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 Drama
Chess Wer braucht schon Bangkok?
© Dorothea Heise
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Der Kampf um die Schach-Weltmeisterschaft zwischen Ost und West - open air vor dem Dom in Bad Gandersheim. Eine solide und unspektakuläre Produktion, aber absolut sehenswert. Denn Grundlage ist die wohl beste Version, die es aktuell von diesem Musical gibt. Wenn jetzt noch jemand eine neue Übersetzung schreiben würde...
(Text: Robin Jantos) Premiere: | | 19.07.2012 | Rezensierte Vorstellung: | | 19.07.2012 | Letzte bekannte Aufführung: | | 18.08.2012 |
Dass Benny Andersson und Björn Ulvaeus mit der Musik zu "Chess" ein Meisterwerk gelungen ist, mag wohl kaum jemand bestreiten. Aber das Buch von Tim Rice? Bereits unzählige Male überarbeitet und angepasst, immer wieder kritisiert: unlogisch, wenig stringent, kaum vernünftig zu inszenieren. Regisseure flüchten sich gern in schrille Bilder, um von den Schwächen des Buches abzulenken. In Bad Gandersheim ist jetzt eine Version zu sehen, die das nicht nötig hat: Mit einer grundsoliden Inszenierung kommt ein kompaktes, stringentes und gutes Musical auf die Bühne. Das Geheimnis: die an die Stockholmer Version angelehnte Buchfassung. Die hat zwar auch noch einige Längen in den Balladen, erzählt die Geschichte aber schlüssiger.
© Dorothea Heise
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Die wichtigste Änderung: Die Story spielt jetzt durchgehend binnen einer Woche in Meran, der Orts- und Zeitwechsel nach Bangkok entfällt. Nach dem Eklat bei der ersten Partie setzt der Schiedsrichter ein Entscheidungsspiel eine Woche später am selben Ort an. Wie schon in der Broadway-Version (1988) treffen Anatoly und Freddie also im Finale direkt aufeinander - und Freddie ist nicht nur (wie im Original) als Kommentator dabei. Zudem ist wegen der zeitlichen Nähe verständlicher, warum Svetlana um Anatoly kämpft. Die Figur der Svetlana wird ürigens gleich am Anfang des ersten Akts eingeführt: eine Szene im Opening zeigt einen Streit zwischen Svetlana und Anatoly vor dessen Abreise. Dass "One Night in Bangkok" nun keine inhaltliche Berechtigung mehr hat und sehr platt eingebaut wird ("Um Ihnen die Wartezeit bis zum Finale der Schachweltmeisterschaft zu verkürzen, singe ich den Nummer-Eins-Hit..."), muss man für die Verbesserungen in Kauf nehmen. Nicht geändert hat sich, dass die deutschen Songtexte oft sehr unelegant sind und die Sänger ständig zu falschen Betonungen zwingen.
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Die Inszenierung von Christian Hockenbrink holpert anfangs ein bisschen. Zu "Merano" platziert sich der Extrachor mit Baumattrappen im Publikum und imitiert Vogelgezwitscher, das Ensemble tanzt in folkloristischen Kostümen, und es marschiert sogar ein Spielmannszug auf. Das ist zwar alles ganz putzig, passt ins seiner Volkstümlichkeit aber überhaupt nicht zu der eher feingeistigen Musik. (Zudem ist es keine gute Idee, vielen Zuschauern mit Baumattrappen die Sicht zu versperren.) Wenn später die Songs tendenziell einfacher werden, passt auch die bodenständige Inszenierung. Und die richtige Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit gelingt Hockenbrink beim Einsatz des fokussiert spielenden und exakt tanzenden, sechsköpfigen Ensembles (Yoko El Edrisi, Anaïs Lueken, Nina Vlaovic, Sebastian Hammer, Mickey Petersson, Robert Meyer). Ob als italienischer Klischeekellner vor kitschigem Sonnenuntergang oder als prolliger KGB-Agent: die Sidekicks sind wohl dosiert und machen Spaß, ohne Überhand zu nehmen. Dirk Weilers Anatoly bezieht seinen Charme aus seiner Bescheidenheit und Unaufgeregtheit. Die Sympathien sind ihm damit sicher, die Figur ist schlüssig gezeichnet. Allerdings muss man ihm die starken Emotionen vor der entscheidenden Schachpartie glauben, sehen kann man sie kaum - der Nachteil dieser Rolleninterpretation. Thomas Christ gibt den Freddie im krassen Kontrast dazu als absoluten Kotzbrocken: laut, rechthaberisch, kompromisslos. Sein "Pity the Child" rechtfertigt das mit einem Ausbruch der aufgestauten Wut und Verzweiflung. Das ist intensiv gespielt, allerdings hat Christ am Premierenabend gesanglich arge Probleme mit den Höhen.
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Navina Heyne ist dagegen als Florence stimmlich absolut sicher. Vor allem ihre Dialoge mit Anatoly wirken echt und glaubwürdig. Alexandra Farkic (Svetlana) ist ihr in "I Know Him So Well" eine ebenbürtige Partnerin. Karsten Kenzel gibt den Arbiter als schmierigen Showmaster, Florian Hacke macht als Molokow mit warmer, fester Stimme und diabolischer Beherrschtheit auf sich aufmerksam. Die Produktion auf der relativ kleinen und weitgehend leeren Gandersheimer Bühne kommt mit wenigen Requisiten aus. Unspektakulär. Und dass funktioniert auch prächtig, wenn man eine Geschichte erzählen kann statt von ihren Schwächen ablenken zu müssen.
(Text: mr)

Verwandte Themen: News: "Chess"-Besetzung für Göteborg steht fest (31.03.2012) Lexikon: Chess
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Besetzung

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| Handlung | Schach und der kalte Krieg: Ein russischer und ein amerikanischer Schachspieler treten bei einer Schach-WM gegeneinander an. mehr Der Russe gewinnt, beginnt eine Romanze mit der Beraterin und Geliebten des Amerikaners und beantragt Asyl in den USA. Bei der Neuauflage der WM kommt es zu allerlei persönlichen und politischen Verstrickungen.
| Weitere Infos | Für die Aufführung 2002 in Stockholm wurde das Buch erneut überarbeitet (von Lars Rudolfsson und Jan Mark). Die Handlung spielt nun komplett binnen einer Woche in Meran, die Figur der Svetlana wird bereits in der ersten Szene eingeführt und der Russe und der Amerikaner treffen in der entscheidenden Partie aufeinander (im Original war der Amerikaner bei der finalen Partie nur als Berichterstatter dabei). Diese Version wurde in Deutschland im Sommer 2012 bei den Domfestspielen Bad Gandersheim gezeigt.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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