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Tipp der Redaktion
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Rockoper
Jesus Christ Superstar Lloyd Webber-Passion
© Heiko Sandelmann
© Heiko Sandelmann
Eine der ältesten Geschichten der Welt im modernen Gewand. Dirk Böhling inszeniert in fesselnder Bildsprache, die allerdings gelegentlich die Handlung überdeckt.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 27.10.2012 | Rezensierte Vorstellung: | | 27.10.2012 | Letzte bekannte Aufführung: | | 25.04.2013 |
Das Blut klebt an den Händen des Volkes. Während Jesus virtuell ausgepeitscht wird (die Hiebe sind nur auf der rückwärtigen Leinwand sichtbar), stürmen einzelne Gaffer hinter den aufgestellten Absperrgittern hervor und streifen ihre blutigen Hände am Körper des Geschundenen ab. Pontius Pilatus, ein aalglatter Fiesling in Uniform, triumphiert und erinnert in seiner finalen Ansprache in der Bühnenmitte an Adolf Hitler.
Starker Tobak, den Dirk Böhling mit seiner Inszenierung in wuchtiger und moderner Bildsprache dem Publikum vorsetzt. Mit der Folge, dass einige Zuschauer bereits in der Pause verschreckt das Theater verlassen. Mit dem Herauslösen der Christus-Passion aus ihrem zeitlichen Kontext polarisiert der Regisseur bewusst, verdeutlicht aber auch, dass es sich beim Leidensweg Christi um einen aktuellen Stoff handelt. Böhling zeigt das Martyrium eines jungen Mannes, der sein Leben lässt, weil eine Priester-Clique um ihren Einfluss fürchtet.
Mike Hahnes Einheits-Bühnenbild – ein rückwärtiger, antikisierter Säulengang-Zweigeschosser und davorgestellte Gestelle mit strassbesetzten Palmwedeln, verspiegelten Podesten und Leuchtquardern – erinnert an einen Club in der Disco-Ära, bildet aber einen passenden Rahmen für Böhlings Bilderflut der knalligen Effekte. Allerdings spielt in seiner Inszenierung - beispielsweise beim letzten Abendmahl - der Text manchmal eine untergeordnete Rolle. Auf der schicken Party mit einem als Tisch dienenden Kreuz, singt Jesus zwar vom Brot, doch scheint der Catering-Service selbiges vergessen zu haben: Die Jünger in ihren grünen Kapuzen-Sakkos mit „JC-Aufnäher“ (Kostümbild: Mike Hahne) prosten sich ausschließlich mit gefüllten Sektkelchen zu.
Dafür punktet die Inszenierung im sich anschließenden Zwiegespräch Jesu mit Gott durch eine enorm eindringliche Darstellung. In dieser Szene erschüttert Martin Markert in der Titelrolle und zeigt ganz großes Theater. Mit seinem runden, vollen Tenor meistert er „Gethsemane“ mühelos, kann seine Stimme ohne hörbare Anstrengung in die Kopfstimme schrauben und ist mit großer Bühnenpräsenz nahezu eine Idealbesetzung. David Jakobs als heißsporniger Judas ist ihm nahezu ebenbürtig. Jakobs sorgt mit seinem Gesang nicht nur in dieser (vielleicht etwas plakativ auf die Bühne gebrachten) Selbstmord-Szene für Gänsehautmomente. Beim einzigen, im englischen Original gesungenen Song („Jesus Christ Superstar“), führt er souverän das Ensemble an. Auch der dritte Gast auf dem Besetzungszettel, Olaf Plassa, ist mit seinem markigem, rabenschwarzen Bass als Pontius Pilatus gesanglich wie darstellerisch ein Glücksfall.
Doch auch das Bremerhavener Musiktheater-Ensemble braucht sich in dieser Produktion nicht zu verstecken. Der klangschöne Chor (verstärkt um Damen und Herren des Extrachores) singt sich wacker und mit großer Bühnenpräsenz durch die auch rhythmisch nicht einfache Lloyd Webber-Partitur. Glanzpunkte setzt aber vor allem Franziska Krötenheerdt als warmherzige und liebende Maria Magdalena. Ihr „Wie soll ich ihn in nur lieben?“ gehört neben dem Duett mit Petrus (Peter Kubik) zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends. Das Ballettensemble zeigt vor allem in seinen Auftritten mit dem glücklicherweise nicht allzu clownesk gezeichneten Herodes (solide: Thomas Burger) Grazie und gekonnte Sprünge (Choreografie: Barbara Tartaglia).
Dirigent Volker M. Plangg müht sich dagegen mit dem um eine Rockband verstärkten, aber dennoch recht verhalten spielenden Städtischen Orchester. Vor allem die Bläser klingen in der Premiere wacklig. Im Zuge der Aufführungsserie dürfte sich der Klangkörper allerdings frei spielen und auch die Tontechnik sollte die Patzer des Premierenabends beheben können.
Die Inszenierung bringt das Zeitalter der Flachbildschirme auf die Bühne und so wird Christi Passion selbstverständlich sofort in bare Münze umgewandelt. Während Jesus noch am Kreuz hängt, halten seine Jünger, Maria Magdalena und die vom Regisseur dazu erfundene Pressesprecherin bereits die gedruckte und gebundene Fassung der Geschichte zum Verkauf hoch. Wenn dann der eiserne Vorhang mit den Kreuzen herabsinkt, herrscht im merklich bewegten Publikum betroffenes Schweigen.
Rockoper von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    29781 Hochaktuell, aufrüttelnd und brilliant besetzt
30.10.2012 - „Jesus Christ Superstar“ wurde in Deutschland schon unzählige Male inszeniert – und man könnte meinen, dass es keinen neuen Stoff mehr für diesen Klassiker gibt. Das Stadttheater Bremerhaven beweist mit diesem Stück das genaue Gegenteil und glänzt durch Ideenreichtum und hervorragende Hauptdarsteller.
Jesus könnte auch ein Politiker sein, irgendein einflussreicher Mensch, irgendjemand mit neuen Ideen, der eine Masse von Anhängern an sich bindet. Statt dem letzten Abendmahl gibt es eine Häppchen und Sekt Party, Judas grenzt sich dadurch ab, dass er meist Kapuze trägt und Maria Magdalena könnte eine First Lady sein. Die 39 Peitschenhiebe sind Zeitungsüberschriften, die den Fall Jesus dokumentieren. In der finalen Sequenz wird von jedem Jünger eine andere Biographie über Jesus Leben hochgehalten.
Es sind diese vielen kleinen Details und Ideen, die diese Inszenierung herausstechen lassen und einen noch nach dem Verlassen des Theaters nachdenklich stimmen.
Martin Markert in der Titelrolle hält genau die Waage zwischen souveränem Anführer und gebrochenem Mann. Mit voluminöser Rockstimme singt er in den Auseinandersetzungen mit Judas, wird aber auch leise und sanft in den stilleren Momenten. Vor allem durch seine Intonation verleiht er Jesus Tiefe und vermittelt Gefühl. Sein „Gethesamne“ überzeugt durch absolute Bühnenpräsenz, kombiniert mit passendem Schauspiel und fesselt jeden Blick. Jeder Ton sitzt und wird manches Mal beeindruckend lange gehalten.
David Jakobs als Judas interpretiert einen Außenseiter, wie man ihn sich vorstellt. Seine kräftige, eindringliche Stimme meistert problemlos jede Hürde die einem die deutsche Übersetzung eventuell stellt. Zusammen mit Markert sind es immer wieder kleine Interaktionen der beiden, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sein Selbstmord ist authentischer Wahnsinn und „Superstar“ auf Englisch ebenso einer der Höhepunkte.
Franziska Krötenheerd als Maria Magdalena ist die Frau an Jesus Seite, die zwar manchmal mit etwas zu hoher Stimme lobpreist, aber ansonsten ebenso durch Interaktion und Schauspiel punktet.
Auch das restliche Ensemble ist beachtlich und überzeugt durch vollen Gesang, der nicht zu sehr in die Oper abdriftet.
Die Neutralität des Bühnenbildes fügt sich stimmig ein, es bleibt viel Raum für eigene Interpretationen und Gedanken.
Einzig und allein das Orchester könnte noch mehr auf der Höhe sein und definitiv lauter werden, da so leider manchen Nummern die Energie dahinter genommen wird.
„Jesus Christ Superstar“ in Bremerhaven ist modern, hochaktuell und glänzt durch eine herausragende Cast – wieder einmal ein Beweis dafür, dass auch 3-Sparten Theater problemlos mit großen Produktionen mithalten können.

Merle (3 Bewertungen, ∅ 4.7 Sterne) 
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| Handlung | Die letzten sieben Tage Jesu Christi. mehr Jesus sieht sich immer größerem Widerstand durch die Hohepriester und sogar seiner Anhängerschaft ausgesetzt. Überzeugungsversuche seiner Jünger, allen voran Judas, eine andere Richtung einzuschlagen, schlagen fehl. Jesus bleibt stoisch bei seinen Idealen - wohlwissend, dass sein Leben und das einiger seiner Freunde damit verwirkt ist.
| Weitere Infos | Die deutschsprachige Erstaufführung fand am 18. Februar 1972 in der Halle Münsterland (Münster) mit Reiner Schöne in der Hauptrolle statt.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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