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 Klassiker
Anything Goes Der Tanz auf dem Vulkan
© Oliver Berg
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Eine Kreuzfahrt, die ist lustig, eine Kreuzfahrt, die ist schön… So oder so ähnlich scheint das Regie-Team von "Anything Goes" am Theater Münster gedacht zu haben. Hier wird der Musical-Klassiker von Cole Porter als pures Unterhaltungspaket inszeniert und dabei Porters ironisches Spiel mit gesellschaftlichen Klischees auf seinen komödiantischen Wert herunterreduziert.
(Text: Lisa Toszkowski) Premiere: | | 28.02.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 28.02.2015 | Letzte bekannte Aufführung: | | 31.12.2015 |
Ein verklemmter Adeliger mit Schirm, Charme und Melone, ein flüchtiger Sträfling, der sich als Geistlicher tarnt, und ein Kapitän, der verzweifelt nach prominenten Passagieren sucht: Auf diesem Schiff ist nichts normal und vor allem nichts unmöglich. Hier werden finanziell ruinierte Börsianer über Nacht zu Millionären, Verbrecher zu Stars und Spießer zu Lebemännern."Anything Goes" ist nicht nur das (Über-)Lebensmotto dieser verrückten Reisegesellschaft, die da auf dem Luxusdampfer MS America von Amerika nach England tingelt, sondern auch gleich die Maxime eines gesamten Jahrhunderts.
Cole Porters Comedy-Musical traf bei seiner New Yorker Premiere 1934 genau den Nerv der Zeit und bot dem nach langen Entbehrungen angestauten Lebenshunger der amerikanischen Gesellschaft buchstäblich eine Bühne. Porter entwarf die Kreuzfahrt als alternatives Gegenbild zum tristen Alltag und die MS America als Rummelplatz für Glückssucher und verlorene Seelen.
Diesem Grundgedanken bleibt Regisseur Ulrich Peters, Intendant am Theater Münster, weitgehend treu; er holt "Anything Goes" aus der Vergangenheit zu uns auf die Bühne – ein gewagtes Unterfangen, bedenkt man doch das stolze Alter des Musicals. Leider verliert er dabei Porters wunderbar gesalzenen parodistischen Hiebe und sarkastischen Pointen in Richtung zahlreicher zeittypischer Phänomene aus den Augen. Der Zynismus brodelt unbemerkt unter der Oberfläche – das wollte man dem Münsteraner Publikum dann wohl doch nicht zumuten. Stattdessen setzt diese Inszenierung auf reines Amüsement.
Doch Peters Konzept funktioniert trotzdem weitestgehend: Der Wortwitz, der schnelle dialogische Schlagabtausch zünden noch immer, das Publikum wird zu Lachstürmen hingerissen und spendet bereits während der ersten Halbzeit freimütig Szenenapplaus. Musikalisch hat Porters Überraschungserfolg sowieso keinen Staub angesetzt. Gesungen wird auf Deutsch mit einigen wenigen eingeworfenen englischen Zeilen, die allerdings auch bitter nötig sind, um Uptempo-Revuenummern wie "Anything Goes" nicht ihrer ursprünglichen Dynamik zu berauben. Doch ob Englisch oder Deutsch: Die leicht melancholischen Melodien gepaart mit Foxtrott-und Quickstep-Rythmen bleiben unsterblich und machen diese Schifffahrt zum elektrisierenden Balanceakt zwischen Rausch und Romantik, zwischen Übermut und Wehmut – heute wie vor über 80 Jahren.
© Oliver Berg
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Bernd Franke hat hierzu ein Bühnenbild entworfen, das als originelle Nachbildung eines Oberdecks auf den ersten Blick etwas starr daherkommt, sich jedoch im Laufe des Abends als angenehmes Manifest bewährt, in welchem die arg schillernden Charaktere (Kostüme: Götz Lanzelot Fischer) in ihrer ameisenähnlichen Rastlosigkeit umherwuseln.
Unangefochtenes Sternchen auf dem Schiffsparkett ist die grandiose Marysol Ximenéz-Carillo, die als sinnlich-sündige Nachtclubsängerin Reno Sweeney nicht nur bei den flotten Choreografien von Stefan Hauke eine gute Figur abgibt, sondern vor allem ihre gesangliche Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Mit ihrer Mezzosopran-Stimme bleibt sie im Duett wie im Solo virtuos-verführerisch und schafft während der berühmten "Erweckungsshow", bei welcher die zelebrierte Vergnügungssucht ihren ekstatischen Höhepunkt erreicht, mit "Blow, Gabriel, Blow" das erste umjubelte Highlight des Abends.
Stimmlich etwas farbärmer, dafür darstellerisch auf ganzer Linie überzeugend, agiert Christoph Rinke als zugeknöpfter und mit der amerikanischen Umgangssprache kämpfender Lord Evelyn Oakleigh, der so manche komödiantische Einlage des Abends mühelos stemmt. Bei "The Gypsy in Me" kommt er jedoch mit seinem eher dünnen Timbre ins Schleudern. Sehr schön funktioniert dagegen wieder das Zusammenspiel mit Co-Aktrice Corinna Ellwanger alias der unglücklich mit Oakleigh verlobten Hope Harcourt. Ellwangers schmachtender Sopran macht aus ihrer Hope ein blütenzartes Wesen, das ständig zwischen Pflicht und Leidenschaft hin- und hergeweht wird. Ihrer verarmten Mutter (stimmlich herausragend: Suzanne McLeod) zuliebe soll sie sich in Bälde mit dem reichen englischen Lord vermählen; ihr Herz gehört jedoch dem mittellosen Billy Crocker (Nathanael Schaer), der als blinder Passagier an Bord gekommen ist.
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Dank einiger Verwicklungen und der Mithilfe des gesuchten Gangsters Moonface Martin (Aurel Bereuter) und seiner kriminellen Gefährtin (wunderbar penetrant: Katharina Schutza) kommt dann aber doch alles anders: Hope bekommt ihren Billy, ihre Mutter verliebt sich in einen Millionär und die verführerische Reno ehelicht den mittlerweile "erweckten" Lord Oakleigh. Und sogar der verloren geglaubte Schoßhund Benjamin Franklin taucht am Schluss wieder auf.
Alles ist möglich, zumindest an Bord dieser kleinen schwimmenden Welt und "Anything Goes" nicht umsonst ein zeitloser Klassiker: Der Hedonismus, das Greifen nach den Sternen ist noch immer oder eben gerade in unserer heutigen Gesellschaft allgegenwärtig.
(Text: Lisa Toszkowski)

Kreativteam
Besetzung

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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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