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 Biografical
Dynamit! Die Lunte brennt Vor allem wegen seines verwirrenden Buches ist das Biographie-Musical von Paul Graham Brown (Musik und Texte) um den Dynamit-Erfinder Alfred Nobel nicht der ganz große Knaller.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 15.01.2011 | Rezensierte Vorstellung: | | 07.10.2011 | Letzte bekannte Aufführung: | | 22.02.2012 |
Obwohl die mittellose, aber gebildete Gräfin Kinsky Alfred Nobels Liebes-Werben widersteht, bleibt sie nach ihrer Vermählung mit einem jüngeren Heißsporn als Bertha von Suttner doch jahrelang per Brief mit dem Erfinder des Dynamits in Kontakt. Zur Finanzierung ihrer Friedensaktivitäten legt der wohlhabende Rüstungsfabrikant seinen Antwortzeilen nur zu gerne ein paar Scheine bei.
Von Nobels Vermögen profitiert auch seine Angebetete Nummer Zwei: Die kokette, aus einfachen Verhältnissen stammende Sofie Hess erhält als Gegenleistung für ihre Rolle als allzeit bereite Geliebte Urlaubsreisen und teure Geschenke. Ihr ehrgeiziges Streben, ihren Gönner zu einer Eheschließung zu bringen, bleibt allerdings unerfüllt.
In dieses biografisch belegte Beziehungsgeflecht mit seinen extremen Gegensätzen (Kriegsausrüster gegen Friedenskämpferin, anspruchsvolle Konversation gegen belanglose Plapperei, auferlegte Askese gegen Wollust) schiebt Autor Paul Graham Brown unglücklicherweise eine vierte, fiktive Figur, die den innerlich zerrissenen Alfred Nobel zunächst wie sein zweites Ich begleitet. Dramaturgische Klammern zwischen ihm und dem Serben Dimitri Marinovic sind jeweils der nicht überwundene Tod des Bruders und das Dynamit, mit dem sein Erfinder friedlich die Infrastruktur ausbauen, der Extremist jedoch dem Leben des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo gewaltsam ein Ende setzen will. Immerhin auch hier wieder ein Gegensatzpaar.
Der stark an den Sisi-Attentäter Lucheni aus Kunze/Levays "Elisabeth" erinnernde Marinovic funktioniert im ersten Akt gut, weil Autor Brown ihn sowohl zur Sichtbarmachung von Nobels Seelenzustand, aber auch als Darsteller für Stichwort gebende Nebenfiguren einsetzt. Nach der Pause löst er Marinovic allerdings aus der Nobel-Suttner-Hess-Konstellation heraus und lässt ihn episodenhaft in seiner eigenen Zeitebene die Zündung des Sprengsatzes planen. Diese Szenen stören den bisher stringenten Haupthandlungsstrang und lassen das Musical mit der ziemlich konstruiert wirkenden Vereitelung des Anschlags durch Gretel Hess völlig aus dem Ruder laufen: Dass ausgerechnet sie, das Ergebnis einer Liebelei zwischen der Nobel-Geliebten Sofie und deren Französischlehrer, zufällig mit dem Attentäter beim Zünden der Lunte mitten in Sarajewo zusammenprallt, ist an Unwahrscheinlichkeit kaum zu überbieten.
