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 Tragikomödie
Der Hauptmann von Köpenick Berühmter Rathausbesetzer
© Holger Martens
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Die Story um den bekannten Hochstapler wird hier zu einer behäbigen, langatmigen Musical-Geschichtsstunde an authentischem Ort. Prächtige Ausstattung und tolle Darsteller stehen auf der Habenseite einer eher mittelmäßigen Aufführung, bei der es vor allem am Buch krankt.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 26.06.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 28.06.2015 | Letzte bekannte Aufführung: | | 14.04.2019 |
20 Mark in bar auf die Hand. Zu diesem Preis verkauft der fliegende Händler einen Säbel, eine Offiziersmütze und den dazu passenden Mantel mit goldenen Knöpfen und Schulterklappen. Damit verwandelt sich der bisher im Leben gescheiterte Ex-Sträfling und Schuster Wilhelm Voigt in den Mann, der Weltruhm erlangt, indem er mit ein paar Soldaten im Handstreich das Rathaus von Köpenick besetzt und sich vom völlig überrumpelten Bürgermeister die Stadtkasse aushändigen lässt.
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Die Zuschauer im Innenhof des Originalschauplatzes harren auf äußerst unbequemen Plastikstühlen aus, bevor sie – gerade mal eine gute halbe Stunde vor dem Finale – genau die Szenen zu sehen bekommen, wegen denen viele den Weg dorthin gefunden haben. Carl Zuckmayers Drama von 1931 erzählt jedoch mehr als die weltberühmte "Köpenickiade"! Der Fokus liegt auf Voigts Leidensweg im Gewirr aus Bürokratismus und der Allmacht des Militärs im wilhelminischen Kaiserreich. Wer wie er die stets zackig gestellte Frage "Haben Sie gedient?" verneinen muss, gilt als Mensch zweiter Klasse, dessen sozialer Abstieg vorgezeichnet scheint. In diesem Preußen herrschen zwar Zucht und Ordnung, dies allerdings auf Kosten des einfachen Volkes und der Frauen, die als Heimchen am Herd ihren Mann bedienen dürfen.
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Heiko Stang, multifunktional für Musik, Liedtexte, Bühnenbild und Regie verantwortlich, will allerdings zu viel des Guten und "vermusicalt" die Zuckmayer-Vorlage in eine behäbige, knapp drei Stunden dauernde Geschichtsstunde. Nach exakt der Hälfte der Zeit hat sich das Publikum die zwanzigminütige Pause redlich verdient, denn insbesondere im quälend lang wirkenden ersten Teil schlummert erhebliches Streichpotenzial: Viele der Szenen transportieren zwar das Zeitkolorit des Kaiserreichs, verpuffen allerdings wegen zu langer Dialoge und zu vieler Handelnder. So würde zum Beispiel der Song "Haltung, Haltung, Haltung" im Schneideratelier Wormser auch ohne den lahmen und völlig überflüssigen Azubi Willy funktionieren. Wie im Fall des grandiosen Showstoppers über den stark riechenden Harzer Käse würde ein einschwirrender, witziger Background-Chor ausreichen.
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Vorlagenbedingt dominieren Tschingderassabum-Gassenhauer die Partitur. Heiko Stangs atmosphärisch dichten Kompositionen mit geringem Ohrwurm-Potenzial fügen sich auch jenseits der Mitklatsch-Märsche immer passgenau in die Handlung ein. So wird’s im verruchten "Café National" jazzig ("Ich hab‘ so ‘ne Sehnsucht nach Liebe heut‘ Nacht"). Das Couplet "Wenn meene Frau sich auszieht, wie die dann aussieht" fördert Preußens verklemmt-biedere Einstellung zur Sexualität zutage und die Ballade "Sommerglück" illustriert aufkeimende Gefühle und Sehnsüchte. In der Orchestrierung des musikalischen Leiters Frank Hollmann werden alle Songs von acht Musikern des "Symphonic Pop Orchestras" aus einem kleinen Zelt-Pavillon links von der Bühne begleitet. Ein Lob gebührt in diesem Zusammenhang der Tontechnik (Uwe Haupt), die gerade in der Open-Air-Situation gute Arbeit leistet.
Ein Glücksfall ist das sehr homogen zusammengesetzte Ensemble, das auch im Gesang kaum Wünsche offen lässt. Bis auf den Darsteller der Titelrolle sind alle in mehreren, meist nur sehr kleinen Rollen, zu sehen. Herausragend dabei zwei Porträts: Nach einem Ausraster in Zivil quittiert Dirk Weidner als nach Perfektion strebender, schneidiger Hauptmann von Schlettow den Dienst und hinterlässt einen gebrochener Charakter. Franz Frickel glänzt als bizarr-trotteliger Zuchthausdirektor, der seine Gefangenen zum Zeitvertreib die Schlacht bei Sédan nachstellen lässt.
