 |
 Flower-Power-Musical
Hair Let the sunshine in
© Sandra Then
© Sandra Then
Lange Haare neben Seitenscheitel, Schlaghosen neben Petticoat und Bügelfalte – die Darmstädter Inszenierung des Sixties-Klassikers "Hair" will ein komplettes Bild der amerikanischen Gesellschaft der 1960er-Jahre zeichnen und bietet gute Einfälle, verliert dabei allerdings die Figuren aus den Augen. Auch das Feeling bleibt auf der Strecke.
(Text: Dominic Konrad) Premiere: | | 29.11.2014 | Rezensierte Vorstellung: | | 14.12.2014 | Letzte bekannte Aufführung: | | 03.07.2015 |
Eine angespannte Stimmung erwartet den Zuschauer schon beim Eintritt in den Theatersaal. Auf der Bühne stehen junge Menschen in 60er-Jahre-Minikleidchen, Pullundern und College-Jacken. Gebannt blicken sie auf die sich drehende Tombola, wo die Geburtstage derjenigen gezogen werden, die sich für den Kriegsdienst melden müssen. Auch die Zuschauer, deren Geburtstage gezogen werden, müssen sich ihren Stempel abholen. Es ist ein starker Einstieg, der in seiner bieder-braven Bedrohlichkeit einen völlig neuen Zugang bietet, wenn das schleppend-scheppernde Intro von "Aquarius" erschallt.
© Sandra Then
© Sandra Then
Bevor Blumenkinder, Kommunen und Happenings auf die Bühne kommen, zeigt Regisseur Sam Brown das Spießbürgertum, aus dem sich die Hippiebewegung erheben musste. Wenn George Berger (Rupert Markthaler) mit Wickelrock und hochhackigen Pumps statt Schlaghosen auf die Bühne kommt, ist er eine Figur, die für unsere heutigen Sehgewohnheiten ähnlich bizarr anmutet wie die Hippies für ihre angepassten Zeitgenossen. Gleich in der zweiten Nummer "Donna" darf er eine Südstaaten-Dinnerparty sprengen. Debütantinnen reißen sich unter seinem Einfluss die Kleider vom Leib, erhalten mit einer LSD-Tablette die höheren Weihen der Bewusstseinserweiterung und schlüpfen in Fransenjacken, Schlagjeans und geblümte Sommerkleider. Der Tribe entsteht aus der Jugend des Bürgertums. Sam Brown verortet "Hair" in der Mitte der Gesellschaft der Vereinigten Staaten der 1960er und fasst damit den Rahmen bedeutend weiter als die Vielzahl der anderen Produktionen. Wenn die Hippies die Prinzipien ihrer Philosophie darlegen – etwa in "Hair" oder "I Got Life" – inszeniert Brown sie in einer biederen Fernsehshow. Ansonsten spielt das Stück in der Kulisse (Ausstattung: Annemarie Woods) eines sich drehenden, teilbaren Doppelhauses, das wahlweise als besetzter Wohnblock, heimeliges Wohnidyll der Familie Bukowski oder als Schlafraum der Tribe-Kommune, genutzt wird.
© Sandra Then
© Sandra Then
Die Fragen, die Brown aufwirft, sind legitim und spannend. Denn nur zu oft wird "Hair" auf das hedonistische Lebensgefühl der Jugendbewegung reduziert. Das soziale Umfeld, das die Verfasser Rado und Ragni etwa mit Claudes Eltern, Polizisten oder der Upperclass thematisieren, arbeitet der Regisseur deutlich raus. Doch leider bleibt damit dann doch ein wichtiger Aspekt des Stückes auf der Strecke: die Identifikation mit den Protagonisten. Die essentiellen Ideen dieser Epoche – freie Liebe, Umweltbewusstsein, Emanzipation, die Auseinandersetzung mit Rassismus und Pazifismus – tauchen zwar in den Liedtexten auf, sind aber in Browns Inszenierung nicht wirklich erlebbar.
© Sandra Then
© Sandra Then
Rupert Markthaler spielt einen unglaublich charismatischen George Berger, dem man den Ver- und Anführer durchweg abnimmt. Gesanglich würde man sich zwar noch ein bisschen mehr Raffinesse wünschen, aber seine gesamte Leistung ist wirklich großartig. Julian Culemann als Claude Bukowski hat es nicht einfach, neben ihm zu bestehen. Zwar ist Culemanns Leistung durchweg solide, schafft es aber auch nicht, einen vom Hocker zu reißen. Während Nedime Ince [Nedime Ostheimer] als Sheila eine gesanglich absolut glaubwürdige, gefühlvolle Darbietung liefert, wird aus ihrem Spiel nicht klar, worauf ihre Figur hinauswill. Sheila wird dadurch zu einer etwas langweiligen Blaupause für den frühen politischen Feminismus.
© Sandra Then
© Sandra Then
Die schauspielerisch und gesanglich überzeugendsten Leistungen des Abends bieten Lisa Huk als schwangere Jeannie und Martina Lechner als verträumte Crissy. Huk erinnert mit ihrer rauchigen Stimme und ihrem tantrischen Spiel an eine frühe Nina Hagen, Lechner sorgt mit ihrem schlichten, aber unheimlich gefühlvollen und perfekt intonierten "Frank Mills" gegen Ende des ersten Akts für den ersten wirklichen Szenenapplaus des Abends.
Erst beim finalen "Let the Sunshine In" scheint es, als habe das Ensemble in Darmstadt seine Mitte gefunden. Wenn Berger und Sheila die Flagge für den in Vietnam gefallenen Claude entgegennehmen, dann herrscht letztlich die emotionale Spannung auf der Bühne, die man den ganzen Abend vermisst hat. Denn bei allen gesellschaftspolitischen Querverweisen und sozialen Studien – dass "Hair" bis heute seine Zuschauer in den Bann zieht, liegt nicht zuletzt daran, dass seine Figuren in ihrem Idealismus real und leidenschaftlich erscheinen. Ohne diese Leidenschaft bleibt Browns Inszenierung leider auf dem emotionalen Level eines Geschichte-LK-Quellentexts.
(Text: Dominic Konrad)

Kreativteam
Besetzung

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
| Handlung | Eine Gruppe langhaariger junger Hippies rund um die Protagonisten Berger, Sheila, Claude, Hud, Woof und Jeanie rebelliert mit langen Haaren, freier Liebe und Drogen gegen die Vorschriften der konservativen Gesellschaft Amerikas. mehr Der Kampf spitzt sich zu, als es nicht mehr nur gegen die Werte der Eltern geht, sondern der drohende Vietnamkrieg eine weitaus größere Gefahr darstellt. Claude schafft es trotz der Einwände seiner Freunde als einziger nicht, dem Druck seiner Eltern standzuhalten und verpflichtet sich den amerikanischen Truppen.
| Weitere Infos | Verfilmt wurde "Hair" mit leichten Handlunsgabwandlungen 1979 mit Beverly D’Angelo (Sheila), John Savage (Claude) und Treat Williams (Berger)
|
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |