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 Compilation-Revue
Höchste Zeit! Frauen im Hochzeitsrausch
© DERDEHMEL/Urbschat
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Mit „Höchste Zeit“, dem neuen Jukebox-Musical von Tilmann von Blomberg (Buch), Carsten Gerlitz (Liedtexte und Arrangements) und Katja Wolff (kreative Entwicklung), ist ein komischer Kracher entstanden, in dem ein brillantes Darstellerinnen-Quartett so richtig Gas gibt. Wer Humor der lauteren Art mag, wird hier hervorragend unterhalten.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 05.09.2014 | Rezensierte Vorstellung: | | 05.09.2014 | Letzte bekannte Aufführung: | | 15.07.2018 |
© DERDEHMEL/Urbschat
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"Ich bin fremdgegangen mit Howard Carpendale!". Dieses Geständnis übermittelt die Braut ihrem Angetrauten in spe nur wenige Minuten vor der Zeremonie per Handy. Ihr Dilemma: Beim Junggesellinnen-Abschied hat sie derart tief ins Glas geschaut, dass sie sich nicht mehr erinnern kann, mit wem sie beim Morgengrauen hemmungslosen Sex hatte. Da der noch nicht ganz rechtmäßige Ehemann aus der gemeinsamen Hochzeitssuite verschwunden ist, kommt nur der prominente Zimmernachbar in Frage. Eine persönlich signierte CD scheint der Beweis zu sein. Auch wenn die drei Brautjungfern sich vehement gegen das Outing ihrer Freundin aussprechen, bringt es die Erlösung: der ausdauernde Lustspender im Fahrstuhl war doch der zukünftige Ehemann Dietrich; Howie schlummerte derweil friedlich allein im eigenen Bett. Ein Einsatz des Jetzt-Bald-Göttergatten als Notarzt auf der Autobahn erklärt schließlich sein spurloses Verschwinden - höchste Zeit fürs Happyend!
In zweimal rund sechzig Minuten stellt Autor Tilmann von Blomberg die für die Wechseljahre-Revue "Heiße Zeiten" entwickelten Frauencharaktere "Die Karrierefrau" (Franziska Becker), "Die Hausfrau" (Angelika Mann), "Die Vornehme" (Heike Jonca) und "Die Junge" (Nini Stadlmann) für ein Nachfolgestück auf die Bühne. Behandelte Teil 1 die Gefühlswelt nach der Meno-Pause, geht es dieses Mal um den angeblich schönsten Tag im Leben der Karrierefrau, an dem die drei anderen als nicht mehr ganz so junge Brautjungfern assistieren sollen. In die schwankhafte Vorlage, die auch vor plattesten Gags und Zoten nicht zurückschreckt, sind bekannte Hits der vergangenen dreißig Jahre mit neuen deutschen Texten (Carsten Gerlitz) eingebaut. Chers "Shoop-Shoop Song" mutiert beispielsweise zum Titelsong "Höchste Zeit", "Yes Sir, I Can Boogie" zu "Schau mal, du, da hängt was", in dem die Damen die körperlichen Veränderungen im Zeitverlauf besingen. Das gelingt unterm Strich alles höchst amüsant, auch wenn die Texte wegen einer noch nicht perfekt ausgepegelten Tonanlage das ein oder andere Mal nur schwer zu verstehen sind.
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Regisseurin Katja Wolff setzt in ihrer Inszenierung ganz auf Tempo und gibt dem Affen mächtig Zucker. Auch wenn ein Vibrator als Handmikrofon genutzt wird, oder die etwas einfach gestrickte Ossi-Hausfrau Doris sich über den komischen Springbrunnen in der Toilette mokiert: Wolff lässt die klamottige Vorlage niemals ins Peinliche abgleiten. Sie hält die liebevoll gezeichneten Typen fast unentwegt in Bewegung und lässt die vier Darstellerinnen aufgedreht durch die schicke Designer-Hochzeitssuite mit Alexanderplatz-Panoramabalkon (Ausstattung: Susanne Füller) flitzen. Hinter deren zentralen Bartresen ist Platz für "Die Kellner Band", deren Musiker sich bei der Uraufführung unter der Leitung von Carsten Gerlitz munter durch die Partitur von Rock’n’Roll bis Schmachtfetzen spielen. Christopher Tölles Choreografien illustrieren den Song-Mix mit einem sparsamen, aber ungemein effektvollen Bewegungsrepertoire, zu dem auch ein völlig überdrehtes Stepp-Solo von Nini Stadlmann gehört.
Ohnehin ist es in erster Linie das brillante Darstellerinnen-Quartett, das "Höchste Zeit" sehens- und hörenswert macht. Jede der Damen fühlt sich in der von ihr gespielten Rolle wohl, gibt in jeder Sekunde Vollgas, lässt aber auch den Kolleginnen den nötigen Raum, eine gleichberechtigte Type auf die Bühne zu bringen. Auch wenn so ein wunderbar homogenes Quartett agiert, profitieren Nini Stadlmann ("Die Junge") und Franziska Becker ("Die Karrierefrau") in Gesang und Tanz von ihrer Musicalausbildung: Stadlmann glänzt im verheult vorgetragenen "Ich hab Angst, ihn zu verlieren", während Becker in den verkaterten Anfangsszenen zum Wegschmeißen komisch ist. Whitney Houstons "One Moment in Time" (hier: "Die Regeln machen wir") meistert Becker ohne Probleme und macht auch in albernen Braut-Dessous mit Puschelschwanz (Kostüme: Susanne Füller) eine gute Figur. Angelika Mann ("Die Hausfrau") verharrt als herzensgute, naive Mini-Wuchtbrumme ("Schönheit braucht Platz") mit ihrer reibeisigen Röhre im Sprechgesang, setzt aber stets punktgenau ihre Gags und spielt ihre körperlichen Besonderheiten nicht nur beim klemmenden Stützstrumpf hemmungslos aus. Als zynischen Gegenpart gestaltet Heike Jonca ("Die Vornehme") Frau Konsul Hagedorn als Giftspritze mit Herz, hinter deren Fassade jedoch auch eine verletzbare Frau aufblitzt. Wunderbar ihr Solo "Zweisam einsam".
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Zu Recht tobt bei der Uraufführung der gesamte Saal und will die Darstellerinnen beim Schlussapplaus trotz Zugaben nicht mehr von der Bühne lassen. Wer es gerne laut, derb und klamaukig mag, der sollte "Höchste Zeit" nicht verpassen. Zudem ist diese Revue der perfekte Start in jeden feucht-fröhlichen Junggesellinnen-Abschied.
(Text: kw) 
Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken Die Karrierefrau - Franziska Becker
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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