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 Klassiker
Cabaret Amüsiergesellschaft vor dem Umbruch
© Candy Welz
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Ein wirkungsvoller Einsatz der Drehbühne, ein für dieses Stück ungewohnt großes Orchester und ein harmonisches Ensemble stehen auf der Habenseite dieser Produktion. Leider versäumt die Regisseurin, die Beziehungen der Paare nicht bloß im Dialog ablaufen, sondern auch nachvollziehbar werden zu lassen.
(Text: Ingo Göllner) Premiere: | | 30.01.2016 | Rezensierte Vorstellung: | | 11.03.2016 | Letzte bekannte Aufführung: | | 29.01.2017 |
"Willkommen" steht in überdimensionaler Frakturschrift über der Bühne des Kit Kat Clubs. Das Wort leuchtet wenig einladend kalt im dunklen Bühnenraum. Ebenso wenig Gefühl gibt es im Club. Der überdrehte Amüsierbetrieb bietet dekadente, laute Unterhaltung und schnelle Kontakte zu Personen mehr oder weniger aus dem einschlägigen Gewerbe – eine Atmosphäre emotional so eisig wie das Lächeln des Conférenciers.
Die Wandtäfelung des Großen Hauses zieht sich bis auf die Bühne und bildet den Rahmen für eine große, nach vorne und hinten fahrbaren Drehbühne (Bühne: Friedrich Eggert), die wechselweise den Club oder zwei Zimmer in Fräulein Schneiders Pension zeigt oder auch die Grenzen zwischen Wohnung, Cabaret und einer Fantasiewelt dazwischen verschwimmen lassen kann. Zusammen mit guter Ausleuchtung und schönen Kostümen beeindruckt die Optik.
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Die musikalische Seite ist bemerkenswert anders als gewohnt. Für "Cabaret"-Verhältnisse sitzen ziemlich viele Musiker im Orchestergraben (Leitung: Michael Nündel). Dadurch sind einige Songs etwas glatt; es fehlt ein bisschen das gewohnte Schroff-Scheppernde. Dafür klingen die Lieder, die nicht auf der Cabaret-Bühne gesungen werden, sehr üppig und weniger nach "Dreigroschenoper" als nach gut instrumentiertem, klassischem Musical. Warum mitten in den Liedern zwischen Deutsch und Englisch gewechselt wird, ist dabei nicht ganz nachvollziehbar.
Die Choreographien von Christopher Tölle sind knackig und in abonnentenfreundlichem Maß derb, auch wenn die Pose "der Conférencier nimmt die Tänzerin / den Tänzer von hinten" inflationär oft verwendet wird.
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Die Gefühlskälte des Kit Kat Klubs überträgt sich leider auch auf die Rolleninterpretationen. Dorothea Maria Müller lässt in ihrer Darstellung der Sally Bowles kalt. Ihre Oberflächlichkeit ist nicht durch Naivität, Quirligkeit oder Charme getarnt, und das macht es schwer, für diese Figur etwas zu empfinden. Nur in ihren Auftritten im Club, wenn sie aus der Handlung herausgenommen und für sich ist, kann sie Emotionen zeigen, aber auch in "Maybe This Time" und "Cabaret" ("Mein Herr" ist gestrichen) braucht es einen gewissen Anlauf bis sich – unterstützt vom sehr sattem Orchesterklang - ein Gefühl einstellt. Stimmlich ist Müller eine Idealbesetzung. Es bleibt der Eindruck, dass da auch darstellerisch mehr drin gewesen wäre.
Die Beziehung Clifford - Sally ist ein weiteres Problem der Inszenierung. Der junge Amerikaner, der nicht nur wegen des Schreibens, sondern auch wegen der sexuellen Freizügigkeit nach Berlin gekommen ist, wird am Anfang als ganz klar homosexuell dargestellt. Es wird nicht versucht zu erklären, wieso er etwas mit Sally anfängt. Ihr Kennenlernen im Kit Kat Klub ist rein platonisch – zumindest merkt man nicht, dass sie mehr verbinden könnte als die gemeinsame Sprache. Clifford Bradshaw ist eine ziemlich undankbare Rolle. Er ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, steht aber im Schatten der Figuren um ihn herum. Markus Schneider gibt ihm sympathische, jungenhafte Unbekümmertheit und stellt glaubhaft die Entwicklung seiner Figur dar. Bedauerlich, dass er nur wenig zu singen hat, denn sein heller, leichter Tenor ist sehr angenehm.
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Petra Weltenroth (Fräulein Schneider) und Thomas Mehnert (Herr Schultz) harmonieren sehr gut, aber auch hier versagt die Regie, das Verhältnis der beiden deutlich herauszuarbeiten. Erst flirten sie ein bisschen unbeholfen miteinander und plötzlich liegt Herr Schultz auf Fräulein Schneiders Sofa. Ihr Zimmer ist eher diffus im Bühnenbild verortet. Es wird nicht klar, ob Fräulein Schneiders Bett auf dem Flur steht oder ob sie ein kaum möbliertes Durchgangszimmer hat. Ihre Mieterin Fräulein Kost (lebendig, liebenswert und bei "Der morgige Tag ist mein" mit einem unerwarteten Bruch zur Ernsthaftigkeit: Marianne Curn) und ihre Kunden laufen jedenfalls ständig vorbei.
Michael Pegher, Mitglied des Darmstädter Opernensembles, nutzt für die Darstellung des Conférenciers seine klassische Stimme um nach elegantem Operettentenor der 30er Jahre zu klingen, kann ihr aber auch eine gewisse Schärfe geben. Von Auftritt zu Auftritt wird seine Figur düsterer und diabolischer.
