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 Uraufführung
Superhero Angst vorm Fliegen
© Lena Obst
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Das Junge Staatsmusical Wiesbaden (früher „Jugendclub Theater“) hebt Paul Graham Browns neuestes Musical aus der Taufe und begeistert mit einer kreativen Inszenierung, fast durchgehend grandiosen Darstellern und mitreißender Musik.
(Text: Ingo Göllner) Premiere: | | 16.10.2014 | Rezensierte Vorstellung: | | 16.10.2014 | Dernière: | | 18.03.2016 |
Donald ist 14 und kämpft gegen die Zeit, denn er hat Krebs und es sieht nicht gut aus. Er riskiert viel, balanciert am Rand von Dächern. Es spielt keine Rolle mehr, ob er fällt. Sein Leben ist zu Ende, bevor es richtig losgeht. Und vor allem: Es kann nicht sein, dass er als verdammte Jungfrau sterben muss. Shelley, ein Mädchen aus seiner Gegend, gefällt ihm, aber die Chemo hat ihm alle Haare genommen, er ist ein Freak. Wie soll er das anstellen?
© Lena Obst
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In Donalds Kopf und in seinem Zeichenheft kämpfen Dr. Gummifinger und seine supersexy Geliebte Nursey darum, dem Superhelden Miraculous Man sein Knochenmark zu entnehmen, um selbst unsterblich zu werden. Aber Miraculous Man ist nicht so leicht zu kriegen. Miraculous Man, das ist Donalds Held. Die Eltern kommen an ihren Jungen nicht mehr so richtig ran. Wegen seiner Experimente an der Schwelle zum Tod ziehen sie den Psychologen Dr. Adrian King zu Rate, der auf Todgeweihte spezialisiert ist. Donald lässt sich auf den "Seelenklempner" ein. Was, wie sich herausstellt, gar nicht mal das Schlechteste ist, denn Dr. King will Donald seinen letzten Wunsch erfüllen: durch Sex mit einer Prostituierten nicht als Jungfrau zu sterben.
Die Inhaltsangabe lässt ahnen, dass man es hier nicht mit einem Gute-Laune-Musical zu tun hat. Doch den Zuschauer erwartet keine niederschmetternde Tragödie. Anthony McCarten hat aus seinem Roman eine straffe Bühnenversion gemacht, die das Drama immer wieder mit Komik bricht. Diese Komik ist menschlich, die Handlungen der Figuren sind realistisch und nachvollziehbar. Paul Graham Brown hat dazu energetische Musik geschrieben, die das nötige Tempo beisteuert, aber auch fein die Gefühle und Ängste der Figuren abbildet, und die von der hinter der Bühne versteckten Band perfekt umgesetzt wird.
Marcel Herrnsdorfer glänzt in der schwierigen Rolle des Donald. Auch wenn man ihm den 14-Jährigen altersgemäß nicht mehr abnimmt, zeichnet er ihn differenziert - mal verletzt, mal wütend, mal kraftlos, mal mit unbändigem Lebenswillen, mal mit Todessehnsucht. Die Raps, die Paul Graham Brown für Donald geschrieben hat, passen perfekt zur Figur und werden von Herrnsdorfer mit viel Energie umgesetzt. Auch in Balladen kann er überzeugen, kämpft aber an einige Stellen mit den Höhen.
In den Elternrollen beeindrucken Felicitas Geipel als Mutter Renata, die verzweifelt nach weiteren Behandlungsmethoden und Medikamenten sucht, und Norman Hofmann als Vater Jim, der seine Gefühle nicht ausdrücken kann und sich mit einer Verbindung zu seinem Sohn schwertut. Sehr schön ist die Szene, wenn Vater und Sohn zusammen einen Joint rauchen und dadurch eine Bindung entsteht. Das ist toll gespielt und ein toller Song.
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Tim Speckhardt als Dr. Adrian King ist leider der Schwachpunkt der Besetzung. Natürlich ist es so, dass beim Jungen Staatsmusical die Darsteller in der Regel nicht dem Alter der Figuren entsprechen, aber Speckhardt wirkt wie ein kleiner Junge, den man in einen zu großen Anzug gesteckt hat. Er kann gut singen, hat auch in anderen Rollen schon bewiesen, dass er ein guter Darsteller ist, aber in dieser Rolle ist er fehlbesetzt. Wenn im zweiten Teil dann auch Dr. Kings Privatleben eine Rolle spielt, gerät die Geschichte ein wenig aus dem Gleichgewicht, was mit einem anderen Darsteller im passenden Alter vielleicht hätte vermieden werden können.
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Shelley, das Mädchen, in das sich Donald verliebt, ist eine ziemlich undankbare Rolle. Mariella Köhlert meistert sie mit schöner Stimme und Natürlichkeit, ebenso Nina Links als Tanya, die „Hure mit Herz“. Als Comicgestalten kosten Nils Klitsch (Miraculous Man), Charlotte Katzer (Nursey) und Benjamin Geipel (Dr. Gummifinger) ihre Helden- bzw Bösewichtrollen mit großer Mimik und Gestik aus. Klitsch und Geipel liefern sich darüber hinaus einen sehr gut choreografierten Kampf auf der Bühne.
Generell gebührt der Inszenierung und Choreographie von Iris Limbarth großes Lob. Sie sorgt für Tempo und Energie und holt aus den Darstellern Emotionen heraus, die nicht kitschig oder aufgesetzt wirken, Beim Finale kämpfen dann einige Darsteller sichtlich mit den Tränen – und auch der eine oder andere Zuschauer.
© Lena Obst
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Besonders erwähnenswert ist das Bühnenbild und die Comic-Einspieler. Die Bühne ist eingerahmt von Straßenschluchten im Comicstil, dessen mittleres Gebäude aufgeklappt werden kann, um als Rampe oder Dach zu dienen. Die Comic-Sequenzen werden durch projizierte Animationen untermalt und fortgesetzt, die sich durch ihre Dreidimensionalität und Schärfenverlagerungen auszeichnen.
„Superhero“ hat seine vom Publikum gefeierte Uraufführung erlebt, jetzt sollte es unbedingt auf anderen Bühnen nachgespielt werden. Bis es soweit ist: ab nach Wiesbaden - der Weg lohnt sich!
(Text: ig)

Verwandte Themen: Hintergrund: Interview mit Iris Limbarth (06.10.2015)
Kreativteam
Besetzung
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Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    30545 Ambitioniert!
23.10.2014 - Es spricht durchaus für den eigentlich schon professionellen Status und das überregional gute Renommee des Jungen Staatsmusical Wiesbaden, dass man vor wenigen Tagen die Weltpremiere von Paul Graham Browns neuem Stück SUPERHERO zeigen konnte.
Brown, der für Text und Musik verantwortlich zeichnet, hat für SUPERHERO mit Anthony McCarten zusammen gearbeitet, der auch der Autor der Romanvorlage ist.
Die Geschichte um den unheilbar an Krebs erkrankten Teenager Donald Delpe ist in der Musical-Adaption weitgehend packend, anrührend, nachdenklich und durchaus (im passenden Rahmen) humorvoll.
Brown findet dafür die passende authentische Sprache und ein breitgefächertes musikalisches Spektrum. Treibende Rap-Beats (könnten gerne etwas "brachialer" und lauter ausgesteuert sein), Rock, filmscore-artige Hymnen und sogar gefühlvolle Streicher-Klänge, sind die emotional passgenaue Begleitung der Geschichte.
Großartig und für das Publikum immer nachvollziehbar ist die zentrale Figur des Donald Delpe geschrieben und inszeniert. Insbesonder auch sein Alter Ego Miraculousman, der in einer imaginären Parallelwelt samt sexueller Verführung und monströs-irrwitzigem Feindbild präsent ist, sorgt für die facettenreiche Authentizität des Charakters. (Genial!Johannes Meurer, Anna Heldmaier und Benjamin Geipel in den Rollen der exaltierten Cartoon-Wesen.)
Nicht ganz so gut gelungen ist die Charakterzeichnung und Tiefenschärfe von Donalds wichtigen Bezugspersonen.
Die Eltern wirken relativ distanziert, fast unwirklich kühl.
Auch der psychologische Betreuer Dr.King wirkt (obwohl man ihm noch ein problematisches und komplexes Privatleben gegeben hat) eigentlich nur wie ein Stichwortgeber.
Diese Rollen müssten literarisch, inzenatorisch und (ja! leider auch) schauspielerisch besser ausgearbeitet sein.
Andere Nebencharaktere wie der Bruder, Schulfreunde, Freundin sind da wesentlich besser entwickelt, komplexer und glaubwürdiger.
Verantwortlich für Regie und Choreografie ist wieder Iris Limbarth. Gekonnt findet sie eine stimmige Balance zwischen dem ernsthaften Anliegen der Thematik, ungekünsteltem Pathos und einfach gutem Bühnen-Entertainment.
Ihre bühnenfüllenden Choreografien, die geschickt Freestyle, Break- und Streetdance Elemente integrieren sind ein Highlight für sich.
Bezwingend gut ist auch die visuelle Seite. Das Bühnenbild, das an SPIDER-MAN in NY erinnert, wird in Verbindung mit stilistisch perfekt gelungenen und sinnvoll eingesetzten Animationen und einem kongenialen Lichtdesign zu einem starken Rahmen für die Inszenierung.
Dem Jungen Staatsmusical in Wiesbaden ist mit SUPERHERO eine ambitionierte und höchst sehenswerte Premiere gelungen.
Absolut sehenswert und diskussionswürdig.

kevin (202 Bewertungen, ∅ 3.4 Sterne)
    30544 Ambitioniert!
23.10.2014 - Es spricht durchaus für den eigentlich schon professionellen Status und das überregional gute Renommee des Jungen Staatsmusical Wiesbaden, dass man vor wenigen Tagen die Weltpremiere von Paul Graham Browns neuem Stück SUPERHERO zeigen konnte.
Brown, der für Text und Musik verantwortlich zeichnet, hat für SUPERHERO mit Anthony McCarten zusammen gearbeitet, der auch der Autor der Romanvorlage ist.
Die Geschichte um den unheilbar an Krebs erkrankten Teenager Donald Delpe ist in der Musical-Adaption weitgehend packend, anrührend, nachdenklich und durchaus (im passenden Rahmen) humorvoll.
Brown findet dafür die passende authentische Sprache und ein breitgefächertes musikalisches Spektrum. Treibende Rap-Beats (könnten gerne etwas "brachialer" und lauter ausgesteuert sein), Rock, filmscore-artige Hymnen und sogar gefühlvolle Streicher-Klänge, sind die emotional passgenaue Begleitung der Geschichte.
Großartig und für das Publikum immer nachvollziehbar ist die zentrale Figur des Donald Delpe geschrieben und inszeniert. Insbesonder auch sein Alter Ego Miraculousman, der in einer imaginären Parallelwelt samt sexueller Verführung und monströs-irrwitzigem Feindbild präsent ist, sorgt für die facettenreiche Authentizität des Charakters. (Genial!Johannes Meurer, Anna Heldmaier und Benjamin Geipel in den Rollen der exaltierten Cartoon-Wesen.)
Nicht ganz so gut gelungen ist die Charakterzeichnung und Tiefenschärfe von Donalds wichtigen Bezugspersonen.
Die Eltern wirken relativ distanziert, fast unwirklich kühl.
Auch der psychologische Betreuer Dr.King wirkt (obwohl man ihm noch ein problematisches und komplexes Privatleben gegeben hat) eigentlich nur wie ein Stichwortgeber.
Diese Rollen müssten literarisch, inzenatorisch und (ja! leider auch) schauspielerisch besser ausgearbeitet sein.
Andere Nebencharaktere wie der Bruder, Schulfreunde, Freundin sind da wesentlich besser entwickelt, komplexer und glaubwürdiger.
Verantwortlich für Regie und Choreografie ist wieder Iris Limbarth. Gekonnt findet sie eine stimmige Balance zwischen dem ernsthaften Anliegen der Thematik, ungekünsteltem Pathos und einfach gutem Bühnen-Entertainment.
Ihre bühnenfüllenden Choreografien, die geschickt Freestyle, Break- und Streetdance Elemente integrieren sind ein Highlight für sich.
Bezwingend gut ist auch die visuelle Seite. Das Bühnenbild, das an SPIDER-MAN in NY erinnert, wird in Verbindung mit stilistisch perfekt gelungenen und sinnvoll eingesetzten Animationen und einem kongenialen Lichtdesign zu einem starken Rahmen für die Inszenierung.
Dem Jungen Staatsmusical in Wiesbaden ist mit SUPERHERO eine ambitionierte und höchst sehenswerte Premiere gelungen.
Absolut sehenswert und diskussionswürdig.


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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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