 |
 Klassiker
Kiss me, Kate Big Band meets Musical
© Bernd Boehner
© Bernd Boehner
Passen Geschlechter-Klischees noch in unsere Zeit? Eigentlich nein, doch wir sehen Tag für Tag in den Medien, wie wenig gleichberechtigt Frau und Mann noch immer sind. Ein Musical mit der Kernaussage, dass die Frau dem Mann untertan sein muss, ist da sehr unpassend - oder?
(Text: Marcus Hoffmann) Premiere: | | 25.11.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 24.11.2015 | Letzte bekannte Aufführung: | | 11.03.2016 |
Die Konzertdirektion Landgraf verpflichtete Musical-Schwergewicht Hardy Rudolz als Regisseur für die Tourneeproduktion "Kiss me, Kate" Mit viel Witz und Ironie greift Rudolz die Klischees auf und führt sie ad absurdum.
Die Theaterbesucher beobachten Darsteller, die Schauspieler spielen, die "Der Widerspenstigen Zähmung" von Shakespeare proben und aufführen: Die schöne Bianca darf erst einen ihrer drei Verehrer - darunter Lucentio - heiraten, wenn ihre kratzbürstige Schwester Katharina unter der Haube ist. Edelmann Petruchio ist pleite und heiratet der Mitgift wegen Katharina – gegen deren Willen. Mit Schlaf- und Essenentzug macht er aus der Widerspenstigen eine gefügige Ehefrau. Die Schlussszene mit dem Abgesang von Katharina/Lilli ist symptomatisch:
"Beschämend ist's, dass Frau'n so töricht sind. Steigt von eurem hohen Ross herunter und legt eure Hand dem Fuß des Gatten unter."
Hat Shakespeare das wirklich so gemeint - oder eher ironisch? Rudolz stellt das in seiner Inszenierung klar: Katharina legt tatsächlich ihre Hand unter Peruchios Fuß. Doch die Hand steckt im Fäustling einer Ritterrüstung, der noch dazu mit einem Dorn ausgerüstet ist.
© Bernd Boehner
© Bernd Boehner
Die Turbulenzen auf der Bühne werden durch die Beziehungen der Schauspieler hinter der Bühne verschärft. Frauenheld Fred Graham/Petruchio hat ein Auge auf Lois Lane/Bianca geworfen. Diese ist eigentlich mit Bill Calhoun/Lucentio zusammen, doch beide nehmen es mit der Treue nicht so genau. Fred Grahams Ex Lilli Vanessi/Katharina ist von Fred so enttäuscht, dass sie ihn auf der Bühne ohrfeigt und mit Gegenständen bewirft. Er versohlt Lilli Vanessi/Katharina daraufhin vor dem Theaterpublikum den Hintern. Lilli will gedemütigt mitten in der Vorstellung das Theater verlassen.
Aufgrund einer Verwechslung wollen zwei Gangster Spielschulden von Fred Grahameintreiben. Dieser benutzt die Gangster jedoch, um Lilli daran zu hindern, die Vorstellung zu verlassen. Lilli und Fred erkennen schließlich, dass sie sich noch immer lieben, und versöhnen sich.
Die Perspektive der Zuschauer ändert sich ständig: einmal als Zuschauer von "Der Widerspenstigen Zähmung" auf und einmal als Beobachter von "Kiss me, Kate" hinter der Bühne. Eva Humburg setzt das pfiffig in ihrem Bühnenbild um: Zwei große Bühnenwagen bilden die Hauptbühne. Die Wagen können beidseitig bespielt werden: einmal als Kulisse von "Der Widerspenstigen Zähmung" und um 180 Grad gedreht als Rückseite der Bühne.
Humburgs Bühne ist ein Zugeständnis an die beengten Platzverhältnisse der meist kleineren Tourneetheater. Sie hat viele platzsparende Ideen witzig umgesetzt: Die Ausstattungen von Lillis und Freds Garderobe finden in Kisten Platz, die geschickt in das Bühnenbild integriert sind. Der Umbau zwischen den Szenen wird durch die Darsteller selbst vorgenommen, die dabei mit Kulissen und Requisiten spielen. Untermalt vom Orchester wird jeder Umbau zu einem auflockernden Happening. Die Inszenierung sprüht vor Witz und zweideutigem Humor. Das Publikum muss oft herzlich lachen, etwa bei der Textpassage des cleveren Zweiten Ganoven - wundervoll persifliert von Guido Kleinadam: "Schweigen ist Reden und Silber ist Gold".
Beatrix Reiterer spielt Lilli/Katharina überspannt und doch sehr verletzlich. Ihre klassischer Sopran passt gut zu der Diva Lilli Vanessi. Ihre Stimme ist vielseitig: kraftvoll arrogant, zart emotional, rauchig verrucht in der tiefen Lage. Guido Weber als Fred Graham/Petruchio ist mit sonorem Bariton ein gleichwertiger Partner. Beziehungsscharmützel spielen beide ebenso glaubhaft wie romantische Szenen.