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Als Wilhelm Voigt ist Maximilian Nowka zunächst ein sehr leiser und scheuer Verlierertyp, der mit traurigem Blick und hängenden Schultern sein Hab und Gut in einem Pappkarton über die Bühne trägt. Grandios und absolut glaubhaft gelingt ihm mit Überstreifen des Uniformmantels der plötzliche Wechsel in die Rolle des herumkommandieren Offiziers. Zackig und schneidig brüskiert er die Verwaltung und führt vor allem Bürgermeister Obermüller (hochnäsig: Andreas Goebel) und den Oberwachtmeister (preußisch-zackig: Björn Ole Blunck) vor. Stimmlich verfügt Nowka über einen schönen, geschmeidigen Tenor, der insbesondere im Liebesduett mit Juliane Maria Wolff zur Geltung kommt. Auch Wolff kann ihre Wandlungsfähigkeit in einer Doppelrolle eindrucksvoll unter Beweis stellen: Wirkt sie als das von Voigt begehrte, totkranke Liesken wie ein zerbrechliches Porzellanpüppchen, dominiert sie in der Rolle der Halbweltdame Plörösenmieze verrucht und geschäftstüchtig das Nachtleben im kaiserlichen Berlin. Hier kann sich auch das Choreografen-Duo Doris Marlis und Michael Apel austoben und schwülstige Atmosphäre auf kleinsten Raum zaubern.
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Wirklich eine Wucht ist das prachtvolle, ganz der wilhelminischen Zeit verpflichtete Kostümbild (Antje Schrader) mit seinen Uniformen, langen Kleidern, üppigen Hüten und den adrett gestärkten, weißen Schürzen. Damit korrespondiert auch das Bühnenbild, für das Heiko Stang eine Guckkasten-Bühne mit einem Wilhelm-II-Abbild als Giebel-Abschluss entworfen hat. In deren Innenraum stehen seitlich links und rechts je zwei Holztüren mit bunter Glaseinfassung, dahinter nimmt eine Brüstung die gesamte Bühnenbreite ein. Dies ermöglicht schnelle Wechsel der Handlungsorte, die zusätzlich durch weitere Versatzstücke wie Fahnen und herausklappbare Elemente angedeutet werden. Über allem thront am Bühnenende der preußische Adler, der bei der "Köpenickiade" Nebel ausstößt und bedrohlich mit den Augen leuchtet. Auch eine Form des Kommentars für einen Abend, der mit den Songzeilen "Lach dir ‘nen Ast und setz‘ dir druff und baum’le mit de Beene" endet.
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken Spielzeit Sommer 2017
Wilhelm Voigt - Maximilian Nowka, Sebastian Smulders
Plörösenmieze, Liesken - Juliane Maria Wolff
Wabschke, Moritatensänger und andere - Jesse Garon
Friedrich Hoprecht, Oberwachtmeister und andere - Michael Seeboth
Marie Hoprecht - Ina Nadine Wagler
Paul Kallenberg, Zuchthausdirektor und andere - Tobias Berroth
Bürgermeister Obermüller, Knell und andere - Andreas Goebel
Mathilde Obermüller, Wirtin - Susanne von Lonski
Adolf Wormser und andere - Michael Chadim
Willy, Zeitungsjunge, Kellner und andere - Martin Markert
Hauptmann von Schlettow und andere - Martin Kiuntke
Fanny und Swing - Bianca Benjamin
Ensemble - Sebastian Smulders, Lena Weiss, Maximilian Stang, Katrin Höft
Spielzeit Sommer 2016
Wilhelm Voigt - Maximilian Nowka
Plörösenmieze, Liesken - Juliane Maria Wolff
Wabschke, Moritatensänger und andere - Jesse Garon
Friedrich Hoprecht, Oberwachtmeister und andere - Jörg Zuch
Marie Hoprecht - Ina Nadine Wagler
Paul Kallenberg, Zuchthausdirektor und andere - Nikolas Gerdell
Bürgermeister Obermüller, Knell und andere - Andreas Goebel
Mathilde Obermüller, Wirtin - Paulina Plucinski
Adolf Wormser und andere - Boris Freytag
Willy, Kellner und andere - Martin Markert
Hauptmann von Schlettow und andere - Martin Kiuntke
Fanny und Swing - Stefanie Bruckner
Extra-Chor - Ronald Bird, Nadine Pirchi, Maik Dehnelt, Maximilian Stang
Spielzeit Sommer 2015 (Uraufführung)
Wilhelm Voigt - Maximilian Nowka
Plörösenmieze, Liesken - Juliane Maria Wolff, Paulina Plucinski
Wabschke, Moritatensänger und andere - Jesse Garon
Friedrich Hoprecht, Oberwachtmeister und andere - Björn Ole Blunck
Marie Hoprecht - Ina Nadine Wagler, Sandrine Guiraud
Paul Kallenberg, Zuchthausdirektor und andere - Franz Frickel
Bürgermeister Obermüller, Knell und andere - Andreas Goebel
Mathilde Obermüller, Wirtin - Paulina Plucinski, Sandrine Guiraud, Ina Wagler-Fendrich
Adolf Wormser und andere - Alexander Zamponi
Willy, Kellner und andere - Dennis Weißert
Hauptmann von Schlettow und andere - Dirk Weidner
Fanny - Josephine Strauch, Paulina Plucinski
Extra-Chor - Peggy Schinke, Gerald Geipel, Christoph Stadler, Maximilian Stang
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31239 Stück überzeugt nur bedingt
24.10.2016 - Ein Stück, welches leider sehr lange zu oberflächlich bleibt. Und beim Showstopper "Tanz des Harzer Käses" hatte ich das Gefühl, dem Publikum muss unbedingt eine Mitklatsch-Nummer geboten werden, ob es passt oder nicht. Leider war es komplett unpassend und zeigte erneut die oberflächliche Herangehensweise an den Stoff.
