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 Klassiker
Anatevka Was ist das für eine Welt? Wenn die volkstümliche Anfangsphase überstanden ist und das Stück an Ernsthaftigkeit gewinnt, zeigt auch die Inszenierung ihre Stärke: die gelungene Balance zwischen Leichtigkeit und Schwermut. Eine Atmosphäre, in der man lachen, aber auch die ganz großen Fragen stellen kann. Rundum gelungen.
(Text: Robin Jantos) Premiere: | | 19.06.2012 | Letzte bekannte Aufführung: | | 05.08.2012 |
Warum gehen die Darsteller in Alltagskleidung auf die Bühne und ziehen sich dort erst in der Eröffnungsnummer die Kostüme an? Es hätte den Versuch, auf diese Weise einen Bezug zwischen der heutigen Zeit und dem ukranischen Dorf im Jahr 1905 herzustellen, nicht gebraucht. Denn so, wie Stefan Hubers Inszenierung die Figuren und ihre Motive transparent macht (statt auf Effekte und Regiemätzchen zu setzen), gibt es für das Publikum ohnehin viele Möglichkeiten, sich einzufühlen. Wenn sich in der letzten halben Stunde Tevjes Welt derart rasant verändert, dass sein Schalk und seine Lebensklugheit nicht mehr ausreichen, um mitzuhalten, dann entsteht ein Sog, dem sich wohl kaum jemand im Publikum entziehen kann.
Das ist auch der ganz große Auftritt von Michael Schanze in der Rolle des Milchmanns. Wer ihn nur als TV-Moderator kennt und Zweifel hat, ob Schanze die richtige Besetzung ist, wird sich am Anfang eher bestätigt sehen. Mit ausladenden Gesten, tänzelndem Gang und blitzenden Augen gibt er eher die Volkstheater-Version des Tevje. Doch Schanze gelingt es, das mit der Entwicklung der Handlung wohldosiert zurückzunehmen. Wenn er mit Gott und der Moderne hadert, gleichsam aber listig Wege findet, die neuen Zeiten in sein Weltbild zu integrieren, kommt das sehr glaubhaft über die Rampe. Sein jiddischer Akzent ist dezent und konsequent genug, um nicht aufgesetzt zu wirken. Und gesanglich absolviert er den Part mit warmer, voller Stimme ohne Probleme. Eine starke Leistung.
Dass auch große wie kleine Nebenrollen hochkarätig besetzt sind, braucht man für Bad Hersfeld nicht extra zu betonen. Da erlaubt man sich beispielsweise den Luxus, den Perchik mit Rasmus Borkowski zu besetzen, der als Joe in "Sunset Boulevard" an selber Stelle auch schon bewiesen hat, dass er eine Show tragen kann - und auch hier wieder mit viele Energie und Spielfreude rüberkommt. Marianne Larsen besticht als Golde mit ihrer klassisch geschulten Stimme und bodenständigem Spiel. Franziska Lessing gibt die Zeitel glaubhaft zwischen verzweifeltem Fügen und Aufbegehren, und auch von Newcomer Jannik Harneit (Fedja und "L'Chaim"-Solo) wird man sicher noch einiges hören.
Dass das Orchester unter dem neuen Chef Kai Tietje ein wenig den Esprit und die besondere Spielfreude vermissen lässt, will man den Musikern am Premierenabend nicht anlasten, herrschten im Dauerregen doch irreguläre Bedingungen. In der Tanzszene spritzte ständig Wasser von der Bühne in den Orchestergraben, und als schließlich Wasser vom Dach strömte, mussten die Musiker mit ihren empfindlichen Instrumenten sogar flüchten und die Vorstellung für 20 Minuten unterbrochen werden.
Ein szenisches Highlight ist der vermeintliche Traum, mit dem Tevje seine Frau von den geänderten Hochzeitsplänen für die älteste Tochter überzeugt. Die Dorfbewohner tanzen ganz in Weiß (Kostüme: Susanne Hubrich) mit eckigen, abstrakten Bewegungen (Choreographie: Markus Buehlmann). Die äußerst agile Oma Zeitel (Barbara Goodman) taucht im Hochzeitskleid aus einer Klappe auf und wirkt nicht weniger nachdrücklich und bedrohlich als die verstorbene Fruma Sara (Anette Lubosch), die im Hintergrund mit meterlangem Kleid und entsprechend verlängerten Armen in die Höhe gefahren wird.
Ein raffinierter Bruch in der ansonsten auf Abstraktes weitgehend verzichtenden Inszenierung, die sich in Ausstattung und Aktion ganz in den Dienst der Handlung stellt. Die Stückwahl mag nicht sehr innovativ sein. Die dichte, schlüssige Umsetzung machen diese Produktion trotzdem sehenswert.
(Text: Robin Jantos) 
Verwandte Themen: News: Michael Schanze bei "Anatevka" in Bad Hersfeld (06.01.2012)
Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    29651 Kann man wohl kaum besser aufführen
09.07.2012 - Hier ist wirklich ein Volltreffer gelungen. Das Stück ist so gekonnt in Szene gesetzt wie man es nur selten findet. Michael Schanze ist genial als Schauspieler und Sänger. Seine Leistung reißt alle Akteure einschl. Publikum mit. Ein wunderbares und unvergessliches Erlebnis.

Obelix (4 Bewertungen, ∅ 2.8 Sterne)
    29622 Tolle Cast von den Hauptrollen bis ins Ensemble!
22.06.2012 -

diefeschelola (erste Bewertung) 
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| Handlung | Milchmann Tevje wohnt mit fünf Töchtern und seiner resoluten Ehefrau in dem kleinen jüdischen "Schtetel" Anatevka, einem ukrainisches Dorf im Jahr 1905. mehr Traditionen geben seinem Leben Halt und Sinn. Doch die Welt ist im Wandel - und die Töchter fangen plötzlich an, sich selbst ihre Ehemänner auszusuchen. Anfangs kann Tevje diese Veränderung noch mit Schalk und Lebensklugheit in sein Weltbild einpassen. Doch als die drittälteste Tochter Chava einen Nicht-Juden heiraten will, ist das zu viel für den Milchmann.
| Weitere Infos | Aufführungsrechte: Verlag Musik und Bühne.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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