Browns schwache Vorlage mit manch bemühtem Reim in den Liedtexten (deutsche Übertragung: Nina Schneider) wertet Birgit Simmler mit ihrer Inszenierung kräftig auf, indem sie mit viel Fantasie und minimalem Aufwand ganz locker mehrere Handlungen gleichzeitig auf die Bühne bringt. Der Teller mit dem Stück Schokoladentorte, das Sofie bei ihrem Flirt mit Nobel isst, wandert zwei Hände weiter und schmeckt dann im Schloss der Familie von Suttner. Unterstützt wird dieser Ansatz durch Ausstatter Norman Zechowski, dessen fünf Holzkisten im schwarzen Raum von den Darstellern zu immer neuen Schauplätzen umgestapelt werden. So entstehen je nach Beleuchtung (Robert Sawade), Position, Gruppierung und sichtbarer Seite in Windeseile eine Kutsche, ein Bad oder ein Konferenzsaal mit Stehpulten. Fehlen einmal Gesprächspartner auf der Bühne dann rollen diese als stumme Holzfiguren auf die Bühne. Kleiner Aufwand, aber große Wirkung!
Ein Weniger täte der mit zahlreichen Reprisen gespickten Partitur von Paul Graham Brown gut, der seine Kompositionen auf dem E-Piano aus der ersten Sitzreihe heraus mit allerlei melodischen Verzierungen begleitet, sodass es manchmal schwer fällt, der eigentlichen Melodie zu folgen. Vielleicht der Grund dafür, dass außer dem Titelsong "Dynamit" kaum etwas über den Theaterabend hinaus im Ohr verbleibt?
Trotz einiger Texthänger in der Wiederaufnahme-Premiere ist Neuzugang David Schroeder als zerrissener, zwischen Depression, Liebe und Wahnsinn hin- und herpendelnder Rastloser fast schon eine Idealbesetzung für Alfred Nobel. Sein runder, bis in die Höhen geschmeidiger Tenor mit klassischer Attitüde harmoniert sehr gut in den Duetten mit den beiden Partnerinnen, er überzeugt aber auch im Solo "Egal".
Ebenfalls neu in der Cast ist Alexander Zamponi, der allerdings die dramaturgische Überflüssigkeit des Dimitri Marinovic noch unterstreicht. Mit in der Mittellage hohler, angegriffen wirkender Stimme stimmt er die sehr martialisch-pathetische Hymne "Ich muss nach Sarajewo" an, steigert sich allerdings in den Höhen. Auch spielt Zamponi seine Rolle eher zurückhaltend und ist mehr der Kumpel von nebenan, als ein kämpferischer Revoluzzer, der bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen.
Mit ihrem schönen, sehr facettenreich modellierbaren Sopran gibt Agnes Hilpert der Bertha von Suttner genau die richtige Balance zwischen verletzlicher Dame und zielstrebiger Aktivistin. Wenn sie auf dem Friedenskongress mal kämpferisch, dann wieder ganz sanft durch ihr großes Solo "Lasst die Waffen ruhen" gleitet, dann gestaltet Hilpert eine absolute Gänsehaut-Nummer. Ihr absolut ebenbürtig ist Juliane Maria Wolff (Sofie Hess), die nicht nur im Frauen-Duett ("Am Ende allein"), sondern vor allem mit der Selbsterkenntnis "Ich bin ein Name, der verblasst" die tragische Facette ihrer Figur stimmlich perfekt zum Vorschein bringt.
Ihr wahres Gesicht zeigen Bertha und Sofie nach dem Tode ihres Gönners. Während die eine verzweifelt nach ihrem Schriftwechsel mit dem Verstorbenen sucht, der sie ihrer Meinung nach als Empfängerin des Friedensnobelpreises legitimieren soll, nutzt die andere ihre sorgsam gehüteten Briefe voller pikanter Details, um die Nobel-Nachfahren damit zu erpressen. Wieder so einer dieser Gegensätze, die dieses Musical trägt.
(Text: kw)

Verwandte Themen: News: PdW: Dynamit! (10.01.2011)
Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 4 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    29318 Super Leistung
14.11.2011 - Damit meine ich die Leistung der 4 Darsteller, die wirklich große Klasse sind und das Stück retten. Hier jemanden besonders hervorzuheben wäre unfair.
Die Texte schwanken zwischen wirklich gut und "reim dich oder ich fress dich", sind im Großen und Ganzen jedoch gelungen. Die Musik hatte dafür durchaus so ihre Längen und hätte für meinen Geschmack abwechslungsreicher sein können und die wirklich sehr guten Sänger etwas mehr fordern.
Das Bühnenbild war wirklich genial, was man mit 5 Kisten soll alles anfangen kann.
Insgesamt ein schöner Abend und mit Kartenpreisen von 20€ auf jeden Fall sein Geld wert.
Ich finde es wichtig, solche Projekte wie die des "Kleinen Theaters" zu unterstützen, daher geht hin, seht Euch das Stück an.

Charlotte (56 Bewertungen, ∅ 3.6 Sterne)
    29308 Großer Wiederholungsbedarf!
11.11.2011 - Ich habe "Dynamit!" schon in der ersten Spielzeit gesehen, und es hat mich - wie auch schon "King Kong", das Vorgängerstück von Paul Graham Brown im "Kleinen Theater" - vom ersten Besuch an begeistert.
Die Geschichte hat Niveau UND Humor und wurde hervorragend von allen in beiden Spielzeiten beteiligten Darstellern verkörpert. Realitätsnähe in Punkto Geschichte ist nicht das, was ich von einem Musical erwarte, eher Stimmung, Spannung und Gefühl. Und Phantasie - auch im Bühnenbild :-) Wie dort mit Holzkisten und Pappfiguren auf der kleinen Bühne gearbeitet wird, ist unglaublich spannend und witzig.
Was ich musikalisch besonders liebe, sind gerade die oben kritisierten Reprisen und natürlich die Lieder von Agnes Hilpert und Juliane Maria Wolff, ihre Duette und Soli und besonders das absolut gänsehauterzeugende "Lasst die Waffen ruh'n", welches immer absolute Stille im Theater hervorruft.
Ich war völlig begeistert, daß ich am 7.10.2011 - dem Tag der Friedensnobelpreis-Verkündung - der Wiederaufnahme-Premiere beiwohnen durfte, ein großartiger Abend!
Ich kann jedem, dem es möglich ist, nur empfehlen, sich selbst ein Urteil zu bilden - "Dynamit!" im liebenswerten "Kleine Theater" ist immer einen Besuch wert!

Lady Carmilla (7 Bewertungen, ∅ 4.6 Sterne)
    29300 Dynamit! wärmt!
01.11.2011 - Handlungsstränge hin Handlungsstränge her - was mich berührt hat war der "Message" dieses Musicals. Die Besetzung die so perfekt ist, der Komponist der sogar selber von der ersten Reihe spielt und dirigiert, die Musik die wirklich ins Ohr geht. Ob es Ohrwürmer die ein Musical gut macht, bin ich mir gar nicht sicher. Es ist das Erlebnis, die momentane "im Einklang mit der Geschenisse" die man zum emotionelle Höhe bringt.
Meiner Erfahrung nach hat Paul Graham Brown sehr der Musicalwelt bedient mit andere Stücke wie "Bonnie and Clyde", "Houdini", "Show Dogs", "Fairy Stories",
"King Kong".

BroadwayBaby (erste Bewertung)
    29285 VIEL Gänsehaut!
26.10.2011 - Ich kann zwar den voranstehenden Kritikansatz in Teilen nachvollziehen und finde auch die Zusammenführung der Handlungsstränge am Ende etwas bemüht, aber davon abgesehen war für mich die Aufführung von DYNAMIT! ein wundervoll emotionales Musicalerlebnis! Ohrwürmer hatte ich danach mehrere, feuchte Augen ebenso und Spaß von Anfang bis Ende! In Agnes Hilpert habe ich mich auf Anhieb verliebt - sie spielt ungeheuer intensiv - , und die Summe aus musikalischem Fantasiereichtum und ausstatterischer Originalität erschien mir überdurchschnittlich. Ich habe schon häufig Musicals gesehen, die mich vollkommen kalt gelassen haben, obwohl sie genau das Gegenteil bezweckt haben, dies aber nur mit mathematischer Präzision zu erreichen versuchten (Ein Kind + Tod = Weinendes Publikum ... Hallo "Elisabeth"!) Mein rundum beglückendstes Live-Musicalerlebnis war "Mamma Mia", dann kommt eine Weile nichts, und dann wäre ich schon geneigt, "Dynamit!" zu platzieren. Für seinen Ohrenschmaus (die atemberaubenden Duette der beiden Frauenstimmen!), für seine visuelle Finesse, für einen rundum vergnüglichen Abend, den ich unbedingt wiedererleben möchte!

heldvonbern (erste Bewertung) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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