Maximilian Nowka ist der Lichtblick des Abends, er ist ein überzeugender Darsteller des Hauptmanns und zeigt viele Facetten. Die anderen Darsteller blieben eher blass, teilweise kann man sogar sagen "bemüht".
Die Musik ist gut und hat auch einige schöne Melodien drin. Lobend sei zu erwähnen, dass es ein kleines aber feines Live-Orchester gab und auch die Tonaussteuerung war hervorragend.
Es ist ein unterhaltsamer Abend, wenn man keine hohen qualitativen Ansprüche an die Dramaturgie und den Tiefgang eines Stückes hat.

Musette (5 Bewertungen, ∅ 4.6 Sterne)
    30856 Ein Leben im bürokratischen Teufelskreis
16.08.2015 - Carl Zuckmayer wollte in seinem "deutschen Märchen" über den Schuster Wilhelm Voigt mehr beschreiben, als den Diebstahl der Kasse im Rathaus Köpenick durch einen verkleideten Ex-Sträfling. Es ging ihm um die Darstellung des kleinen Untertans, der an der Bürokratie des deutschen Kaiserreichs scheitert und dem es trotz aller Bemühungen nicht gelingt, ein Leben als rechtschaffener "Untertan" zu führen.
Dies ist nach meiner Meinung dem Kreativ Team um Heiko Stang hervorragend gelungen. Die von ihm komponierte Musik illustriert jede Szene sehr passend, kreiiert die richtige Atmosphäre und ist so verschieden, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt. Es entsteht das Bild des untergehenden Kaiserreiches um die Jahrhundertwende in allen Facetten.
Die Besetzung spielt und singt durch die Bank großartig. Maximilian Nowka spielt die Schuster Wilhelm Voigt mit solcher Intensität, dass man manchmal vor Mitleid mit dem armen Kerl heulen möchte. Dass Nowka so groß ist, wie die meisten Männer auf der Bühne fällt erst beim Applaus auf, vorher hat man das Gefühl, dass er von seinem Leben gebeugt und gebeutelt ist. Außer Nowka spielen alle Darsteller mehrere Rollen und meistern die häufigen Wandlungen klasse.
Dem Tonmeister gebührt ein Extra-Lob, alle Stimmen sind klar und sehr gut zu verstehen, Gesang und Sprechtexte gehen harmonisch ineinander über. Das 8- köpfige Orchester spielt mit Schwung und ist, da es in der Hauptsache Musik aus der Jahrhundertwende und ein bischen Jazz gibt auch völlig ausreichend.
Die Lokation und das Bühnenbild tragen besonders im zweiten Akt, wenn der Innhof beleuchtet ist ihren Teil zum Gelingen der Show bei.
Insgesamt ein wunderbarer Abend, einziger Wermutstropfen ist die geringe Besucherzahl. Es wäre toll, wenn noch mehr Touristen den Weg nach Köpenick finden würden, soweit ist es nun wirklich nicht, man kann um das Rathaus herum sehr schön bummeln, an der Spree/Dahme sitzen und essen und so einen schönen berlin-typischen Abend haben ohne sich mit den Touristenmassen durch Friedrichshain zu quälen.
Ich kann nur empfehlen, die verbliebenen Vorstellungen zu nutzen!

Charlotte (56 Bewertungen, ∅ 3.6 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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