© Bernd Boehner
© Bernd Boehner
Sängerin und Tänzerin Sophie Blümel legt Lois Lane/Bianca naiv lasziv an. Mit hellem reinen Sopran singt sie sehr nuancenreich. Die Kraft ihrer Stimme in der Höhe ist begrenzt, was manchmal zulasten der Intonation der hohen Töne geht. Im zweiten Akt überschlägt sich ihre Stimme. Blümel spricht manchmal sehr schnell und ist dann kaum zu verstehen. Das dürfte dem Premierenfieber geschuldet sein, denn ihre gute Gesamtperformance lässt die Schwächen schnell vergessen.
Rudolz spielt mit dem Rollenbild der Geschlechter auch bei der Besetzung. Lillis Garderobiere gibt Nils Schwarzenberg - ein Mann! Schwarzenberg spielt seine Rolle manchmal weiblich, manchmal tuntig. Der Wechsel belebt die Nebenrolle. Ihr/sein Höhepunkt: "Wenn ihr mich nur ließt" – zur großen Travestie-Revue-Nummer ausgebaut, bei der Schwarzenberg mit seinem volltönenden Bariton brilliert.
Reinhard Brussmann spielt gleich drei Sprechrollen. Die verschiedenen Charaktere arbeitet Brussmann sehr gut heraus. Einzig Baptista Pinola wirkt mit Fistelstimme etwas überzeichnet. Schade, dass Brussmanns mächtiger Tenor nicht zum Einsatz kommt.
Sowohl die historischen als auch die alltäglichen Kostüme von Claudia Kuhr sind aufwendig und fantasievoll. Auch in den Kleidern findet sich eine witzige Überzeichnung der Klischees: Die weiblichen Chorsängerinnen ähneln lebensgroßen Barbiepuppen mit zerzaustem Haar.
Ein echtes Highlight sind die für eine Tourneeproduktion ungewöhnlich spektakulären Tanzszenen. Marie-Christin Zeisset - selbst Stepptänzerin - verwebt für ihre phantasievolle Choreografie modernes Tanztheater und klassische Elemente. Viel Witz ist fein eingesponnen in die Tanzfiguren. "Es ist viel zu heiß" baut sie nach und nach zu einer klassischen Revue-Nummer auf. Chor und Hauptdarsteller setzen die Schritte mit überschäumender Energie, waghalsigen Sprüngen und sinnlichen Moves um. Der Höhepunkt ist ein energiegeladener a cappella Stepptanz mit komplexen rhythmischen Strukturen. Die Perkussion der Füße, das wilde Tempo und die atemberaubenden Pirouetten faszinieren und reißen das Publikum mit. Jan Reimitz als Erster Ganove baut in "Schlag nach bei Shakespeare" rasante, leichtfüßige Stepptanzsequenzen ein. Das ist tänzerisch ebenso gekonnt wie darstellerisch.
Heiko Lippmann hat sein Talent als Dirigent und Musical Direktor bei vielen großen Musicalproduktionen bewiesen. Die 16-köpfige bärenstarke Big Band des bulgarischen nationalen Rundfunks führt er mit leichter Hand. Sie swingen und jazzen - so und nicht anders muss "Kiss me, Kate" klingen! Die Streicher kommen aus den Stage Pianos, weil sie nur untermalen und im Orchestergraben ohnehin keinen Platz gehabt hätten. Der vierköpfige Saxofonsatz und die vier Blechbläser begeistern mit enormer Dynamik: ausgedehnte Crescendos, Decrescendos, knackige Fortepianos. Die komplexe Rhythmik sitzt, auch wenn manche Tempi etwas zu flott sind. In der Interpretation steckt viel Witz: jammernde Klarinetten, vorlaute Posaune, rotzfreche Trompete, streichelnde Jazzbesen, harte Toms, schmelzende Saxofone, akustische Effekte. Cole Porter selbst hätte seine eigene Musik mit 16 Musikern nicht besser umsetzen können.
© Bernd Boehner
© Bernd Boehner
Rudolz hat mit seiner Inszenierung von "Kiss me, Kate" ein Gesamtkunstwerk geschaffen. Alle Elemente fügen sich harmonisch zusammen. Viele neue Ideen frischen das etwas angestaubte Musical auf. Die Aufführung macht von Anfang bis Ende richtig Spaß. Die Besetzung ist hoch motiviert. Der eigentliche Star ist jedoch die Big Band, die das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt.
(Text: Marcus Hoffmann) 
Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    31032 Wunderbar
26.02.2016 - Ich liebe dieses Stück! Es ist wahrlich ein Geniestreich von Hardy Rudolz.
Beatrix Reiterer und Guido Weber brillieren in ihren Rollen als Lilly/ Katharina, Petruccio/Fred. Es ist beeindruckend.
Alle Darsteller scheinen total auf einander abgestimmt zu sein. Nils Schwarzenberg als Hattie ebenfalls wunderbar.

Marie2303 (erste Bewertung) 
Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |