 Drama
Chess Mehr als nur schwarz und weiß
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
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Schach, Rivalität, politische Ränkespiele und romantische Verwicklungen – Regisseur Thomas Winter verbindet die Zutaten zu einer emotional mitreißenden, wohldurchdachten Inszenierung mit starken Darstellern und choreografischen Highlights . Nur die Akustik spielt dabei nicht mit.
(Text: Claudia Leonhardt) Premiere: | | 10.10.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 22.11.2015 | Dernière: | | 20.05.2018 |
Seitdem die beiden ABBA-Frontmänner Benny Andersson and Björn Ulvaeus 1984 die erste "Chess"-Version veröffentlichten, wurde das Musicals vielfach überarbeitet. In Chemnitz orientiert sich Regisseur Thomas Winter inhaltlich und musikalisch in erster Linie an den frühen Fassungen des Konzeptalbums und der britischen Originalaufführung. Einige kurze Gesangsparts wurde dabei gestrichen und durch Dialogszenen ersetzt, was sich durchaus positiv auf den Handlungsfluss auswirkt.
"Chess"-Aufführungen haben nicht selten damit zu kämpfen, die durchweg moralisch ambivalenten Charaktere dem Publikum emotional nahezubringen. Die Story ist komplex und ohne offensichtlichen 'Helden'. Das fordert ein durchdachtes Regiekonzept und Fingerspitzengefühl bei der Charakterzeichnung – vor allem aber Darsteller, denen es gelingt, auch schwierigen Rollen sympathische Seiten abzugewinnen.
Das Chemnitzer Hauptdarsteller-Quartett entpuppt sich dabei in jeglicher Hinsicht als Glücksgriff. Als rivalisierende Schach-Machos stehen sich Patrick Stanke und Matthias Otte gegenüber – zwei Gegner, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der amerikanischen Champion Frederick Trumper polarisiert in Stankes Interpretation als Enfant Terrible mit Freude an Provokation: ein Mann mit Hang zur Selbstzerstörung, der seine verletzliche Seite hinter einer Fassade aus übersteigertem Selbstbewusstsein verbirgt. Stanke geht ganz in der Rolle auf und singt mit schmetternder, strahlender Tenor-Stimme. Im Vergleich zum schillernden, großspurigen Meister wirkt Herausforderer Anatoly Sergievsky zunächst recht solide und bieder, gewinnt aber dank Matthias Ottes differenziertem Spiel im Lauf des Stücks immer mehr an Dynamik und Kontur und wird im zweiten Akt zum tragischen Antihelden. Auch gesanglich steht er Stanke in nichts nach und überzeugt mit wunderbar warmer, angenehmer Stimme.
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
Als Florence Vassy ist Roberta Valentini eine Frau zwischen allen Stühlen: zwischen Freddie und Anatoly, zwischen Pflichtbewusstsein und Liebe, zwischen politischen Zwängen und sportlichem Ehrgeiz. Valentini gibt ihr die notwendige Verletzlichkeit, aber auch den Kampfgeist, um die Rolle greifbar zu machen. Darüberhinaus wartet sie mit gefühlvoller Interpretation ihrer Songs und spritziger Wiedergabe der Wortgefechte mit Freddie auf. Die vierte im Bunde – Stefanie Köhm als Anatolys in der Sowjetunion zurückgebliebene Frau Svetlana – stößt erst Mitte des zweiten Akts hinzu. Sie hat zwar weniger Gelegenheiten zu strahlen, nutzt diese aber auf den Punkt mit einer wunderbar einfühlsamen und glockenklaren Darbietung von "Im Leben einer Ander'n". Auch im Duett mit Valentini stellt sie unter Beweis, dass sie mit ihren Mitstreitern absolut auf Augenhöhe agieren kann.
Matthias Winter legt Molokov, den sowjetischen Stippenzieher, als schmierigen Bürokraten an, der die Charaktere auf der politischen Spielfläche wie Schachfiguren manövriert. Die Rolle leidet etwas darunter, dass in dieser Inszenierung (wie im Konzeptalbum) die Figur des Walter de Courcey als Molokovs amerikanischer Gegen- und Mitspieler nicht auftaucht. Dafür greift der Schiedsrichter (Mischa Mang) recht viel ins politische Hin- und Her ein. Stimmlich kann Mang mit seiner Rock-Röhre auftrumpfen. Die Interpretation des Schiedsrichters als zwielichtiger, langhaariger und schriller Ganz-und-Gar-Nicht-Unparteiischer ist jedoch ein wenig fragwürdig.
So charismatisch und brillant die Hauptrollen auch besetzt sind – einer der Höhepunkte des Abends sind zwei Instrumental-Szenen, bei denen sie stumm im Hintergrund bleiben. Während Freddie und Anatoly sich im ersten Akt am Schachbrett gegenübersitzen, stellen schwarz- und weiß-gekleidete Ballettsolisten im Vordergrund der Bühne symbolisch das Spiel nach. Das ist an sich kein vollkommen neuer Einfall – z.B. beim auf DVD gebannten 2008er Konzert in der Londoner Royal Albert Hall wurden die "Chess"-Instrumentalstücke ähnlich in Szene gesetzt. Aber selten wird dabei die Natur des Schachspiels treffender und gleichzeitig so bildschön dargestellt wie hier in der Choreografie von Danny Costello.
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
Die Umsetzung dieser Szene ist eine wahre Augenweide. Ansonsten ist die Optik der Inszenierung solide. Ulv Jakobsens Bühnenbild schwankt unentschlossen zwischen Abstraktion und Realismus. Einige der eher abstrakten Szenenbilder, in denen gekonnt mit Licht und Schatten gespielt und die schwarz-weiße Schach-Symbolik aufgegriffen wird, erzeugen Wow-Effekte. Dagegen wirken auf den Bühnenhintergrund projizierte Bergpanoramen, die das malerische Meran möglichst echt darstellen sollen, eher verkitscht und altbacken. Das Kostümdesign ist im Gegensatz zum Bühnenbild kohärenter und unterstreicht geschickt Charaktereigenschaften und Funktionen der Rollen.
Der Kalte Krieg ist in "Chess" nicht nur Hintergrundschauplatz, sondern macht auch einen zentralen Teil der Handlung aus. Anders als viele andere historische Musicals und Theaterstücke wäre ein krampfhafter Versuch, den Plot ins Hier und Jetzt zu verlegen, mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. Dennoch gelingt es Thomas Winter, aktuelle politische Bezüge zu schaffen, ohne in die Handlung einzugreifen. "Heute sind es die Russen, morgen die Japaner, übermorgen die Israelis und irgendwann sind es die Amerikaner", ist Florences warnender Kommentar, als Freddie die Sowjets als Weltbösewichte abstempelt. Auch das Ende des ersten Akts, in dem Anatoly politisches Asyl in Großbritannien beantragt und auf Unverständnis und Bürokratiewahnsinn trifft, könnte nicht aktueller sein. Vielleicht ist auch deshalb Anatolys leidenschaftliche Hymne auf falsch verstandene Vaterlandsliebe, Heimat und Fremde wohl der bewegendste Song des Stücks. Im Hintergrund tauchen schemenhaft die Silhouetten unzähliger Menschen auf und es wird deutlich: Anatolys Flucht ist kein Einzelschicksal.
Die deutschen Liedtexte sind äußerst gewöhnungsbedürftig. Die neue Übersetzung von Kevin Schroeder trifft nicht immer den richtigen Tonfall und bügelt inhaltliche Nuancen des englischen Originals schonungslos glatt.
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
© Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
Der wohl größte Kritikpunkt ist – wie so oft bei Musical-Aufführungen im Chemnitzer Opernhaus – die Akustik. Kurios: Tontechnische Herausforderungen wie etwa das Quartett im ersten Akt, bei dem Molokov, Florence, Anatoly und der Schiedsrichter mit- und gegeneinander singen, sind klar verständlich. Auch die Balance zwischen Gesang und dem von Tom Bitterlich souverän geführten Orchester stimmt. Doch viele der Chor-Parts oder Soli lassen die Gesangstexte nur entfernt erahnen – besonders auffällig und entsprechend ärgerlich bei "Tauch' ein in Bangkok". Einige der gesprochenen Zeilen verhallen ebenfalls im Saal. Bei einem Stück, in dem es von Wortgefechten und textlichen Spitzen nur so wimmelt, schlägt diese Problematik arg aufs Gemüt.
Letztendlich ist das, was Regisseur Thomas Winter und die Akteure auf die Bühne gebracht haben, jedoch zu ausgeklügelt, zu mitreißend und zu leidenschaftlich dargeboten, um an der kränkelnden Tontechnik zu scheitern.
(Text: Claudia Leonhardt)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken Frederick Trumper - Marc Lamberty / Chris Murray
Florence - Roberta Valentini / Stefanie Köhm / Annemieke van Dam
Svetlana - Stefanie Köhm / Yvonne Luithlen
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31116 Überraschend mitreisend...
04.06.2016 - Chess in Chemnitz
Spontan war ich heute ( 04.06.16) in der neu Inszenierten Musicalfassung von Thomas Winter.
Ich kannte das Stück bisher nur von CD und einem Youtube Mitschnitt. Damals fand ich die Umsetzung ehr schwach. Die Oper in Chemnitz ist über die Landesgrenzen bekannt für ihre gute 5 Sparten Unterhaltung. Auch bei CHESS von Benny Andersson und Time Rice ist dem Opernhaus ein guter Schachzug gelungen. Die Hautrollen mit Roberta Valentini, Patrik Stanke, Micha Mang und Matthias Mang sind gut besetzt. Auf der Bühne vereint sind auch der Chor und das Balett des Hauses. Mit den neuen Textübersetzung werden einige Handlungstrenge klarer und verständlicher. Musikalisch unter Tom Bitterlich wird das Stück wird großen Tragweite. Jedoch hat das Haus auch Schwächen. Textverständlichkeit des Chores trübt immer wieder die Inszenierung. Die Kostümauswahl ist auch gewöhnungsbedurftig. Besonders das Ballett zieht mit seinen ehr billig wirkenden Stoffen die Blicke auf sich. Blendet man dies aus, erwartet einen ein stimmungsvolles Stück mit spannenden Bühnenszenen und einer großartigen Cast. Zu Recht gab es Standing Ovations an diesem Tag. Gern mehr davon!.

DragonEF (16 Bewertungen, ∅ 4 Sterne)
    31000 Jeder geht allein seinen Weg ... oder besser nicht
25.01.2016 - Ein großer Schreck ist die Inszenierung in Chemnitz. Habe das Stück bereits in 2 anderen Inszenierungen gesehen. Auch Murray, Valentini und Köhm als Großartige Darsteller können den Abend nur bedingt retten.

Musical-Tourist (14 Bewertungen, ∅ 3 Sterne) 
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