Ernst Ludwig, Cliffs erster Kontakt in Deutschland und Devisenbeschaffer der aufkommenden Nazis, bekommt von Christoph Bornmüller eine gelungene Mischung aus Herzlichkeit und Zwielichtigkeit. Zusammen mit den Cast-Mitgliedern (besonders wandlungsfähig: Marc Baumann, Steven Klopp und Florian Weigel in diversen Rollen) ergibt sich ein sehr gut funktionierendes Ensemble, auch wenn der Dialog in der besuchten Vorstellung etwas flüssiger und straffer hätte laufen können.
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Der Opernchor wird als Publikum des Kit Kat Klubs und als Gäste bei der Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schultz eingesetzt. Die Choristen spielen auf die bekannte, etwas unbeholfene Weise, aber wenn ein kompletter Opernchor voller Inbrunst "Oh Vaterland, Vaterland zeig uns den Weg" singt, überläuft einen ein Schauer des Unbehagens. Übertriebene Hinweise auf aktuelle politische Entwicklungen verkneift sich die Regie – sie sind auch so deutlich genug.
Nicole Claudia Weber bringt in ihrer Inszenierung die Geschichte, von ein paar geisterhaften Auftritten des Conférenciers abgesehen, konventionell auf die Bühne. Hätte sie mehr Wert auf die emotionale Grundlagen der Beziehungen der handelnden Personen gelegt, wäre daraus womöglich mehr als ein solider, wenn auch kurzweiliger Abend geworden.
(Text: Ingo Göllner)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken Fräulein Schneider - Petra Welteroth
Sally Bowles - Dorothea Maria Müller
Clifford Bradshaw - Markus Schneider
Herr Schulz - Thomas Mehnert
Conférencier - Michael Pegher
Ernst Ludwig - Christoph Bornmüller
Fräulein Kost - Marianne Curn
Die Cabaret Girls - Nina Bülles, Marianne Curn, Lena Lafrenz, Claudia Artner, Ellen Wawrzyniak
Die Cabaret Boys - Steven Klopp, Florian Weigel
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

Beitrag vom 31.05.2016 gesperrt
    31111 Make it big...
31.05.2016 - ...dachte sich wohl das Kreativ-Team der Darmstädter CABARET Inszenierung.
Selten hat man eine so aufwendige Inszenierung dieses Musicals gesehen, das ansonsten eher in einem intimen Rahmen zur Aufführung kommt.
Das beginnt mit dem groß besetzten Orchester. Nicht allen Liedern bekommt dieser opulente Schmelz. Mitunter fehlt dann doch der kantige, zackige Klang, der dramaturgisch mehr Sinn machen würde.
Auch der Einsatz des großen Opernchores wäre sicher nicht nötig gewesen. Mitunter ist soviel Gewusel auf der Bühne (Frau Schneiders Verlobungsfeier), dass der optische Fokus verloren geht.
Im Ambiente des Kit Kat Clubs wirken dann die tadellosen, aber doch recht klassisch anmutenden Stimmen etwas deplatziert.
Auch beim Bühnenbild hat man nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Die imposante, fahrbare Drehbühne transportiert bühnenhohe Elemente, die aufwändig die einzelnen Spielorte umrahmen. Leider dreht sich die Bühne aber quälend langsam. Dem Staging ist dazu auch wenig eingefallen. Daher wirken Szenenwechsel manchmal doch recht zäh.
Insgesamt ist die Regie von Nicole Claudia Weber sehr brav. Man hat das Gefühl, Entertainment steht im Vordergrund. Da werden dann auch tragische Figuren wie die Prostituierte Frl. Kost oder die vor dem Nationalsozialismus resignierende Frau Schneider zu boulevardesken Stimmungskanonen.
Ein politisches Statement zu den (leider hochaktuellen) Vorgängen kommt zu kurz.
Positiv muss die Besetzung erwähnt werden. Markus Schneider gibt einen vielschichtigen und glaubhaften Clifford.
Michael Pegher ist ein stimmlich überzeugender Conferencier, könnte im Auftreten aber gerne noch etwas präsenter, aggressiver, diabolischer sein.
Dorothea Maria Müller ist vom Typ her eine perfekt besetzte Sally Bowles. Auch gesanglich und schauspielerisch schöpft sie alles aus, was diesen differenzierten Charakter auszeichnet.
Insgesamt erlebt man in Darmstadt einen unterhaltsamen, etwas weichgespülten und professionell inszenierten Theaterabend.
Wenn man allerdings die literarische Substanz von CABARET und die aktuelle politische Entwicklung in diesem Land berücksichtigt, ist das eigentlich zu wenig.

kevin (190 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
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| Handlung | Berlin kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. mehr Der unbekannte amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw reist in die deutsche Hauptstadt, um Inspiration für sein neues Werk zu finden. Im Kit-Kat-Club ist Cliff ist fasziniert von Sally Bowles, neben dem zwielichtigen Conferencier absoluter Star des Etablissements. Schnell wird aus Cliff und Sally ein Paar, Sally wird schwanger. Doch der erstarkende Nationalsozialismus macht sich bemerkbar. Auf der Verlobungsfeier seiner Pensionswirten Fräulein Schneider mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schultz wird Cliff mit den politischen Entwicklungen in Deutschland konfrontiert und überdenkt seine Zukunftspläne.
| Weitere Infos | Aufführungsrechte: Verlag Felix Bloch Erben
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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