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 Komödie
Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs Wer mit wem? Und warum?
© HOT/HL Böhme
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Liebe macht nicht nur blind, sie kann auch in den Wahnsinn treiben. Besonders dicke kommt es bei Pepa (grandios: Christiane Hagedorn), der zentralen Figur des Musicals „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Weil ihr Lover Schluss macht, kommt es zu einem großen Durcheinander, das Stefan Huber im genialen Bühnenbild von Stephan Prattes flott inszeniert.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 19.10.2013 | Rezensierte Vorstellung: | | 15.11.2013 | Letzte bekannte Aufführung: | | 13.05.2014 |
Ein Musical mit einer schrägen Handlung braucht ein schräges Bühnenbild. Diese Intention könnte hinter dem Entwurf von Stephan Prattes stehen, der einen überdimensionalen, quietschig-bunten, windschiefen Buchstaben M als begehbares Gebäude auf die Drehbühne stellt. Ein wirklich origineller Entwurf für eine Penthaus-Wohnung nebst Dachterrasse, der durch weitere, einfahrende Spielflächen für die anderen Handlungsorte ergänzt wird. Prattes‘ Bühnenbild ermöglicht schnelle Szenenwechsel und schafft sogar Raum für Verfolgungsjagden zwischen Motorroller und Velo-Taxi.
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Leggins, Glockenröcke und Schulterpolster - Heike Seidlers Kostümbild schwelgt im 1980er-Schick, der auch vor nach heutigem Geschmack gewagten Farb- und Mustermixen nicht zurückschreckt. Dauerwellen und großen Brillen unterstreichen das Zeitkollorit für die 1987 spielende Handlung. Deren Ausgangspunkt ist eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, der als Werbefilmschauspielerin und Backgroundsängerin arbeitenden Pepa, die unsere Protagonistin wie ein Blitz trifft. „Gibt es einen richtigen Weg, Lebewohl zu sagen?“, schmachtet dort ihr Liebhaber und Arbeitskollege Iván und übermittelt ihr das Ende der gemeinsamen Affäre. Ein Aus, das sie nicht akzeptieren will und das zu skurrilen Verwicklungen mit Iváns Familie führt. Für Turbulenzen sorgen nicht nur Iváns abgelegte, überdreht-exaltierte Ehefrau, sondern auch der unter dem Pantoffel der Mutter stehende Sohn und dessen unglückliche Verlobte. Pepa ahnt weder, dass Iván bereits mit der Anwältin seiner Ex-Ehefrau angebandelt hat, noch, dass ihre eigene Busenfreundin zufällig feststellt, dass sie ihr Lotterbett mit einem per TV-Fahndung gesuchten Terroristen teilt.
Genügend Zündstoff für den titelgebenden Seelenzustand, aber auch eine Herausforderung für einen Regisseur, diese auf dem Film von Pedro Almodóvar basierende Musical-Farce voller Tempo, durchgeknallter Typen und deftigen Gags auf die Bühne zu bringen. Mit Stefan Huber hat das Potsdamer Theater einen solchen Fachmann gefunden. Huber ist auf der einen Seite ein Show-Mann, der genau weiß, wie er den Bühnenraum nutzen und Songs interessant bebildern kann. So gönnt er den vier zum Potsdamer Schauspiel-Ensemble hinzugecasteten Musical-Darstellern Alexander Ziebart, Frank Brunet, Dorothea Breil und Anke Merz immer wieder kleine aber feine Auftritte als illustrierende Episodenfiguren. Beim Song „Krank“ ist es zum Beispiel medizinisches Personal, das eine witzige Stierkampf-Choreografie (Friedrich Bührer) hinlegt. Gleichzeitig setzt Huber aber auch ganz auf Komödie. Er lässt die Darsteller die Gags punktgenau setzten und entwickelt ein sorgsam austariertes, ausbalanciertes Typen-Kabinett, das er jedoch nie der Lächerlichkeit preisgibt. Nach der Pause geht der Inszenierung allerdings etwas die Puste aus. Trotz der Handlungshöhepunkte - einer Polizeirazzia in Pepas Wohnung und eines Terroranschlags - plätschert die letzte halbe Stunde etwas zu langatmig daher.
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Ferdinand von Seebach (musikalische Leitung) und seinen sechs Musiker sind eines der musikalische Aushängeschilder der Potsdamer „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Aus dem Orchestergraben klingt die sehr bläserlastige, mit vielen Lateinamerikanischen Rhythmen durchsetzte Partitur von David Yazbek frisch, flott und lädt zum Mitwippen ein. Allerdings besitzen die Songs kein wirkliches Ohrwurm-Potenzial.
Darstellerisch ist das Ensemble top, die gesanglichen Qualitäten dagegen stellen sich sehr unterschiedlich dar. So ist Bernd Geilings Iván ein schleimig-gockelhafter Schürzenjäger, der seinem verstockten Söhnchen Carlos (mit wehleidigem Dackelblick und herunterhängenden Schultern: Dennis Herrmann) im Song „Mikrofon“ die Welt der Frauen näherbringt. Auch wenn er bei „Gestern, Heute, Morgen“ hörbare Pobleme in den tieferen Lagen hat, passt Geilings sanfter Bariton hervorragend zum Bühnen-Macho. Als Ex-Frau Lucia darf Andrea Thelemann so richtig die hysterische Glucke sein, die einerseits über ihr Söhnchen wacht, andererseits als durchgeknallter Racheengel keine andere Frau an Iváns Seite duldet. Thelemann verfügt über eine satte Altstimme und weiß auch Spitzentöne gekonnt zu setzen. Ihr Solo „Unsichtbar“ gehört zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.
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Dass Gesang gar nicht ihre Sache ist, merkt man Patrizia Carlucci als stets von ihrer Schwiegermutter in Spe untergebutterte Marisa an. Im Duett mit Carlos trifft sie nur ansatzweise die richtigen Töne. Auch Claudia Renner (Candela) quält sich durch ihre Songs und verhaspelt sich bei ihrem ersten (zugegebenermaßen sehr schnellen) Solo, sodass die Textverständlichkeit leidet. Im Spiel ist sie hingegen gut besetzt und macht als hektisches Model mit Beziehungsproblemen auch in Strapsen eine gute Figur. Seltsam blass bleibt Philipp Mauritz als in die Pedale tretender Taxi-Fahrer, dem allerdings mit „Madrid“ ein solider Showstopper gelingt.
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Wie ein Fels in der Brandung steht Christiane Hagedorn im Zentrum des Chaos. Trotz aller Turbulenzen und Katastrophen behält ihre Pepa irgendwie den Überblick und muss erkennen, dass ihr Kampf um den Geliebten unsinnig ist. Der Wandel zur selbstbewussten, nach Unabhängigkeit strebenden Frau ist absolut glaubhaft und auch die komischen Seiten spielt Hagedorn punktgenau aus. Eine tolle Leistung, die sie mit ihrem sicher geführten Chanson-Sopran nicht nur in „Lüg‘ mich an“ krönt.
Auch wenn das aberwitzige, überdrehte Stück einen Teil des Publikums ratlos nach Hause gehen lässt, in der Potsdamer Inszenierung ist „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ eine willkommene Abwechslung zu Spielplandauerbrennern wie „My Fair Lady“.
Musical nach dem Film von Pedro Almodóvar Buch von Jeffrey Lane Musik und Liedtexte von David Yazbek Deutsch von Kevin Schroeder
(Text: kw) 
Kreativteam
Besetzung
| Pepa | | Christiane Hagedorn
| | | Candela | | Franziska Melzer Claudia Renner
| | | Iván | | Bernd Geiling
| | | Taxifahrer | | Philipp Mauritz
| | | Lucia | | Andrea Thelemann
| | | Marisa | | Patrizia Carlucci
| | | Paulina | | Meike Finck
| | | Concierge, Ärztin | | Susi Wirth Sabine Scholze
| | | Hauptkommissar, Regisseur, Richter und weitere Rollen | | Axel Sichrovsky
| | | Ambite und weitere Rollen | | Alexander Ziebart
| | | Malik und weitere Rollen | | Frank Brunet
| | | Cristina und weitere Rollen | | Dorothea Breil
| | | Ana und weitere Rollen | | Anke Merz
| | Band
| | | Flöte, Klarinette, Altsaxofon | | David Beecroft
| | | Klarinette, Bassklarinette, Baritonsaxofon, Tenorsaxofon | | Karola Elssner
| | | Gitarre | | Johannes Gehlmann
| | | Schlagzeug | | Stephan Genze
| | | Bass | | Andreas Henze
| | | Trompete, Flügelhorn | | Christoph Titz
| | | Klavier, Posaune | | Ferdinand von Seebach
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Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    30174 Irgendwie langweilig
19.11.2013 - Eigentlich gab es an der gesehenen Vorstellung wenig zu nörgeln, das Bühnenbild war gut, die Schauspieler auch, trotzdem schleppte sich der Abend dahin und es wollte keine richtige Stimmung aufkommen.
Woran es lag kann ich leider nicht erklären.
Die Musik war ein bisschen schwunglos, aber nicht total langweilig. Kostüme waren eigentlich auch ganz nett, bis auf die von Ivan, warum ein Womanizer in den 80´iger Jahren derat häßliche unpassende Anzüge tragen sollte, erschließt sich mir nicht.
Vielleicht nimmt das Ensemble im Lauf der Spielzeit noch Fahrt auf, dann könnte das Stück ganz nett werden.

Charlotte (56 Bewertungen, ∅ 3.6 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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