist so abgrundtief bösartig, dass es eine helle Freude ist. Die beiden Stiefschwestern (Anne-Elise Minetti und Marie Seidler) kommen hübsch dumm daher. Patrizia Margagliotta als Aschenputtel hingegen ist die Anmut in Person, mit zunächst sanften, liebevollen und zurückhaltenden Tönen. Dieser Kontrast ist lustig, doch währt nur kurz: Je mehr die Personen ihre Rahmen - die schließlich im Schnürboden verschwinden und den Blick auf einen scherenschnittartigen Wald freigeben - verlassen, werden sie von eindimensionalen Märchenfiguren zu echten Menschen voller Sehnsüchte und unerfüllter Träume. Cathérine Miville legt bei ihrer Regieführung viel Wert auf komplexe Persönlichkeiten. Ihr Umgang mit den einzelnen Figuren mit all ihren Licht- und Schattenseiten ist ausnahmslos liebevoll.
© Rolf K. Wegst
© Rolf K. Wegst
Sogar die stimmgewaltige Hexe von Laura Joeken darf weit mehr als nur böse sein. Ihren schrilIen und egozentrischen Auftritten im ersten Teil, steht ein kurzes, verletzlich und gegenüber Rapunzel ausgesprochenes "Ich wollte nur eine gute Mutter sein" im zweiten Akt gegenüber, das zu den tief berührenden Momenten des Abends gehört.
Tom Schimon als Hans zeigt auf der Bühne einen kleinen, verträumten Jungen. Seine Augen sind übergroß und weit geöffnet, wenn es etwas zu staunen gibt oder er wieder Rettung für seine geliebte Milchkuh sieht. Seine Bewegungen sind schlaksig und unbeschwert. Stimmlich lässt er aufhorchen. Schimon macht rundum Spaß.
Andrea Matthias Pagani und Julia Lißel als Bäcker-Ehepaar gelingen ausgewogene Töne und stimmige Charakterstudien. Als Wölfe und Prinzen dürfen Christian Fröhlich und Thomas Christ um die Wette schmachten, was sie mit Hingabe und Inbrunst tun. Aber sie schaffen es auch, echte Gefühle zu zeigen und den Wunsch nach mehr und anderen Frauen glaubhaft darzustellen. Besonders schön zeigt sich bei Christian Fröhlich der Einsatz der bewusst wenigen Requisiten. Im ersten Akt bekommt er als erblindeter Prinz einen Golfschläger als Blindenstock. Diesen benutzt er im zweiten Akt wieder: Während er davon singt, wie unerreichbar Schneewittchen für ihn ist, da die Zwerge sie bewachen, spielt er tatsächlich Golf – mit kleinen Gartenzwergen als Bällen. Eine schöne Illustration seiner Wut auf die Zwerge. Kleine Details wie dieses kennzeichnen und formen die Inszenierung.
© Rolf K. Wegst
© Rolf K. Wegst
Als der Erzähler zu Beginn berichtet, dass die Mutter von Hans (großartig, punktgenau und immer mit dem richtigen Timing von Carolin Weber gespielt) keine schöne Frau war, wirft sie ihm einen angsterregenden Blick zu. Im zweiten Akt trägt sie nicht nur eine neue Hochsteckfrisur mit gefärbtem rotem Haar, sondern kurbelt auch den Internethandel kräftig an, was eine Reihe von Postpaketen zeigen.
Eine kleine Entdeckung ist Rebecca Kaufmann als Rotkäppchen. Die Schülerin entstammt dem hauseigenen Kinder- und Jugendchor. Sie verleiht dem Rotkäppchen eine wohltuende Rotzigkeit. Das Ensemble ist durchgehend stimmig und rollendeckend besetzt. Abtin Afshar Ghotlie als Kammerdiener fehlt im spielerischen und musikalischen Bereich noch die nötige Erfahrung und Stimme - dafür tanzt er sehr schön.
Die einfachen, aber passenden Choreographien hat Inga Schneidt entwickelt. Sie kommt vom Hip Hop und sorgt für einen urbanen Tanzstil. Der Straßentanz fügt sich äußerst gut in die Dramaturgie und die Inszenierung ein.
Die musikalische Seite überzeugt ebenfalls auf ganzer Linie. Andreas Kowalewitz schafft es, mit dem Philharmonischen Orchester Gießen einen Klangteppich zu gestalten, auf dem die Handlung gut nach vorne kommt. Die Tontechnik sorgt für einen guten Raumklang und eine Abmischung, die Orchester (toll: der echte Flügel im Orchestergraben) und Sänger gleichermaßen zur Geltung bringt. Nicht selbstverständlich in einem Stadttheater ist die Textverständlichkeit, die gerade bei Sondheim aber unbedingt notwendig ist. Der Sprachwitz und die Ironie der deutschen Übersetzung von Michael Kunze kommen so auch auf den Rängen an.
© Rolf K. Wegst
© Rolf K. Wegst
Lukas Noll (Bühne und Kostüme) hat ein wandelbares Bühnenbild aus Scherenschnitten geschaffen, dessen dominierende Farben schwarz und weiß sind. Im zweiten Teil kommen neben den Symbolen aus Wald und Wiese auch etwa ein Einkaufswagen, ein Bett und andere Gegenstände hinzu, um auch hier deutlich zu machen: Erfüllte Wünsche fordern neue heraus. Lichtstimmungen und behutsam eingesetzte Projektionen schaffen immer wieder neue Sichtweisen in diesem Bühnenwald. Die Kostüme sind von Anfang an bunt. Mit kleinen Details (etwa die Golfmontur des Prinzen) unterstreichen sie den Charakter der Figuren.
"Niemand ist allein", so heißt es in einem der bekanntesten Songs. Das stimmt. Diese Inszenierung wirkt auch deshalb nachhaltig, weil so viele ihren Teil zum Gelingen beitragen. Die Leichtigkeit, mit der diese Produktion daherkommt, wiegt viel. Auf nach Gießen – und ab in den Wald.
(Text: Harry Weiß-Arzet)

Kreativteam
Besetzung

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |