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 Gothical
Jekyll & Hyde Balanceakt zwischen Gut und Böse
© Nico Manger
© Nico Manger
Bei "Jekyll & Hyde" in Würzburg gibt es drei Stars: Regisseur Ivan Alboresi, Bühnenbildner Bernd Franke und Armin Kahl als Henry Jekyll / Edward Hyde. Sie sind die größten Stärken einer Aufführung, die leider auch einige Schwächen aufweist.
(Text: Marcus Hoffmann) Premiere: | | 21.11.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 04.12.2015 | Letzte bekannte Aufführung: | | 08.05.2016 |
Eine kahle Bühne ganz in Schwarz. Seitlich Wände aus schwarzen Ziegelsteinen. In der Mitte eine einsame Lampe, deren Kabel sich im Schnürboden verliert, darunter ein Rollstuhl. Darauf setzen zwei Wärter einen alten Mann, nur in ein strahlend weißes Nachthemd gehüllt. Der Alte ist völlig lethargisch. Ein Arzt kommt dazu und sinniert über den ewigen Kampf von Gut und Böse in uns selbst: "Die unversöhnlichen Zwillinge Gut und Böse liegen im ewigen Streit." Der Arzt - Dr. Henry Jekyll - will das Böse und damit den Wahnsinn im menschlichen Geist isolieren und vernichten. Traurig umarmt er den Alten, den er nicht retten konnte; es ist sein Vater. Jekyll entwickelt ein Serum, um das Böse aus der Psyche abzuspalten, und testet es im Selbstversuch. Er wird zu dem, was er bekämpfen möchte: dem Bösen - Edward Hyde.
Die Würzburger Inszenierung verzichtet bei den Verwandlungsszenen auf Spezialeffekte und setzt ganz und gar auf das schauspielerische Talent von Armin Kahl. Und Kahl schafft die Quadratur des Kreises. Er entwickelt beide Figuren getrennt voneinander glaubhaft und plausibel: Jekyll vom freigeistigen Wissenschaftler zum verzweifelten Besessenen, der erkennt, dass er sein Alter Ego nicht mehr kontrollieren kann. Hyde vom befreiten Individualisten hin zum skrupellosen Mörder. Körpersprache, Artikulation, Vokabular, Stimmlage, Mimik - in allen Punkten differenziert Kahl sehr präzise zwischen beiden Charakteren. Bei den Transformationen balanciert er elegant zwischen Jekyll und Hyde hin und her. Der Höhepunkt ist die Schlussszene: Jekyll kämpft mit Hyde um die Vorherrschaft. Im Sekundenrhythmus wechselt Kahl die Charaktere und liefert dabei eine großartige schauspielerische Leistung ab. Das Theater unterstützt durch wechselnde Beleuchtung: hulk-grün und unschuldig-weiß. Im Gegensatz zu Kahl patzt die Technik wie so oft an diesem Abend und die Beleuchtung kommt außer Tritt.
Wenn sich Jekyll in Hyde verwandelt, reißt Kahl sein weißes Hemd auf. Auf der nackten Brust sind tätowierte Tribals erkennbar, die sich immer weiter ausbreiten – symbolhaft für Hyde als das ursprüngliche, animalische Wilde. Tribals sind kein Zeichen für das Böse per se, sondern wurzeln in Stammeszeichen alter Völker, wie z. B. der Kelten oder auch der Indianer. Alboresi bietet damit neben der Interpretation "gut gegen böse" auch die Interpretation "zivilisiert und dressiert gegen ursprünglich und frei" an.
© Falk von Traubenberg
© Falk von Traubenberg
Nicht nur das Schauspiel von Armin Kahl ist perfekt. Die leisen Passagen singt er zart doch kraftvoll. Sein Bariton klingt kristallklar bis in die Höhen. Die Artikulation ist mustergültig - buchstäblich jeder Buchstabe ist zu verstehen Bernd Franke gestaltet seine Bühne mit drei Hauptelementen: zwei rollbaren Kulissen, einer großen Glasfront, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden kann, und der Bühnentechnik selbst. Von Bühnenarbeitern nach hinten geschwenkt offenbaren die beweglichen schwarzen Ziegelwände auf ihrer Rückseite die Häuserfront eines Rotlichtviertels. Nach vorne geschwenkt, bilden sie die Wände von Jekylls Wohnung. Kombiniert mit der Glasfront entsteht das Laboratorium.
Die halbdurchlässige Glasfront ist fast so breit und hoch wie die Bühne selbst. Wenn der Raum dahinter illuminiert wird, wird die Front zu einer Art Fenster. Alboresi trennt damit parallele Handlungsstränge. Ist der Raum dahinter dunkel, mutiert die Glasfront zu einem monströsen Spiegel. In ihm erkennt Jekyll, dass Hyde die Kontrolle übernimmt.
Das dezente aber geschickt eingesetzte Lichtdesign schafft Atmosphäre. Die Drehbühne mit den Hubelementen setzt Alboresi exzessiv ein, nutzt sie zur Strukturierung des Raums, schafft Mauern und Plattformen. Das ist sehr effektiv: Ein Hubelement oben, das nächste unten, das übernächste oben werden zu zwei Bahnsteigen mit Gleisbett. Die Spitzenlichter einer Lokomotive im Hintergrund angedeutet, alles im Halbdunkel, etwas Nebel und fertig ist die Illusion eines einfahrenden Zuges. Spätestens im zweiten Akt verliert aber die Bühnentechnik etwas von ihrem Reiz.
© Falk von Traubenberg
© Falk von Traubenberg
So einfach Bühne und Kulissen gehalten sind, so aufwendig sind Kostüme und Requisiten. Opulent sind die authentischen Kleider aus der Gründerzeit. Die Tournüren-Röcke sind prachtvoll mit Rüschen und Spitzen gearbeitet. Einzig Henry Jekyll ist als Kontrast dazu in einen legeren schwarzen Anzug gekleidet. Der Kragenknopf seines weißen Hemdes ist sogar dann geöffnet, als er Lisa heiratet. Er wirkt wie ein Reisender aus der Zukunft – und genau das ist er gewissermaßen auch mit seiner revolutionären Denkweise. Auch die Requisite stimmt bis ins Detail. Seien es die Lampen, die vom Schnürboden herabgelassen werden oder der liebevoll arrangierte Labortisch - überbordend mit Kolben, Chemikalien und anderen chemischen Gerätschaften ausgerüstet. Durch die einfach gehaltene Bühne kommen Kostüme und Requisiten noch stärker zur Geltung.
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. So eindrucksvoll die Leistungen von Kahl und Alboresi sind, so unprofessionell ist die Technik an diesem Abend. Teile des Chores sind nicht zu hören, der Rest wird ganz und gar von den Hauptdarstellern übertönt. Das scheint auch dem Chor selbst Probleme zu bereiten, denn die Stimmen sind manchmal asynchron. Die Mikrofone knacken, rascheln und rauschen. Der Abmischung der Hauptdarsteller in der tiefen Stimmlage fehlt es deutlich an Volumen.
Unter der musikalischen Leitung von Sebastian Beckedorf interpretieren die etwa 25 Musiker des Philharmonischen Orchesters Würzburg die Partitur von Frank Wildhorn. Mit Bassklarinette und Kontrafagott wären Instrumente besetzt, die musikalisch eine unheimliche Atmosphäre schaffen könnten. Leider gehen diese Instrumente wie viele andere völlig unter. Dafür ist der E-Bass viel zu laut. Das Orchester unterlegt Szenenumbauten mit zarter Begleitung. Die Mühe könnten sich die Musiker sparen, denn bei dem ganzen Gerumpel und Gepolter im Hintergrund geht die viel zu leise Musik unter. Einmal kann die Glasfront nicht abgesenkt werden, weil die Kulissen falsch stehen. Solche und ähnliche Pannen ziehen sich durch die gesamte Vorstellung.
Sopran Anja Gutgesell als Jekylls Verlobte Lisa singt klassisch mit viel Vibrato. Das passt nicht zur mädchenhaften Lisa und wirkt opernhaft bieder. Neben Armin Kahl kann eigentlich nur Barbara Schöller als Lucy bestehen - Jekylls Freundin, die von Hyde vergewaltigt und ermordet wird. Wie Kahl arbeitet auch sie die zwei Facetten ihrer Rolle deutlich heraus: Mit strahlender Mimik, verruchter, jazziger Stimme und lasziv-erotischer Ausstrahlung gibt sie die verführerische Prostituierte in phantasievollen, schwarzroten Dessous. Ängstlich, enttäuscht, verletzlich und gekleidet in zartes Rosa ist sie die Frau, die die Hoffnung auf ein besseres Leben aufgegeben hat.
Die Balance ist es, die "Jekyll & Hyde" in Würzburg an vielen Stellen fehlt. Die Inszenierung von Alboresi ist ein ausgefeiltes Uhrwerk. Armin Kahl ist auf ganzer Linie ein Titan und Barbara Schöller überzeugt. Diesen ist es zu verdanken, dass sich das Publikum von den Patzern nicht beirren lässt und die Aufführung mit begeisterten Schlussapplaus und stehenden Ovationen feiert.
Musical in einem Prolog und zwei Akten von Frank Wildhorn und Leslie Bricusse
Buch und Liedtexte von Leslie Bricusse nach dem gleichnamigen Roman von Robert Louis Stevenson Für die Bühne konzipiert von Steve Cuden und Frank Wildhorn Orchestrierung von Kim Scharnberg Arrangements von Jason Howland Deutsch von Susanne Dengler und Eberhard Storz
(Text: Marcus Hoffmann)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

Beitrag vom 09.01.2016 gesperrt
    30984 Thriller
08.01.2016 - Ivan Alboresi inszenierte Frank Wildhorns JEKYLL&HYDE für das Mainfranken Theater Würzburg.
Er fokussiert seine Regie äußerst gekonnt auf das, was dieses Musical ausmacht: Spannung, Thrill, Atmosphäre.
Das gelingt ihm so brillant, dass man angespannt und atemlos die Geschichte mitverfolgt.
Kongenial wird er durch das Bühnenbild von Bernd Franke unterstützt. Die unheilvolle viktorianische Düsternis wird durch stimmiges Understatement auf den Punkt gebracht.
Ebenfalls großartig ist das Lichtdesign, dass Licht, Schatten und Spiegelungen zu einem geradezu phantasmagorischen Ganzen formt.
Große Begeisterung auch für die Besetzung.
Armin Kahl macht sich die herausfordernde Doppelrolle mit einem enormen körperlichen und stimmlichen Einsatz zu eigen. Man könnte vielleicht kritisieren, dass sein Dr. Jekyll etwas zu tiefenentspannt für einen genialen und getriebenen Wissenschaftler wirkt. Nichtsdestotrotz ist sein Mr. Hyde so animalisch kraftvoll gezeichnet, dass die Persönlichkeitsspaltung dramatisch stimmig, glaubwürdig und regelrecht furchteinflößend ausfällt.
Gerade auch im Zusammenspiel mit (der wie immer großartigen und charismatischen) Barbara Schöller hat das Stück seine spannungsgeladenen Höhepunkte. Stimmlich sowieso grandios, lotet Schöller die Rolle der Lucy tiefer und ergreifender aus, als ich das von anderen Darstellerinnen je sehen konnte.
Auch Anja Gutgesell holt in der Rolle der Lisa das Möglichste aus dem nicht ganz so dankbaren Charakter und bildet so den optimalen Gegenpart zu Schöller.
Begeistert hat mich auch der stimmgewaltige Opernchor des Hauses. Wie die Damen und Herren beim Opener "Fassade" punktgenau auf der außerordentlich eindrucksvollen Hebe-, Drehbühne agieren und singen, ist eine der fulminantesten Szenen, dieser visuell und atmosphärisch so reichen Inszenierung.
Das große Orchester lässt Frank Wildhorns
Komposition eindrucksvoll und vielfältig erklingen. Einzig die technische Aussteuerung ist nicht ganz gelungen. Im Gegensatz zu den Solos sind die Chorstücke textlich leider kaum zu verstehen.
Insgesamt ist die Inszenierung aber großartig gelungen und zeigt, dass JEKYLL&HYDE auf einer relativ kleinen Stadttheaterbühne perfekt funktionieren kann.
Was nicht zuletzt auch an der musikalischen und dramaturgischen Qualität dieses Musicals liegt, die auch ohne optisches Bühnenblendwerk zu strahlen vermag.

kevin (204 Bewertungen, ∅ 3.4 Sterne) 
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| Handlung | Der junge Arzt Henry Jekyll will das Gute vom Bösen im Menschen trennen - um das Böse zu eleminieren und die Menschheit vom Wahnsinn zu befreien. mehr Der Vorstand des St.-Judes-Krankenhauses lehnt seinen Antrag auf ein menschliches Versuchskaninchen entschieden ab. Jekyll experimentiert an sich selbst, und bekommt das Böse in sich bald nicht mehr unter Kontrolle. Als Edward Hyde tötet er die Mitglieder des Krankenhausvorstandes und bedroht die Hure Lucy, mit der Jekyll zuvor Mitleid gehabt hatte. Am Tag von Jekylls Hochzeit mit Lisa kommt es zum finalen Showdown zwischen Jekyll und Hyde.
| Weitere Infos | Das Musical von Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Texte) basiert auf dem vielfach verfilmten Roman von Robert Louis Stevenson. Uraufgeführt wurde es 1990 in Houston - die Doppel-CD halten viele Fans immer noch für die beste Aufnahme der Show. 1997 kam das Musical an den Broadway. 1999 erlebte es unter der Regie von Dietrich Hilsdorf seine europäische Erstaufführung in Bremen (in der Übersetzung von Susanne Dengler, die auch die Lisa spielte). Diese Produktion wurde auch in Wien und Köln gezeigt. Seit März 2007 (Premiere in Chemnitz) gehört "Jekyll & Hyde" im deutschsprachigen Raum auch zum Stadttheater-Repertoire.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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