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 Komische Operette
Candide Die beste aller möglichen Welten ist vor allem bunt
© Paul Leclaire
© Paul Leclaire
Wer sich „Candide“ ansieht, kann sehr überrascht werden, aber nicht immer positiv. Der Musical-Gänger, der „West Side Story“ kennt, kann womöglich mit dem klassischen Gesang nichts anfangen, wer Operettenseligkeit erwartet, wird von der bissigen, polemischen Satire auf Obrigkeit, Militär, Adel und Kirche vor den Kopf gestoßen. Das Wiesbadener Publikum lässt sich davon nicht abschrecken und bejubelt die Aufführung – allerdings mit kleinen Abstrichen, doch dazu später.
(Text: Ingo Göllner) Premiere: | | 31.10.2014 | Rezensierte Vorstellung: | | 31.10.2014 | Letzte bekannte Aufführung: | | 12.12.2014 |
Wolfgang Vater führt als Erzähler in verschiedenen Rollen mit sonorer Sprechstimme durch die Geschichte des überaus optimistischen, aber doch sehr naiven Candide. Dieser glaubt fest daran, in der besten aller möglichen Welten zu leben, muss bei seiner unfreiwilligen Odyssee aber feststellen, dass dieser Optimismus eine Utopie ist und die Welt von Ungerechtigkeiten und Elend beherrscht wird. Aaron Cawley spielt ihn überaus sympathisch, mit leichter Stimme, die er erst am Ende – allerdings etwas forciert – strahlen lassen kann. Gloria Rehm als seine große Liebe Kunigunde überzeugt darstellerisch, aber vor allem natürlich mit „Mich umglitzert Gold / Glitter and be gay“, wo die Koloraturen nur so perlen.
Romina Boscolo als „Alte Lady“ die mit „Ich hab' mich allen einfach angeglichen / I am easily assimilated“ glänzt, Victoria Lambourn als Dienerin Paquette mit zweifelhafter Moral und ebensolchem Ruf sowie Benjamin Russell als Kunigundes Bruder Maximilan vervollständigen die starke Besetzung. Besonders erwähnen muss man aber William Saetre, Benedikt Nawrath und Nathaniel Webster, die extrem wandlungsfähig quasi im Fünf-Minuten-Takt Rolle und Kostüm wechseln. Und auch ein Ballett-Ensemble kann sehr komisch sein. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen als goldene Schafe in Eldorado so herrlich dämliche Gesichtsausdrücke, dass sie den Sängern sogar die Schau stehlen.
Albert Horne dirigiert engagiert, präzise und mit viel Leichtigkeit das Hessische Staatsorchester und darf sich schon für die rhythmisch verzwickte Ouvertüre verdiente Bravos abholen. Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben kann er aber nicht verhindern.
Bis auf diese Wackler im ersten Teil, ist die musikalische Seite hervorragend, aber die Ausstattung ist schlicht und einfach der Hammer! Das Bühnenbild zeigt ein Theater auf dem Theater, die Umrandung des Bühnenbilds entspricht der schnörkeligen Umrandung der Bühne, wenn auch etwas angeschmuddelt und nach dem Erdbeben von Lissabon dann auch reichlich ramponiert. Die Bilder auf der „Bühnen-Bühne“ wechseln schnell. Es ist einfach erstaunlich, wie viele großformatige Bühnenteile rein und raus gefahren werden. Das gibt tolle Bilder: ob Puppentheater-Westfalia, plüschiges Pariser Bordell, riesige spanische Fächer, Kolonialvilla in Buenos Aires, comichafte, glitzernde Palmen in Eldorado oder liegende, zu einem Roulette angeordnete Tänzer, was sich dem Zuschauer durch einen riesigen hängenden Spiegel erschließt – wenn der Vorhang der „Bühne auf der Bühne“ sich öffnet, ist man gespannt, was einen diesmal erwartet.
Bernd Möttl inszeniert temporeich kleine Details und große Gesten, kann sich aber ein paar Geschmacklosigkeiten nicht verkneifen. Bringen die Scherze auf sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche sogar noch ein paar Lacher, gibt es Buhs für die Steinigung einer Muslimin in der Eldorado-Szene. Um zu zeigen, dass auch dieses Land nicht die beste aller möglichen Welten ist, hätte es nicht einer so drastischen Szene bedurft. Überhaupt ist es seltsam, dass Eldorado, eigentlich in Südamerika gelegen, von einem Scheich regiert wird. So verspielt sich die Regie mit diesen Ausrutschern den fünften Stern, denn ansonsten ist die Inszenierung eigentlich perfekt. Dass der zweite Akt deutlich düsterer und schwerer ist als der erste, ist auch der Vorlage geschuldet. Beim Schlussapplaus muss das Kreativ-Team dann auch, wie bei Opernpremieren üblich, ein paar Buhs einstecken, doch werden die Buh-Rufer von der Bravo-Front übertönt.
„Candide“ bleibt trotz der großartigen Musik wegen der holprigen Geschichte und den hohen Anforderungen an Sänger und Orchester ein schwieriges Werk. Das kann auch eine so gelungene Aufführung wie diese nicht ändern.
(Text: Ingo Göllner)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    30609 Die beste aller Welten?
02.12.2014 - Leonard Bernsteins CANDIDE ist in einer prächtigen und opulenten Inszenierung im Hessischen Staatstheater Wiesbaden zu sehen.
Die Verpackung (Bühne und Kostüme von Friedrich Eggert) ist verschwenderisch und verführerisch. Die erstklassigen Darsteller werden unterstützt von einem großen Ensemble, Ballett und stimmgewaltigem Opernchor. Die ohnehin schon riesige Bühne des Theatersm ist mit prallem Leben erfüllt. Desgleichen im Orchestergraben. Das große Hessische Staatsorchester sorgt für ein außerordentlich beeindruckendes Klangerlebnis, dass Bernsteins vielseitige und nur schwer einzuordnende Partitur grandios wiedergibt.
All diese "vordergründigen" Schauwerte werden aber noch durch die brillant geniale Inszenierung von Bernd Mottl geadelt. Sehr gekonnt beginnt der Handlungsverlauf im historisch verankerten Zeitrahmen, schlägt nahezu unmerklich einen Bogen, bevor er im Hier und Jetzt endet.
Bravourös wird die Zeitlosigkeit des Stoffes und seiner Bedeutung vor Augen geführt.
Messerscharf, ironisch und bitter, aber auch überdreht, komisch und anrührend wird die lange Reise und der Bewussteinswandel des Titelhelden vorgeführt.
Regisseur Bernd Mottl lässt sich dafür in der optischen Umsetzung einiges einfallen. Schreckt auch nicht vor Nacktheit, kopulierenden Schafen und der Steinigung einer Muslima zurück. Und warum auch? Im Jahre 2014 kann und muss man einem erwachsenen Publikum Inhalte und Bedeutungen plakativ darstellen, wenn eine opernartige Struktur von Musik und Text dies ansonsten erschweren würde.
Insgesamt bleiben Kritik und Provokation aber immer ausgewogen. So bekommen z.B. die Weltreligionen gleichermaßen ihr Fett weg.
Am Ende des Stückes ist die Katharsis des Titelhelden CANDIDE ernüchternd aber nicht aussichtslos.
Sicher ist dies nicht die beste aller Welten, womöglich aber die beste aller CANDIDE-Inszenierungen.

kevin (199 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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