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 Fantastical
20.000 Meilen unter dem Meer Rendezvous tief im Ozean
© Marlies Kross
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Traurig, wie wenig inspiriert in Musik, Text und Inszenierung dieses von Jan Dvorák adaptierte Frühwerk der Science-Fiction-Literatur auf die Bühne kommt. Trotz des ambitionierten, klangvollen Cottbuser Musiktheater-Ensembles und einer fantastischen Ausstattung (José Luna) läuft das Stück auf Grund.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 14.06.2013 | Rezensierte Vorstellung: | | 14.06.2013 | Letzte bekannte Aufführung: | | 15.09.2013 |
Was für eine packende Vorlage: Ein des Lebens überdrüssiger Wahnsinniger terrorisiert die Menschheit, indem er in einem selbst konstruierten U-Boot der zivilen Schifffahrt auflauert und einzelne Schiffe durch gezielte Attacken zum Sinken bringt. Ein französischer Zoologe, sein Assistent und ein raubeiniger Seemann gelangen per Zufall in das Unterwasserfahrzeug und erleben dort als Gefangene mit Gaststatus fantastische Abenteuer. So tauchen sie zu einer unter dem Meeresspiegel verborgenen Insel, reisen unter der Eisdecke zum Nordpol und trotzen Widrigkeiten wie Sauerstoffmangel, Unterdruck und Hitze. Nur mit Mühe und Not können sie entkommen. Das Schicksal von Kapitän Nemo und seiner Tod bringenden „Nautilus“-Besatzung bleibt allerdings offen.
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Dieser vom französischen Schriftsteller Jules Verne bereits um 1870 erdachte visionäre wie spannende Stoff ist Grundlage für das vor zwei Jahren uraufgeführte Musical von Jan Dvorák, das nach einer Überarbeitung von Text, Dramaturgie und Orchestrierung nun am Staatstheater Cottbus aufgetaucht ist. Bereits die düstere, lautmalerisch an Wellengang erinnernde Ouvertüre zieht das Publikum mit ihren großen atonalen Melodienbögen atmosphärisch auf den Meeresgrund und gibt bereits einen Vorgeschmack, dass Dvoráks Kompositionen nicht richtig zur Bezeichnung „Musical“ passen. Sie untermalen das Geschehen wie Filmmusik, während die Sänger häufig eigenen vertrackten Gesangslinien folgen. In diesen Fällen rückt das Werk in Richtung einer modernen Oper. Allerdings gibt es auch einige wenige, leider sehr kurze Songs (wie zum Beispiel den Shanty im ersten Akt oder das Liebesduett „Alles, was du noch wissen musst“), die „20.000 Meilen unter dem Meer“ ins Pop-Gefilde schippern.
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Egal, ob das Stück ein Musical ist, oder eher die von Komponist und Autor Dvorák bevorzugten Bezeichnungen „Pop-Oper“ oder „Pop-Musiktheater“ trägt: Seine wenig ohrwurmtaugliche Musik erschwert den Zugang zur Geschichte und zitiert hemmungslos aus Filmmusik (zum Beispiel James Bond-Titelmelodien) und Klassik (Mussorskys „Nacht auf dem kahlen Berge“, Beethovens „Ode an die Freude“). Bezeichnend auch, dass Dvorák für die an das Webber-Phantom erinnernden Orgel-Exzesse von Kapitän Nemo kein eigenes Motiv eingefallen ist, sondern auf Johann Sebastian Bachs berühmte „Toccata und Fuge in d-Moll“ zurückgreift, die anschließend variiert wird. Da der musikalische Leiter Marc Niemann die Musiker des Philharmonischen Orchesters etwas zu lautstark durch Dvoráks Bombast-Klangteppich zwischen Harfe und E-Gitarre peitscht, erweist er seinen in der Premiere wirklich hervorragend aufgelegten Sängern einen Bärendienst. Zu oft übertönt der Klangkörper das Bühnengeschehen, worunter die Textverständlichkeit erheblich leidet.
