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 Grusical
Das Phantom der Oper (Sasson/Sautter) Christine, dich wollte ich lieben
© Marco Mueller
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Gaston Leroux' bekannter Roman wird zum wiederholten Mal vermusicalt – hier unter der künstlerischen Gesamtleitung von Deborah Sasson (auch Musik) und Jochen Sautter (auch Buch, Liedtexte, Regie und Choreografie). Die beiden verkörpern zusätzlich die Hauptpartien von Christine Daaé und Raoul Comte de Chagny, wobei vor allem Sasson als Christine eine eher fragwürdige Besetzung ist. Immerhin punktet die Aufführung mit einem vierzehnköpfigen Orchester und einer sehenswerten Ausstattung.
(Text: Kai Wulfes) Rezensierte Vorstellung: | | 25.01.2019 | Showlänge: | | 150 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Hat Erik, das Phantom der Oper, aus Versehen die Falsche erwischt? Sein giftgrüner Trank geht auf die Stimme: Das erlebt das Musical-Publikum kurz vor der Pause bei einem Auftritt der vom Phantom ungeliebten Diva La Carlotta als Solistin in der Oper "Faust".
Doch an diesem Abend kann auch "O mio babbino caro" wenig begeistern – allerdings steht hier Christine Daaé, Eriks erklärter Liebling und Protegé, auf der Bühne. Deborah Sasson bleibt nicht nur bei der anspruchsvollen Arie aus Puccinis "Gianni Schicci" hinter den Erwartungen zurück, die Werbung und Programmheft schüren, wenn sie Sasson vollmundig als "Weltstar" ankündigen. Immerhin lässt sie mit einer Zugabe – der Mezzo-"Habanera" aus "Carmen" – ihr stimmliches Potenzial aufblitzen. Fragwürdig bleibt aber auch, ob es typgerecht und dem Stück gedient ist, eine 59-jährige, gestandene Frau als jugendliches, "naives Chormädchen" Christine Daaé zu besetzen.
© Marco Mueller
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Mit Uwe Kröger hat sich die Produktion in der Saison 2018/19 einen weiteren prominenten Darsteller ins Boot geholt. Allerdings schippert er nicht in der ihm vertrauten Rolle als Phantom in einer Barke durch die Katakomben der Pariser Oper. Stattdessen darf Kröger als mystisch angelegter Perser Nadir Khan, ein ehemaliger Vertrauter von Erik, im Glitzer-Outfit über die Bühne schreiten. In dieser Episodenrolle sind ihm nur wenige Auftritte und zwei Songs vergönnt. Hierfür ist Kröger im Bariton-Fach angekommen, wobei er sich mit hohler Stimme durch die tiefen Lagen kämpft. Im Duett "Voller Mut, voller Hoffnung" fällt Kröger gegenüber Jochen Sautters schlankem, pointiert eingesetztem Bariton ab. Als recht schmachtend und schwächlich angelegter Christine-Verehrer Raoul macht Sautter eine gute Figur und bewältigt auch seine Gesangsaufgaben – trotz einer dünnen Höhe – rollendeckend. Feurige Liebhaber sehen allerdings anders aus.
© 3For1 Trinity Concerts
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Auf den Punkt besetzt ist Axel Olzinger als Phantom. Er zeichnet den Erik als zerrissene Person zwischen Gier nach Liebe und Hass auf seine Mitmenschen, durch die er zum düsteren, verzweifelten Außenseiter geworden ist. Olzinger moduliert jedoch kein Monster, sondern entdeckt zum Finale hin in seinem tiefsten Inneren so etwas wie ein Herz. So entlässt er Christine, Raoul und den Perser aus der Gefangenschaft und überlegt, seinem Dasein durch einen gezielten Schuss ein Ende zu setzen. Olzinger ist in dieser Partie nicht nur ein toller Darsteller, auch gesanglich ist er mit starkem Tenor ein guter Solist und Gesangspartner. Gesanglich aufhorchen lassen ebenfalls Ann Jennings als überdrehter Gesangsstar La Carlotta und Marcin Drzazdzynski als Tenor im "Libiamo"-Finale. Für viele Lacher sorgt das Direktoren-Duo Sebastian Ciminski-Knille als tuntiger Moncharmin und Michael Fernbach als geschäftstüchtiger Richard. Beiden sind mit "20.000 Francs" und "Auf geht’s" die fröhlichen Songs der Partitur vergönnt.
Alle Kompositionen, die nicht aus dem bereits erwähnten Opern-Repertoire stammen, stammen aus der Feder von Deborah Sasson. Eigenartigerweise laut Programmheft auch "Das Leben ist ein Maskenball", obwohl es sich hierbei eindeutig um die mit den Texten von Jochen Sautter verhunzte "Trisch-Tratsch-Polka" (Johann Strauss Sohn) handelt. Sassons Kompositionen sind sehr gefällig und orientieren sich wie im Fall von "Unfug" oder der zackig-abfallenden Tonfolgen als schauerliches Phantom-Motiv an Vorbildern von Wildhorn oder Lloyd Webber. Unterm Strich ist ihre Partitur gute Gebrauchsmusik, die vom Orchester unter der Leitung von Sebastian Peter Zippel munter interpretiert wird. Dabei ist hervorzuheben, dass die 14 Musiker dieser Aufführung in Zeiten von abgespeckten Rumpfklangkörpern im Graben von stationären Großproduktionen ein Pfund sind, mit der sie wuchern kann.
Auch diese Version von "Das Phantom der Oper" beweist abermals, dass Gaston Leroux' Roman eine gute Vorlage für ein Musical-Buch ist und bleibt. Jochen Sautter hat es geschickt und dramaturgisch nachvollziehbar für die Bühne adaptiert. Allerdings werden wesentliche Handlungsstränge entweder nur erzählt (Tod des Bühnenmeisters Buquet) oder wie nebenbei abgehandelt (Sturz des Kronleuchters). Im Vergleich zu anderen Phantom-Libretti betont Sautters Buch etwas mehr die Brutalität des Phantoms und die Suche des gesamten Opernhaus-Personals nach der in die Katakomben verschleppten Christine. Zum Fürchten sind allerdings seine Reime in den Liedtexten vom Kaliber "Langsam wird uns bang - wir suchen den Ausgang".
© Marco Mueller
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Dafür dem Auge mit einer sehenswerten Ausstattung einiges geboten. Das Zusammenspiel zwischen einem prächtig-opulenten Kostümbild, wenigen sehr wertig wirkenden Kulissen und Versatzstücken (Michael Scott) sowie den rasanten Videoanimationen quer durch alle Etagen des Opernhauses (Daniel Stryjecki) verleiht Jochen Sautters routinierter Regie nicht nur schnelle Szenenwechsel, es wird hier auch mehr technische Perfektion geboten als bei so manch anderem Mann mit der weißen Maske auf Tour.
Bereits seit über zehn Jahren ist das Sasson-/Sautter-Phantom in immer wieder modifizierten Fassungen im deutschsprachigen Raum unterwegs. Vielleicht sollten die Verantwortlichen für eine Neuauflage in der kommenden Saison überlegen, Hauptpartien wie die der Christine Daée endlich einmal neu zu besetzen. Denn auch wenn die Werbung keinen direkten Bezug zum gleichnamigen Musical-Welterfolg hergestellt, sitzen in den Vorstellungen auch aufgrund groß angekündigter Darstellernamen immer wieder Zuschauer, die irrtümlicherweise genau die Fassung erwarten, die seit Mitte der 1980er Jahre am West End und Broadway gezeigt wird. Für sie und alle anderen Besucher, die sich ganz bewusst für diese andere Version entschieden haben, sollten zumindest die Hauptpartien adäquat besetzt sein.
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken ** 2019/20 **
Phantom - Uwe Kröger (Guido Weber)
Christine Daaé - Deborah Sasson (Nicole Ciroth)
Raoul Comte de Chagny - Jochen Sautter (Maximilian Arland)
Der Perser Nadir Khan - Guido Weber (Markus Schiefer)
La Carlotta - Ann Jennings
Operndirektor Moncharmin - Sebastian Ciminski-Knille
Operndirektor Richard - Michael Fernbach
Madame Sorelli - Kimberly Trees (Nadja Görts)
Kommissar, Ensemble - Markus Schiefer
Polizist, Tenor - N. N.
Ballettmädchen - Teresa Jentsch, Madlen Holzschuh, Hannah de Langen, Giulia di Romualdo, Sarah Evertz
Ensemble - Nadja Görts, Sina Schreiber
** 2018/19 **
Phantom - Axel Olzinger
Christine Daaé - Deborah Sasson (Nicole Ciroth)
Raoul Comte de Chagny - Jochen Sautter (Lutz Thase)
Der Perser Nadir Khan - Uwe Kröger (Benoit Pitre)
La Carlotta - Ann Jennings (Kimberly Trees)
Operndirektor Moncharmin - Sebastian Ciminski-Knille
Operndirektor Richard - Michael Fernbach
Madame Sorelli - Kimberly Trees (Sina Löw)
Kommissar, Ensemble - Tadeusz Kopec
Polizist, Tenor - Marcin Drzazdzynski
Ballettmädchen - Theresa Wolf, Sina Löw, Sarah Evertz
Ensemble - Sina Schreiber, Nadja Görtz, Maik Eckhardt
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
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Karten können über den jeweiligen Veranstaltungsort bezogen werden (siehe Liste rechts) |
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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