 Rock-Musical
Frühlings Erwachen Hör nur hin
© Pedro Malinowski
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Etwas unentschlossen bzw. ratlos verlässt der Rezensent das Theater. Ist es gut? Ist es schlecht? Die Inszenierung von Wolfgang Türks hat viele tolle Ansätze und Ideen, doch irgendwie wird kein homogenes Ganzes daraus.
(Text: Maik Frömmrich) Premiere: | | 15.03.2013 | Letzte bekannte Aufführung: | | 28.09.2013 |
Im gelungenen Einheitsbühnenbild von Beata Kornatowska - ein Schrank, Pulte, eine große Tafel und ein Baum in der Mitte, alles angeordnet auf einem angeschrägten Podest - inszeniert Türks die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die von ihren Eltern in Normen und Werte gezwängt werden, die in Überforderung und Tod münden. Themen wie Missbrauch und Gewalt an Kindern, Leistungsdruck und Erwartungen der Gesellschaft bzw. der Eltern an die Kinder sind auch über 120 Jahre nach Entstehung von Wedekinds Tragödie aktuell. Auch wenn die Aufklärung der Kinder heute nicht mehr ein so großes Problem für die Eltern darstellt, zeigt sich durch die hohe Zahl an Teenagerschwangerschaften und Abtreibungen, dass auch dieses Thema nicht an Aktualität eingebüßt hat.
© Pedro Malinowski
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Türks inszeniert abwechslungsreich, um die Geschichte zu erzählen. So werden an eine Tafel die jeweiligen Songtitel geschrieben oder auch schon mal Auszüge aus vorgelesenen Briefen oder Songs. Während das Bühnenbild und die Kostüme im 19. Jahrhundert verankert sind, werden Songs oft mit modernen Handmikros gesungen. Ein Stilmittel, das schon in der Originalinszenierung genutzt wurde und gut den Ausbruch aus den Zwängen und das Wiedergeben der Gedanken verdeutlicht. Leider nicht konsequent umgesetzt, denn ab und an wird auch nur über die Mikroports gesungen.
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Der erste Akt kommt trotz der gewichtigen Themen recht humorvoll und leichtfüßig über die Rampe und lädt das ein oder andere Mal zum schmunzeln ein. Man fühlt sich zwischenzeitlich fast in einer Musicalkomödie, um dann wie aus dem Nichts wieder tieftraurige und schockierende Szenen und Songs zu erleben. Das mag überraschend und abwechslungsreich sein, doch stellt sich dadurch eine starke Distanz ein. Eine richtige emotionale Bindung will sich zwischen Publikum und den Figuren auf der Bühne nicht einstellen.
Düster und dramatischer wird es im zweiten Akt, wenn sich die Probleme der Figuren zuspitzen. Schade, dass das Drama immer wieder durch unnötige alberne Momente aufgebrochen wird. Statt der ersten sexuellen Annäherung zwischen Hänschen und Ernst eine Ernsthaftigkeit zu verleihen, legt Darsteller Jan Bastel seinen Ernst wie einen leicht zurückgebliebenen geistig behinderten Erwachsenen an. Die folgende Kußszene inklusive wilder Hin- und Herrollerei mit Hänschen-Darsteller Matthias Kumer gerät übertrieben heftig. Erst kurz vor Schluss beginnt die Inszenierung doch noch zu berühren und der letzte Song "Das Lied vom Wind des Sommers" - toll Inszeniert als eine Art Abspann, bei dem die Darsteller kleine Tafeln mit ihrem richtigen Namen in der Hand halten – sorgt für einen wirklichen Gänsehautmoment.
© Pedro Malinowski
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Das Ensemble überwiegend aus Musicalstudenten der Folkwang-Hochschule spielt engagiert und wirft sich mit Elan in die Rollen. Musikalisch klingt nicht alles immer rund und leider wirkt der Großteil der Darsteller viel zu alt für die auszufüllenden Rollen und verliert somit an Glaubwürdigkeit. Bei Julian Culemann als Melchior fällt zusätzlich auf, dass den rockigen Kompositionen eine durchaus ordentliche Musicalstimme nicht unbedingt entgegenkommt. Einzig Anna Preckeler in der kleineren Rolle der Ilse macht gesanglich auf sich aufmerksam und wirkt routiniert und überzeugend. Christa Platzer und Daniel Berger unterstützen in verschiedenen Erwachsenenrollen das junge Ensemble abwechslungsreich und solide.
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Insgesamt fehlen der Inszenierung Tempo und Dynamik. Die Band unter der Leitung von Patricia Martin spielt engagiert, doch könnte die teils rockige Musik druckvoller abgemischt über die Rampe kommen. So verlieren Songs wie "Verficktes Leben" doch einiges an Potential und auch die schlecht ausgesteuerten Mikrofone, die oft zu leise sind und somit der Textverständlichkeit entgegenstehen, schmälern den Gesamteindruck.
"Frühlings Erwachen" ist eine Inszenierung, die durchaus sehenswert ist, aber noch Verbesserungspotential bietet und im Finale ihren wunderschönen und ganz besonderen Moment hat.
Musical nach "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind Buch und Liedtexte von Steven Sater Musik von Duncan Sheik
(Text: mf)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    29972 Viel verschenkt
19.04.2013 - Ob dies das richtige Stück für die Abschlußschüler war, wage ich zu bezweifeln. Es ist ein Rock-Musical, alle Stimmen hatten aber den normalen Musicalklang.
Spielerisch konnte keiner wirklich überzeugen, oberflächlich werden die Szenen runtergespielt. Kraft und Dymanik fehlten völlig und es entstand Langeweile. Aus dem Ensemble stach niemand heraus, was die Jahre zuvor bei der Folkwang schon anders war.

alphabaer (7 Bewertungen, ∅ 3.1 Sterne)
    29948 4 Sterne
16.03.2013 - Ich habe die Premiere gesehen und sehr genossen. Das Stück ist stark, der Rahmen intim und die Darsteller gut.
Folkwang bietet eben Qualität!
Die Regie zeigt einige tolle Ideen. Mir gefallen insb. die Nutzung von Schrank, Pult, Kreide und Tafel. (Ich will nicht zu viel verraten für all diejenigen, die das Stück noch sehen wollen.)
Die Inszenierung der homoerotischen Szene zwischen Hänschen und Ernst gefiel mir allerdings gar nicht.
Die Choreographie ist stückgemäß wild.
Die Darsteller/innen haben eine gute Leistung gezeigt. Es ist jedoch niemand dabei, der mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist - weder stimmlich noch darstellerisch. (Das war vor 3 Jahren bei HIGH FIDELITY anders.)

Nobody (erste Bewertung) 
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