Ein dramaturgischer Glücksfall ist, dass Jan Dvorák dem polterig-grimmigen Kapitän Nemo (Andreas Jäpel mit klassischem, recht tiefem Bariton) eine in der Verne-Vorlage nicht existente Tochter zur Seite stellt. Debra Stanley ist nicht nur eine charmante Augenweide, mit ihrem schönen runden Sopran sorgt sie als Suri für emotionale, lyrische Passagen und verdreht ganz nebenbei dem Seemann Ned Land den Kopf. Hardy Brachmann gibt ihn als kraftstrotzenden Abenteurer, der die Herausforderung sucht, aber auch mit beiden Beinen im Leben steht. Mit seiner beweglichen, kraftvollen Tenorstimme, die auch höhere Töne mühelos erreicht, gelingt Brachmann ein stimmiges Rollenporträt.
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Als der Forschung verpflichteter Wissenschaftler bricht Heiko Walters optisch recht jung wirkender Professor Aronnax immer wieder aus der Handlung aus, um sie dem Publikum als Erzähler zu erläutern. Gesanglich wenig gefordert, kann er zumindest im finalen Solo „Wer weiß“ stimmlich richtig aufdrehen. In ihren episodenhaften Auftritten verkommt Carola Fischers Mamsell mit sattem Alt zur Stichwortgeberin, während im Vergleich dazu Gesine Forberger (Maat) in ihren wenigen Szenen die dankbarere Partie hat. Musikalisch wie dramaturgisch überflüssig ist Merten Schroedter als Conseil, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Tasche des Professors festzuhalten.
Das beschreibt ein weiteres Dilemma von „20.000 Meilen unter dem Meer“: sein Buch. Kapitän Nemos bereits erwähnte Tochter ist der beste Einfall, den Jan Dvorák als Autor hatte. Trotz der dramaturgischen und textlichen Überarbeitung strotzt das Buch vor Unsinnigkeiten wie „Ich esse Fisch, doch keinen Dorsch“ oder „Suri, wie kann ich dir vertrauen? – Schau mich doch an“. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die hilflose Regie von Thomas Fiedler: Alle Figuren wirken bemüht einstudiert, entwickeln kein eigenes Profil, sind schablonenhafte Abziehbilder. Verlangt die Handlung Rasanz, wie zum Beispiel in der Fluchtszene aus dem U-Boot, friert Fiedler die Bilder ein und lässt die klangmalerischen Melodien aus dem Orchestergraben für sich sprechen. Dass er sein Handwerk versteht, beweist er allerdings in der Führung des klangschön singenden Chores: Mit viel Gespür für Raumaufteilung schafft der Regisseur schöne (Ozeandampfer-Passagiere im 1. Akt), aber auch bedrückende Bilder (Sauerstoffknappheit im 3. Akt).
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Einen besonderen Trumpf hat die Produktion im Ärmel: ihre Ausstattung. Bühnenbild und Kostüme, von José Luna für die Uraufführung geschaffen und für die Inszenierung in Cottbus übernommen, sind wahre Hingucker, überraschen und zaubern Atmosphäre. In der Eröffnungssequenz weisen kleine Accessoires, wie ein Hut mit einem Mini-Eiffelturm, auf die Nationalitäten der Kreuzfahrt-Touristen hin. Tief im Meer sind in der Tradition des Schwarzen Theaters dank fluoreszierender Stoffe fantastische Fabelwesen in revueartigen Formationen (Choreografie: Dirk Neumann) zu bewundern. Weitere alte Theatertricks, wie Schattenspiele oder die Bewegung des Fluchtbootes per Liegefahrrad, zünden, während die klassisch durch Hin- und Herschieben animierten Hintergrundprojektionen der Unterwasserwelt etwas altbacken wirken. Aber auch ohne Computeranimationen kann das riesige Bullauge am hinteren Ende des skurrilen, atmosphärisch dichten „Nautilus“-Inneren seinen Zauber entfalten.
Ohne einen Rettungsring in Form einer weiteren, grundlegenden Überarbeitung von Text und Musik dürfte „20.000 Meilen unter dem Meer“ auch bei anderen Theatern untergehen. Bedauerlich für einen Stoff, der wie für einen packenden Musicalabend geschaffen scheint.
(Text: kw)

Verwandte Themen: News: Theater Cottbus zeigt "20.000 Meilen unter dem Meer" (15.06.2012)
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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