 |
 Drama
Frühlings Erwachen So'n verficktes Leben Die Bayerische Theaterakademie August Everding und die Hochschule für Musik und Theater zeigen die Musical-Version des Frank-Wedekind-Bühnenstücks, das 2006 für einen Überraschungserfolg in New York sorgte. Leider stößt die Münchner Inszenierung nur auf bescheidene Resonanz.
(Text: Eva Schmidhuber) Premiere: | | 29.06.2011 | Letzte bekannte Aufführung: | | 17.07.2011 |
Beim Betreten des Theaters fällt sofort das spartanisch gehaltene Bühnenbild (Heinz Hauser) auf. Auf der eigentlichen Bühne liegt eine quadratische Platte, die ein Stück in den Zuschauerraum ragt. Seitlich davon stehen Stühle und ganz am Rand ist sowohl rechts als auch links die Band platziert. Im hinteren Bereich steht ein schräg absenkbares Metallgitter, das den Umrissen eines Hauses nachempfunden ist. Dieses hat einige Klappen, die sich je nach Bedarf als Fenster und Türen öffnen und beleuchten lassen. Auf das Metallgitter und die hintere Bühnenwand werden Bilder projiziert, wie z.B. Wörter in alter Schrift in den Schulszenen oder eine Baumkrone, wenn sich die Darsteller im Wald befinden. Fliegende Stühle werden eingesetzt, wenn die innere Zerrissenheit einer Figur verdeutlicht werden soll.
Zuerst betreten die Musiker die Bühne, es folgen die Darsteller, die das Publikum begutachten und sich mit den Musikern unterhalten. Es entsteht zunächst den Eindruck, als würde man eine öffentliche Probe besuchen. Dann beginnt aber schnell die „richtige“ Vorstellung.
Der Ablauf ist an der Wiener Version orientiert, allerdings sind Text, Kostüme, Frisuren und Choreographie an die heutige Zeit angepasst worden. Die Choreographie mit ihren wilden Sprüngen erscheint wenig stimmig. Die Sprache ist klarer und mit mehr Anglizismen gespickt. Die Kostüme von Susanne Hubrich sind oberhalb der Gürtellinie der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts nachempfunden, die Strümpfe aber giftgrün oder bunt gemustert gehalten. Alle Darsteller tragen „Chucks“, wie sie derzeit „in“ sind. Während die Frisuren der Mädchen eher bieder scheinen, tragen die Jungs sehr ähnliche Punkfrisuren. Das macht es schwer, die einzelnen Charaktere auseinanderzuhalten.
Das Stück lebt von seinen Schauspielern, denen die sehr jungen Rollen große Anpassungsfähigkeiten abverlangen. Wendla wird von Tina Haas gespielt. Da sie die Kleinste ist, passt sie perfekt in ihre Rolle. Dennoch: Sie wirkt zu alt und erfahren. Ihrer hellen, klaren Stimme hört man aber gerne zu. Kurosch Abbasi agiert als Melchior mal zu selbstgefällig, mal zu wenig energisch, liefert aber gesanglich eine saubere Leistung ab. Maurice Klemm überzeugt als unsicherer, labiler und abhängiger Moritz in jeder Hinsicht. Saskia Philipps als Martha hat zwar nur einen kurzen Solo-Auftritt, holt aber aus „Was sich nicht erzählen lässt“ alles heraus. Anja Heaseli als Ilse wirkt kaum wie eine nach außen hin weltgewandte und selbstbewusste, jedoch eigentlich sensible und einsame Jugendliche, die ihrer Kindheit nachtrauert. Nicole Baumann spielt die erwachsenen Personen nicht durchgängig überzeugend. Die Lehrerin Frau Knüppeldick verkörpert sie kalt und streng. Als Frau Gabor und Frau Bergmann aber wirkt sie zu jung. Ein Maskenproblem.
Höhepunkt der ansonsten durchwachsenen Show: Die Szene an Moritz' Grab, die Publikum wie Akteure fühlbar mitnimmt. Insgesamt erreicht die Münchener Produktion nicht die Qualität der Wiener Version. Die Wedekind-Vorlage zielt zwar auf die aufkeimende Sexualität der Teenager ab, in München tritt sie aber zu sehr in den Vordergrund und wirkt zuweilen pornographisch. Dagegen werden Probleme wie psychische Instabilität, frühe Schwangerschaft mit folgender Abtreibung oder der Rollenkonflikt in einer biederen Gesellschaft nur angeschnitten.
Für Jugendliche (es gibt Matineen speziell für Schulklassen) ist diese neue Version von „Frühlings Erwachen“ sicherlich interessant. Ob aber das breite Publikum angesprochen wird, ist zu bezweifeln. Dennoch hätte das Ensemble vollere Zuschauerränge verdient, als in der besuchten Vorstellung.
(Text: esh)

Verwandte Themen: News: "Frühlings Erwachen" kommt 2011 nach München (18.11.2010)
Kreativteam
Besetzung

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |