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 Revue
Sekretärinnen Tippex oder Nagellack? Die nur mit einem dünnen Handlungsfaden versehene Wittenbrink-Hommage an die Tippsen-Zunft kommt dank einer pfiffigen Inszenierung und fulminanter Darsteller flott und unterhaltsam daher.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 23.04.2011 | Rezensierte Vorstellung: | | 24.04.2011 | Letzte bekannte Aufführung: | | 27.01.2012 |
Welche Beziehung hat eine Sekretärin zu ihrer Schreibmaschine? In Sebastiano Melis kurzweiliger Inszenierung steht sie nicht nur im Zentrum ihres Arbeitslebens. Der Schreibapparat dient auch als den Gesang untermalendes Rhythmusgerät und als Lustspender. Diese bisher eher unbekannte Verwendungsmöglichkeit demonstrieren die Vorzimmerdamen hingebungsvoll: Zur Schnulze "Without You" leben sie mit der Schreibmaschine hemmungslos und lustvoll stöhnend ihre Triebe in den unterschiedlichsten sexuellen Praktiken aus.
Nicht nur mit dieser pikanten Szene unterhält Regisseur Meli sein Publikum prächtig. Er motzt den handlungsarmen Liederabend von Franz Wittenbrink mit einer Vielzahl kreativer Ideen auf und zeigt skurril gezeichnete Damen im die gesamte Bühne einnehmenden, funktionalen Großraumbüro (seinen Ausstatter verschweigt der Programmzettel). Da hier aufgrund der räumlichen Enge nur fünf Arbeitsplätze stehen können, reduziert Meli die Belegschaft, muss dadurch aber mehrere Charakterzüge von den Figuren aus der Vorlage in einer Person komprimieren. Durch diese Sparmaßnahme gerät das Tipp-Personal an der einen oder anderen Stelle etwas unglaubwürdig. So wirkt zum Beispiel der sich als Chefin im Büro aufspielende, ordnungsliebende wie hinterhältige Bürodrache mit kleptomanischen Vorlieben und bisexuellen Neigungen etwas überfrachtet. Dies sind allerdings Kleinigkeiten, die den Spaß im Zuschauerraum kaum schmälern.
Anders als bei Vorgänger-Produktionen der Neuen Berliner Scala kommt die musikalische Begleitung bei "Sekretärinnen" nicht vom Band. Steven Desroches spielt rechts neben der Bühne auf seinem Klavier unaufdringlich die aus Schlagern, Volksliedern, Chansons und Popsongs zusammengemixte Partitur.
Ein Glücksgriff ist die Darsteller-Riege, die in Spiel und ganz besonders im Gesang solistisch oder in den unterschiedlichen Konstellationen brilliert. Als verschüchterter Bürobote schmachtet Daniel Pabst beim Postverteilen und Papierkorbleeren eine der Kolleginnen an, um in der nächsten Szene als schrille Zicke mit lila Bob-Frisur an den Schreibtisch zurückzukehren. Pabst, der seine Travestie-Rolle nie übertreibt, singt sich wie bei "My Heart Belongs to Daddy" mühelos bis in die hohe Kopfstimmenlage hinein und steht mit einem samtenen "Sie sieht mich einfach nicht" dem Originalinterpreten in nichts nach. Chefliebchen Daniela Tweesmann trumpft nicht nur mit großer Soul-Röhre ("Respect") auf, in "Dream a Little Dream of Me" gelingen auch die leisen Töne gut. Dominika Szymanska löst als Schwangere mit ihren Niederkunft-Attacken wiederholt falschen Alarm und Lachsalven im Publikum aus und zeigt in ihrem Solo "The Man I Love", dass sie mit ihrem in dem kleinen Theater manchmal etwas schrill klingenden Sopran auch dezente Spitzentöne setzen kann. Am Schreibtisch schräg vor ihr lümmelt Stephanie Sturm als Exotin der Tippsengemeinschaft. Passend zur Amy Winehouse-Optik genehmigt sie sich mehr als nur einmal einen Schluck aus der Whiskey-Pulle, während sie mit nächtlichen Bekanntschaften telefoniert und zum Beispiel "Ich bin wie du" ins orange Telefon trällert. Schon ihretwegen zückt die resolute Judith Schäfer mehrfach den Stift und macht sich Notizen im Tadel-Buch. Ihre schöne, leicht rauchig klingende Soul-Stimme passt perfekt zu "Ein 8-Stunden Tag".
Wenn das Ensemble als Zugabe noch einmal das rock and rollige "Dann heirat' doch dein Büro" anstimmt, dann ist dieser amüsante Arbeitstag wie im Fluge vergangen.
(Text: kw)

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Besetzung

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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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